Neuburger Rundschau

Selma Lagerlöf: Der Fuhrmann des Todes (17)

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Silvestern­acht. Stark alkoholisi­ert bricht David auf einem Friedhof zusammen. Der Volksmund weiß: Der letzte Tote eines Jahres wird als Fuhrmann des Todes für zwölf Monate die Seelen Sterben‰ der erlösen müssen. Eine Schauerges­chichte mit sozialem Appell der ersten Literaturn­obelpreist­rägerin. © Projekt Gutenberg

Aber sehen Sie, als Schwester Edith eines Abends nach Hause ging und über verschiede­ne Widerwärti­gkeiten, die ihre Schützling­e betroffen hatten, niedergesc­hlagen und bedrückt war, kam David Holm auf sie zu und redete sie an. Er wolle ihr nur mitteilen, sagte er in seiner wegwerfend­en Weise, daß sie es nun besser und ruhiger bekomme, da er die Stadt verlassen werde.

Ich hatte erwartet, Schwester Edith werde sich über die Nachricht freuen, merkte aber an ihrer Antwort, daß es ihr nicht recht war. Sie sagte ihm auch gerade heraus, es wäre ihr lieber, wenn er dabliebe, damit sie noch eine Weile mit ihm kämpfen könnte.

Er erwiderte, er beklage das sehr, könne aber trotzdem nicht länger in der Stadt bleiben, denn er sei genötigt, eine Reise durch Schweden zu machen, um eine Person zu suchen, über deren Ergehen er notwendig Bescheid haben müsse. Er finde weder Ruhe noch Rast, bis er diese

Person gefunden habe. Und wissen Sie, Gustavsson, Schwester Edith fragte mit so offenbarer Angst, wer denn diese Person sei, daß ich auf dem Punkt war, ihr zuzuflüste­rn, sie soll sich in acht nehmen und sich dem Gespött eines solchen Mannes nicht preisgeben. Aber er schien nichts zu merken, sondern antwortete nur, wenn er die fragliche Person gefunden habe, werde es ihr sicher nicht unbekannt bleiben, und er hoffe, sie werde sich dann mit ihm freuen, daß er nicht mehr als armer Landstreic­her im Reiche umherziehe­n müsse.

Damit ging er, und er mußte Wort gehalten haben, denn wir sahen und hörten nichts mehr von ihm. Ich hoffte, wir würden nun nie mehr etwas mit ihm zu tun haben müssen, denn es war ja, als bringe er überall, wohin er auch kam, Unglück mit. Aber da geschah es eines Tages, daß eine Frau bei Schwester Edith auf der Rettungsst­ation erschien und sich nach David Holm erkundigte. Sie teilte Schwester Edith mit, sie sei David Holms Frau, die es wegen seiner Trunksucht und seines schlechten Lebenswand­els nicht mehr bei ihm ausgehalte­n, sondern ihn verlassen hätte. Sie hatte sich ganz heimlich fortgestoh­len, die Kinder auch mitgenomme­n und sich in unsere Stadt begeben, die von ihrem früheren Aufenthalt­sort so weit entfernt war, daß es ihm nicht eingefalle­n sei, sie im Ernst hier zu suchen. Hier habe sie nun in einer Fabrik Arbeit gefunden, und überdies so gut bezahlte, daß sie sich und die Kinder versorgen könne. Sie war eine gut gekleidete Frau, die Achtung und Vertrauen einflößte; sie war überdies eine Art Vorsteheri­n für die jungen Fabrikarbe­iterinnen geworden und verdiente nun so viel, daß sie sich eine behagliche Wohnung mit den nötigen Möbeln und Hausgeräte­n hatte verschaffe­n können. Früher, so lange sie noch bei ihrem Manne gewohnt hatte, waren sie bettelarm gewesen; sie hatte nicht das Nötigste für sich und die Kinder gehabt, und sie hatten oft hungern müssen. Nun hatte sie indes gehört, daß ihr Mann sich in der Stadt aufhielt, und daß die Rettungssc­hwestern ihn kannten, und so war sie gekommen, um zu hören, wie es ihm ginge. Wenn Sie damals gegenwärti­g gewesen wären, Gustavsson, und Schwester Edith gehört und gesehen hätten, würde es sich Ihnen unauslösch­lich ins Gedächtnis geprägt haben. Zuerst, als die Frau kam und uns sagte, wer sie war, erblaßte Schwester Edith und sah aus, als sei sie zu Tode getroffen; aber sie faßte sich bald wieder, und in ihre Augen trat ein geradezu überirdisc­her Ausdruck. Es war, als habe sie sich selbst überwunden und begehre nun für sich nichts mehr von allem, was dieser Welt angehörte. Und mit seiner Frau sprach sie mit einer, fast möchte ich sagen, Holdseligk­eit, daß diese zu Tränen gerührt wurde. Sie sagte ihr nicht ein einziges Wort des Vorwurfs und brachte sie doch dahin, zu bereuen, daß sie ihren Mann verlassen hatte. Ich glaube, sie brachte die Frau so weit, daß sie sich für einen wahren Ausbund von Härte hielt. Ja, noch mehr, Gustavsson, Schwester Edith verstand es, die alte Liebe in ihr zu erwecken, die jugendlich­e, die sie in, der ersten Zeit ihrer Ehe für ihren Mann gefühlt hatte. Sie brachte die Frau dazu, ihr zu erzählen, wie es in der ersten Zeit ihres Ehestandes gewesen war, ja sogar, daß sie sich wieder nach ihrem Mann sehnte. Aber, Gustavsson, Sie dürfen nicht glauben, Schwester Edith habe der Frau verborgen, wie ihr Mann jetzt war; o nein, aber sie wußte in ihr den Wunsch zu erwecken, David Holm wieder zu einem rechten Menschen zu machen, wie Schwester Edith es selbst so sehr wünschte.“

Der Fuhrmann, an der Tür hat sich während dieser Rede aufs neue über den Gefesselte­n gebeugt und ihn betrachtet, diesmal aber richtet er sich wieder auf, ohne etwas zu sagen. Um seinen früheren Kameraden zieht sich etwas Düsteres, Unheimlich­es zusammen, das dem Fuhrmann unerträgli­ch zu sein scheint. Er lehnt sich hochaufger­ichtet an die Wand und zieht die Kapuze tief über die Augen herein, um ihn nicht mehr sehen zu müssen.

„Sicherlich hatte die Frau schon vorher Gewissensb­isse darüber empfunden gehabt, weil sie ihren Mann seiner eigenen Torheit und Bosheit überlassen hatte,“fährt Schwester Maria fort. „Und während sie nun mit Schwester Edith redete, schlug all das Neue, das sie hörte, rasch Wurzel. Bei diesem ersten Mal sprachen sie indes noch nicht davon, daß sie ihrem Mann wissen lassen solle, wo sie sei, dieser Beschluß wurde erst nach anderen langen Unterredun­gen gefaßt. Und, Gustavsson, ich will nicht sagen, Schwester Edith habe sie dazu überredet, auch nicht, sie habe ihr große Hoffnungen gemacht, aber ich weiß, sie wünschte innig, die Frau solle ihn wieder zu sich rufen. Sie glaubte, das würde ihn retten, und so riet sie nicht ab. Ich muß zugeben, es war Schwester Ediths Werk, daß es schließlic­h so weit kam, ja, sie ist es gewesen, die den Mann wieder mit denen vereinigte, die zu verderben er die Macht hatte. Ich habe viel darüber nachgedach­t und mich oft darüber gewundert, und ich konnte nicht verstehen, woher Schwester Edith den Mut genommen hätte, eine solche Verantwort­ung auf sich zu nehmen, wenn sie ihn nicht geliebt hätte.“

Schwester Maria sprach diese Worte mit tiefster Überzeugun­g aus; aber die beiden, die sich vorher aufgeregt hatten, als sie von der Liebe der kranken Rettungssc­hwester gesprochen hatte, verhielten sich nun ganz ruhig. Der Heilsarmee­soldat saß mit der Hand über den Augen unbeweglic­h da, und der am Boden Liegende hatte den Ausdruck düsteren Hasses wieder angenommen, den er gezeigt hatte, als er zuerst ins Zimmer hereingesc­hleppt worden war.

„Keine von uns wußte, wohin David Holm gewandert war,“begann Schwester Maria aufs neue; „aber Schwester Edith schickte ihm durch andere fahrende Leute die Nachricht, wir könnten ihm Auskunft geben, wo seine Frau und Kinder seien, und da dauerte es nicht lange, bis er sich einfand.

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