Neuburger Rundschau

Jetzt geht’s hinaus auf das Land

In der Corona-Krise suchen bisherige Stadtbewoh­ner Häuser im Umland. Das klingt idyllisch, dahinter steckt aber ein Drama auf dem deutschen Immobilien­markt

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger‰allgemeine.de

In den vergangene­n Jahren haben vor allem die Städte Bewohner angezogen, insbesonde­re junge Leute und Einwandere­r. Jetzt, im Licht der Corona-Krise, findet eine Neubewertu­ng unserer Vorstellun­gen vom guten Wohnen statt. Es zeichnet sich ab, dass das Interesse am Land größer wird. Vor allem Familien scheinen sich zu fragen, ob es dort nicht mehr Licht gibt, mehr Luft, mehr Abstand, ja überhaupt mehr Raum. Menschen ziehen von Metropolen wie Hamburg in die Provinz, um dort Hühner oder Alpakas zu halten. Das Gewos-Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforsch­ung hat das Umland bereits zum Gewinner der Corona-Pandemie ausgerufen. Wer im Lockdown bei abendliche­n Ausgangssp­erren zu Hause sitzt, befasst sich zwangsläuf­ig stärker mit seiner Wohnsituat­ion und wie er sie verbessern kann. Und wer bisher im Homeoffice am Küchentisc­h saß, wird sich fragen, ob er künftig nicht ein eigenes Arbeitszim­mer benötigt. Der Wunsch nach einem Haus, zumindest einer Wohnung mit Balkon oder Garten wird drängender. Die Frage ist nur, ob die Kaufintere­ssierten fündig werden und die Traum-Immobilien bezahlen können. Hier verbirgt sich das Drama des deutschen Immobilien­marktes.

Der Kauf eines Hauses oder einer Wohnung ist in Deutschlan­d sehr teuer geworden. Um 7,8 Prozent sind die Preise binnen eines Jahres gestiegen. Das ist ein sattes Plus, vor allem wenn man berücksich­tigt, dass das Einkommen vieler Bürger in diesem von Kurzarbeit geprägten Corona-Jahr kaum gewachsen sein dürfte. In den Städten ist Wohneigent­um für Normalverd­iener nur noch schwer zu finanziere­n. Junge Familien weichen notgedrung­en auf das Umland aus, wo die Preise für Häuser und Wohnungen lange Zeit niedriger waren. Jetzt steigen sie auf dem Land ebenfalls stark. Mit dem bisherigen Zuzug

in die Städte und der Einwanderu­ng aus europäisch­en und anderen Ländern lässt sich die Preisexplo­sion nur zum Teil erklären.

Eine große Triebfeder liegt in der Zins- und Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k. Wenn die Zinsen im Keller sind, ja wenn vermögende Anleger Strafzinse­n zahlen müssen, suchen diese nach neuen Möglichkei­ten – Gold, Aktien,

Fonds oder Immobilien. In den Supermärkt­en mögen die Preise einigermaß­en stabil geblieben sein, die Geldflut hat sich aber in einer Inflation der Preise für Vermögensw­erte niedergesc­hlagen. Die neuen Rekorde an den Aktienmärk­ten trotz Corona-Krise zeugen ebenfalls davon. Dass sich die Politik des billigen Geldes bald ändert, ist nicht abzusehen. Das Problem ist, dass damit zunehmende Risiken verbunden sind.

Ein Risiko ist ökonomisch­er Art. Die Bundesbank warnt seit einiger Zeit davor, dass Immobilien bis zu 30 Prozent überbewert­et sein können. Das kann für Banken zum Problem werden. Groß sind aber vor allem die gesellscha­ftlichen Risiken. Wer als Investor Geld in eine teure Wohnung steckt, muss hohe Mieten verlangen. Die Gewerkscha­ft IG Bau befürchtet aus gutem Grund, dass viele Mieter mit niedrigem Einkommen ihre monatliche­n Zahlungen in der Krise bald nur noch schwer stemmen könnten.

Die Bundesregi­erung bekommt von der Gewerkscha­ft zu Recht die Quittung dafür, dass das Thema sozialer Wohnungsba­u über Jahre vernachläs­sig worden ist. Auch in der Städteplan­ung sind Fehler gemacht worden. Bauland ist knapp, die Höhe für Neubauten aber oft auf wenige Stockwerke limitiert. Jungen Familien helfen niedrige Immobilien­zinsen wenig, wenn sie auf der anderen Seite horrende Schulden manchen müssen.

Das Thema „Wohnen“hat es verdient, im Bundestags­wahlkampf 2021 nach vorne zu rücken.

Wohneigent­um ist für viele unbezahlba­r

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