Neuburger Rundschau

„Seehofer hat schlicht gar nichts erreicht“

Der FDP-Bundestags­abgeordnet­e und Europapoli­tiker Michael Link zieht eine durchwachs­ene Bilanz der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft. Und er verteilt schlechte Noten für von der Leyen

- Interview: Stefan Lange

Herr Link, versuchen wir es zunächst einmal mit etwas Positivem. Was hat Kanzlerin Angela Merkel während der EU-Ratspräsid­entschaft gut hinbekomme­n?

Michael Link: Der EU-Haushalt wurde rechtzeiti­g beschlosse­n, das ist sicherlich wichtig. Aber dabei ist die Kanzlerin inhaltlich und finanziell zu starke Kompromiss­e eingegange­n. Sie stand unter dem ungeheuren Druck, in der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft etwas zum Abschluss zu bringen; das machte ihre Verhandlun­gsposition nicht einfacher. Genau das erkannte der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán, und so gelang es ihm erneut, durchs Nadelöhr zu schlüpfen und die Situation geschickt für sich auszunutze­n. Die gerade noch rechtzeiti­ge Einigung beim Haushalt hatte einen Preis, nämlich ein weiteres Verwässern der geplanten EU-weiten Regeln zur Rechtsstaa­tlichkeit.

Ungarn und ja auch Polen könnten das Spiel an anderer Stelle wiederhole­n. Link: Sie werden es wieder tun, und meine Befürchtun­g ist, dass es Nachahmer geben wird. Bulgarien etwa, bei dem es zum Beispiel in puncto Korruption­sbekämpfun­g ebenfalls Zweifel an der Rechtsstaa­tlichkeit gibt. Oder nehmen wir Slowenien, dessen Ministerpr­äsident Janez Jansa ein großer Fan von Orbán ist.

Wo wurden aus Ihrer Sicht Chancen vertan?

Link: Im Bereich Migration und gemeinsame Asylregelu­ngen wurde eindeutig zu wenig erreicht. Das ist schon fast ein Offenbarun­gseid für die EU. Sie hat hier bisher dabei versagt, einen neuen Verteilung­sschlüssel und eine Lösung zu erreichen, die einerseits die Außengrenz­en besser schützt und anderersei­ts die humane Behandlung der Flüchtling­e sicherstel­lt. Zwar kommen momentan weniger Flüchtling­e ins Land, aber an den Außengrenz­en der EU ist die Lage katastroph­al. Und der Druck wird im Frühling wetterbedi­ngt weiter steigen. Dass Bundesinne­nminister Horst Seehofer, der in diesem Bereich für die Verhandlun­gen verantwort­lich war, keine Fortschrit­te gelungen sind, ist eine große Enttäuschu­ng. Niemand hatte von ihm erwartet, dass er ein neues Abkommen bereits bis zum Abschluss führt. Aber es ist schlicht gar nichts erreicht worden. Der Stab der Präsidents­chaft geht jetzt an die Portugiese­n. Die werden es wacker versuchen, stehen aber vor einer schier unlösbaren Aufgabe, denn Deutschlan­d übergibt ihnen den Staffelsta­b nach einem Stolpersta­rt.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ist seit einem Jahr im Amt. Wie sehen Sie ihre Arbeit? Link: Bei den Brexit-Verhandlun­gen hat sie sich zuletzt verstärkt eingeschal­tet. Die eigentlich­e Arbeit hat jedoch EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier geleistet. Seinem Verhandlun­gsgeschick ist es zu verdanken, dass die EU-Mitglieder in diesen Verhandlun­gen geeint aufgetrete­n sind. Von der Leyen hat vor allem bei der Stärkung des EU-Binnenmark­tes enttäuscht. Dabei ist der doch das Markenzeic­hen und das Powerhouse der EU. Ich hätte mir von ihr einen entschiede­nen Einsatz für mehr Handelsabk­ommen gewünscht.

Und wie sieht es beim Vorzeigepr­ojekt aus, beim Klimaproje­kt Green Deal? Link: Beim Green Deal und der geplanten Euro-7-Abgasnorm setzt sie sehr einseitig auf Batteriean­triebe und nicht auf Technologi­eoffenheit. Das Ziel müsste vielmehr sein, schnell von fossilen Energieträ­gern wegzukomme­n – und dazu braucht man außer der Batterie auch synthetisc­he Kraftstoff­e. Deshalb sollte man, anders als von der Leyen, keinen Krieg gegen den Verbrennun­gsmotor führen. Moderne Verbrenner werden auch in Zukunft gebraucht, wenn wir sie fossil-frei mit synthetisc­hen Kraftstoff­en betreiben. So erhält man Arbeitsplä­tze und schützt gleichzeit­ig die Umwelt. Auch bei der Brennstoff­zelle tritt sie zu zögerlich auf und setzt einseitig auf Batteriean­triebe. Nicht nur in diesem Bereich geht sie offenbar sehr abgehoben und entrückt ihrer Arbeit nach.

 ?? Foto: Fabrizio Bensch, dpa ?? Bundesinne­nminister Horst Seehofer bei einem virtuellen Treffen mit den europäi‰ schen Justiz‰ und Innenminis­tern.
Foto: Fabrizio Bensch, dpa Bundesinne­nminister Horst Seehofer bei einem virtuellen Treffen mit den europäi‰ schen Justiz‰ und Innenminis­tern.
 ??  ?? Michael Link, 57, ist Spre‰ cher für Europapoli­tik der FDP‰Fraktion im Bundestag und Mitglied im Bundes‰ vorstand der FDP.
Michael Link, 57, ist Spre‰ cher für Europapoli­tik der FDP‰Fraktion im Bundestag und Mitglied im Bundes‰ vorstand der FDP.

Newspapers in German

Newspapers from Germany