Neuburger Rundschau

Die vergessene Balkanrout­e

Ein Feuer im verwahrlos­ten Camp Lipa bringt das Elend zurück in die Schlagzeil­en. Jetzt gibt es Hoffnung für 700 Menschen, der Kälte zu entkommen. Viele andere leiden weiter

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Nicht zum ersten Mal ist es ein Feuer in einem Auffanglag­er, das die Welt aufschreck­t und an das Elend von Flüchtling­en erinnert. Aber auch daran, dass die berüchtigt­e Balkanrout­e, auf der 2015/16 Hunderttau­sende in Richtung Westen unterwegs waren, noch immer existiert. Über die Skelette der Zelte und Container des am 23. Dezember ausgebrann­ten Camps Lipa unweit der bosnischen Stadt Bihac hat sich eine gnädige Schneeschi­cht gelegt. Fast wie ein Weichzeich­ner. Dabei wussten rund 1400 Menschen – fast ausschließ­lich Männer – nicht mehr wohin, suchten verzweifel­t Zuflucht in leer stehenden Gebäuden, schutzlos der schneidend­en Kälte ausgesetzt.

Doch am Dienstagna­chmittag keimte für ein Teil der Menschen neue Hoffnung auf. Rund 700 Afghanen und Pakistani, die wieder nach Lipa zurückgeke­hrt waren, um in vom Feuer verschonte­n Containern Zuflucht zu suchen, wurden am Nachmittag evakuiert. Busse standen für die Migranten bereit. Der Bayerische Rundfunk berichtete über Hinweise, dass die Menschen zunächst nach Sarajevo gefahren sollten. Wie es danach weitergeht, war am Dienstag völlig unklar. Immerhin sind die Flüchtling­e zunächst vor der Kälte geschützt.

Der Brand, der die Schlagzeil­en auslöste, zerstörte einen großen Teil des Aufnahmela­gers Lipa. Tote oder Verletzte gab es jedoch nicht: Schließlic­h loderten die Flammen am Tag vor Heiligaben­d erst, nachdem das Camp bereits fast völlig geräumt war. Der Betreiber von Lipa, die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM), die zum UN-System gehört, hatte das Camp zuvor geschlosse­n. Es wird vermutet, dass wütende frühere Bewohner das Feuer gelegt haben.

Der IOM-Vertreter in Bosnien, Peter Van der Auweraert, hatte die Aufgabe von Lipa damit begründet, dass das Camp ohne Generatore­n schlicht nicht winterfest sei: „Das Risiko, dass das hier Menschenle­ben kostet, ist viel zu groß.“Die IOM beklagt, dass die örtlichen Behörden trotz finanziell­er Unterstütz­ung durch die Europäisch­e Union kaum Anstalten machten, die Lage im Camp zu verbessern. So wurde Lipa bis zuletzt entgegen den Zusagen nicht an das Strom- und Wassernetz angeschlos­sen. Nicht wenige Helfer gehen davon aus, dass die Unterstütz­ung aus politische­n Gründen verweigert wird.

Was sich in den Tagen nach der Schließung abspielte, zeigt, wie zerfahren und angespannt die Situation in Bosnien und auf dem Balkan insgesamt ist. Gerade im Nordwesten Bosniens, durch das ein Nebenarm der Balkanrout­e verläuft, fühlen sich viele Einwohner, die zu Beginn der Flüchtling­skrise von 2015 noch für ihre Gastfreund­schaft gerühmt wurden, von ihrer Regierung und der EU im Stich gelassen. Entspreche­nd

gering ist die Bereitscha­ft in den Regionen und Städten, Flüchtling­e aufzunehme­n.

So steigerten Teile der Bevölkerun­g der Stadt Bihac mit ihren gut 60000 Einwohnern den Druck auf die Behörden, eine Halle, in der rund 1000 Migranten lebten, zu schließen. Letztlich mit Erfolg. Im Sommer mussten die Männer gehen. Viele kamen nach Lipa. Als nun auch dieses Camp aufgelöst wurde, sollten sie zurück in die Halle nach Bihac. Doch die örtliche Polizei sowie aufgebrach­te Bürger verhinderw­erden ten dies. Noch schwierige­r dürfte es für die Flüchtling­e sein, ihrem eigentlich­en Ziel näherzukom­men. Denn der Weg in Richtung Westen ist lang – und er führt durch Kroatien. Ein für die Flüchtling­e berüchtigt­es Transitlan­d mit einer Grenzpoliz­ei, die fest entschloss­en ist, die Migranten abzuwehren. Immer wieder melden Hilfsorgan­isatoren, dass die kroatische­n Beamten dabei auch auf Gewalt und nach dem Asylrecht illegale Abschiebun­gen ohne Prüfung setzen.

Die Afghanen und Pakistani, die in Bosnien feststecke­n, wissen natürlich, dass ihre Chancen auf Asyl in den EU-Staaten sehr gering sind. Also landen auch die wenigen, die es tatsächlic­h bis nach Italien schaffen, meistens in der Illegalitä­t.

Warum also nicht zurückkehr­en? Das wäre für viele der Männer, die von ihren Familien nicht selten als Hoffnungst­räger mit hart erarbeitet­en Ersparniss­en auf die Reise geschickt wurden, ein Eingeständ­nis des Versagens. Also harren viele von ihnen aus, in abbruchrei­fen Häusern oder in verwahrlos­ten Lagern. Meistens, ohne dass die Weltöffent­lichkeit von ihrem Schicksal Notiz nimmt. Es sei denn, es brennt mal wieder – wie im Camp Lipa.

Die Bevölkerun­g fühlt sich von der EU im Stich gelassen

 ?? Foto: Kemal Softic, dpa ?? Ein Feuer zerstörte Zelte und Container in dem bereits geschlosse­nen Flüchtling­scamps Lipa, unweit der bosnischen Stadt Bihac. Die früheren Bewohner standen in den Tagen danach bei klirrender Kälte auf der Straße. Sie wussten nicht wohin. Ein Teil von ihnen wurde am Dienstag offenbar in Sicherheit gebracht.
Foto: Kemal Softic, dpa Ein Feuer zerstörte Zelte und Container in dem bereits geschlosse­nen Flüchtling­scamps Lipa, unweit der bosnischen Stadt Bihac. Die früheren Bewohner standen in den Tagen danach bei klirrender Kälte auf der Straße. Sie wussten nicht wohin. Ein Teil von ihnen wurde am Dienstag offenbar in Sicherheit gebracht.

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