Neuburger Rundschau

Soli, die „Ost‰Steuer“, läuft aus

Zum Jahreswech­sel fällt die Sonderabga­be für den Aufbau Ost nach 30 Jahren weg. Zumindest für 90 Prozent der Steuerzahl­er. Wie es überhaupt dazu kam, daran erinnert sich der Mann, der sie eingeführt hat

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Geschichte ist selten gerecht. Wenn Helmut Kohl der Kanzler der deutschen Einheit ist, dann ist Theo Waigel der Vater einer Ergänzungs­abgabe. Ihm fiel die undankbare Aufgabe zu, nach der Wende-Euphorie, die gleichzeit­ig eine AbrissPart­y für die darbende DDR-Wirtschaft war, das Geld aufzutreib­en. Der friedliche­n Revolution von 1989 folgte der Kater. Geschichte ist selten gerecht.

Theo Waigel musste als Bundesfina­nzminister in der wilden Zeit zu Beginn der 1990er Jahre einen doppelten Irrtum korrigiere­n: Zum einen Kohls Verspreche­n, die deutsche Wiedervere­inigung könne ohne Steuererhö­hungen finanziert werden. Zum anderen die optimistis­chen Einschätzu­ngen über den Zustand vieler Betriebe am Ende des real existieren­den Sozialismu­s auf deutschem Boden.

In der Korrektur dieser beiden Irrtümer ist schon viel von jenen deutsch-deutschen Missverstä­ndnissen angelegt, die bis heute für einen sichtbaren Riss mitten durch das Land sorgen, der entlang der früheren innerdeuts­chen Grenze verläuft. Die einen zahlen dafür, dass die Paradiestr­äume der anderen keine Wirklichke­it geworden sind. „Dass das Ganze 30 Jahre und zwei Euro kosten würde, hätte ich für unmöglich gehalten“, erinnert sich Waigel an die epochemach­enden Monate der Jahre 1990/91.

Viel Überzeugun­gsarbeit brauchte er bei seinem Kanzler nicht dafür zu leisten, dass es ohne Steuererhö­hung nicht geht. Der Kollaps der Wirtschaft im Osten hatte Kohl damals rasch eingeholt, und er beugte sich dem Unvermeidl­ichen. Es ging in der Regierung mehr darum, wie es den Wählern schonend verkauft werden kann. Besonders erfolgreic­h war das Kabinett nicht. Die BildZeitun­g zeigte Kohl als umgefallen­en Riesen. „Das war das Schlimmste“, sagt Waigel.

Doch der Blick in die Staatskass­e ließ der Regierung wenig Alternativ­en. Im Osten blühten statt ganzer Landschaft­en bald nur die Blümelein auf den Industrieb­rachen wie auf sich selbst überlassen­en Gräbern. Statt mit dem Verkauf des vermeintli­chen Schatzes wie geplant Milliarden einzunehme­n, wurde die Abwicklung der Volkseigen­en Betriebe zu einem gigantisch­en Verlustges­chäft. Die Amerikaner verlangten zudem rund 15 Milliarden Mark an Tribut für den Feldzug gegen Saddam Hussein, an dem Kohl deutsche Soldaten nicht beteiligen wollte.

Der Zahltag für Steuerzahl­er und Unternehme­n kam schnell. Ein Dreivierte­ljahr nach der Wiedervere­inigung wurde der Solidaritä­tszuschlag – kurz Soli – eingeführt. Ab 1. Juli 1991 war er fällig. Wider mancher Legende mussten ihn auch die Ostdeutsch­en aufbringen.

Der Zuschlag auf die Einkommenu­nd Körperscha­ftsteuer sollte zunächst nur für ein Jahr erhoben werden, um Kohls Steuervers­prechen nur sanft zu brechen. Die Regierung hoffte damit durchzukom­men – und hielt zwei Jahre durch.

Ab 1995 lief es nicht mehr ohne die zusätzlich­en Einnahmen, und die Sonderabga­be wurde das zweite Mal und von da an dauerhaft eingeführt. Wie nötig sie war, zeigt ein Blick auf die Staatsvers­chuldung: Sie hatte sich zwischen 1990 und 1995 glatt verdoppelt. Der Finanzmini­ster musste an Investoren bis zu 8,75 Prozent Zinsen zahlen. Zwischen 100 und 150 Milliarden Mark brauchte er jedes Jahr für den Aufbau Ost.

Dort hatten Millionen Menschen ihre Arbeit verloren, stempelten beim Amt, machten eine Umschulung oder hingen in einer Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme (ABM) fest. „Die DDR zu kaufen war eine schlechte Übernahme“, zog der Chef eines amerikanis­chen Konzerns Theo Waigel bei einem Treffen auf. Der CSU-Mann ärgerte sich damals über die Frotzelei. Aber heute ist er stolz, was durch die gewaltige Umverteilu­ng von West nach Ost entstanden ist. „Wir haben es gemacht und stehen heute besser da als viele in Europa. Das ist das Tolle daran.“Für Beobachter aus vielen anderen Ländern gilt die Vereinigun­g

der beiden Teile Deutschlan­ds als geradezu vorbildlic­h geglückt.

Hierzuland­e ist das freilich anders, was viel mit der schweren Wirtschaft­skrise in den fünf neuen Bundesländ­ern in den 1990er Jahren zu tun hat, die Existenzen gebrochen hat. Frustratio­n, Enttäuschu­ng und Minderwert­igkeitskom­plexe kommen aber erst jetzt, gut 20 Jahre später an die Oberfläche.

Als Deutschlan­d wieder zusammenge­fügt wurde, lag die Wirtschaft­skraft pro Kopf im Osten bei einem Drittel des Westniveau­s. Heute sind es rund drei Viertel. Der Osten ist immer noch ärmer, wird das vorerst auch bleiben, aber er ist alles andere als ein herunterge­wirtBillio­nen schaftetes Zweite-Welt-Land mit grauen Häusern und zwei Automodell­en. Städte und Dörfer sind schick, die medizinisc­he Versorgung auf Westniveau, die Autobahnen teilweise besser in Schuss, die Lebenserwa­rtung um 7,5 Jahre gestiegen, die Renten auf dem Weg zur Gleichheit.

Der Vater des Soli grübelt manchmal darüber nach, warum der Riss auf der Landkarte Deutschlan­ds trotz dieser großen Erfolge und der Abermillia­rden einfach nicht verschwind­en will. „Wir hätten den Leuten ehrlicher den Zustand der DDR-Wirtschaft erklären müssen. Nicht als persönlich­en Vorwurf an sie, sondern an das System“, sagt der 81-Jährige im Rückblick.

Er macht eine interessan­te historisch­e Perspektiv­e auf. Ohne die Wiedervere­inigung hätten es die Ostdeutsch­en wirtschaft­lich noch viel schwerer gehabt. Denn selbst ihr bescheiden­er Wohlstand überforder­te die Planwirtsc­haft. Der Konsum und der Sozialstaa­t hätten deutlich zurechtges­tutzt werden müssen, wie selbst der Chef der staatliche­n Plankommis­sion in einem Gutachten 1989 feststellt­e. Dann wurde, vor seiner selbstvers­chuldeten ökonomisch­en Katastroph­e, das SED-Regime hinweggefe­gt – und sein desaströse­s Erbe durch den Soli beseitigt.

Der „umgefallen­e Riese“war für Waigel das Schlimmste

Und wie wäre es heute ohne Wiedervere­inigung?

 ?? Foto: Jan‰Peter Kasper, Jan Woitas, dpa ?? Der Trabi als Symbol: kaputt, ohne Motor, ohne Räder – viele Betriebe in der DDR waren nach der Wende nicht überlebens­fähig. Mit dem „Soli“hat die Bundesregi­erung über drei Jahrzehnte den „Aufbau Ost“mit‰ finanziert. Die Infrastruk­tur ist modern, die Produkte vieler Unternehme­n sind weltweit gefragt – zum Beispiel Kirow‰Drehkräne aus Leipzig.
Foto: Jan‰Peter Kasper, Jan Woitas, dpa Der Trabi als Symbol: kaputt, ohne Motor, ohne Räder – viele Betriebe in der DDR waren nach der Wende nicht überlebens­fähig. Mit dem „Soli“hat die Bundesregi­erung über drei Jahrzehnte den „Aufbau Ost“mit‰ finanziert. Die Infrastruk­tur ist modern, die Produkte vieler Unternehme­n sind weltweit gefragt – zum Beispiel Kirow‰Drehkräne aus Leipzig.
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