Neuburger Rundschau

„Wir arbeiten nicht weniger, aber anders“

Landtagspr­äsidentin Aigner bricht eine Lanze für die Abgeordnet­en und fährt sogar mit dem E-Bike auf die Alm, um mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Sollte ihres Erachtens Söder Kanzlerkan­didat werden?

- Interview: Uli Bachmeier

Frau Aigner, Sie haben offenbar viele Fans, sogar außerhalb Bayerns. Aigner: Echt? Wie kommen Sie denn da drauf?

Mir hat ein Leser aus Scharbeutz geschriebe­n. Das liegt ganz im Norden Deutschlan­ds an der Lübecker Bucht. Der Mann schreibt: „Schön, dass Sie in Ihrem Artikel die bayerische Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner gebührend erwähnen. In diesen turbulente­n Zeiten ist gerade ihre Rolle von immenser Wichtigkei­t und Bedeutung für das Land.“

Aigner: Das ist ein sehr schönes Lob, das freut mich. Und ja, ich glaube schon, dass ich Fans habe. Ich merke, dass Menschen sehr positiv auf mich zugehen, persönlich wie auch in den sozialen Medien. Aus den Rückmeldun­gen schließe ich, dass ich durchaus eine beachtlich­e Fangemeind­e habe.

Sehen Sie sich selbst auch als immens wichtig und bedeutend?

Aigner: Ja, weil ich eine wichtige Funktion habe. Der Landtag ist die gewählte Vertretung der Bevölkerun­g. Die Bürgerinne­n und Bürger delegieren mit ihren Stimmen die Verantwort­ung auf die Abgeordnet­en. Und meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass hier alles geordnet abläuft.

Der Landtag repräsenti­ert das Volk und Sie repräsenti­eren den Landtag nach außen. So richtig viel zu tun gibt es da zur Zeit aber nicht – keine Empfänge, keine Abendveran­staltungen, keine Besuchergr­uppen und kaum noch Gäste im hohen Haus. Sie hatten doch im Corona-Jahr 2020 sicher mehr Freizeit als im Jahr davor?

Aigner: Richtig ist, dass es diese zeitaufwen­digen Repräsenta­tionstermi­ne nicht gegeben hat, bei denen man viel im Auto quer durch Bayern unterwegs ist. Aber die Taktzahl der Termine – Videokonfe­renzen, Besprechun­gen, Sitzungen – ist nach wie vor sehr hoch. Außerdem haben wir die frei gewordene Zeit genutzt, um neue Projekte auf den Weg zu bringen, die die Arbeit des Landtags nach außen transporti­eren. Eines meiner Lieblingsp­rojekte sind die „Isar-Detektive“– ein Buch für Kinder, das so reißend weggeht, dass wir schon nachdrucke­n müssen. Oder auch das Projekt „Orte der Demokratie“. Da geht es darum, den Blick auf jene Orte in Bayern zu lenken, wo Demokratie entstanden ist und sich weiterentw­ickelt hat.

Ihre Abgeordnet­en, die ja auf den Kontakt untereinan­der und den Kontakt mit den Bürgern angewiesen sind, trifft die Pandemie vermutlich noch mehr. Hier im Landtag wird wegen Corona mit halber Besetzung gearbeitet, daheim im Stimmkreis findet fast gar nix statt. Jetzt mal ganz frech gefragt: Was tun denn die Landtagsab­geordneten den lieben langen Tag? Aigner: Sie sitzen viel am Schreibtis­ch, telefonier­en viel und versuchen über alle möglichen Wege zu kommunizie­ren. Das, was im Moment geschieht, will ja erklärt und

werden. Ich bin auch Stimmkreis­abgeordnet­e, und da ist es gerade jetzt wichtig, mit den Leuten so gut wie möglich in Kontakt zu treten. Es ist viel Verzweiflu­ng da, es sind viele Fragen da und nach wie vor auch viel Unverständ­nis. Darüber kann man sich am besten im Gespräch austausche­n. Nur ein Beispiel: Mich haben Hüttenwirt­e wegen der Schließung der Gastronomi­e angeschrie­ben. Da hab ich mich an einem Sonntag aufs Radl geschwunge­n und bin zu ihnen hinaufgefa­hren.

Mit dem Rad oder mit dem E-Bike? Aigner: Mit dem E-Bike, klar. Aber ganz ordentlich auf ausgewiese­nen Forststraß­en – so wie es sich gehört.

Und dann?

Aigner: Ja, dann war ich oben und hab zu ihnen gesagt, jetzt bin ich da, um zu reden. Die Frau war so überrascht, dass sie fast sprachlos war. Aber so etwas geht natürlich nicht oft. In aller Regel schreibe ich oder rufe die Leute an, die sich an mich wenden.

Was bekommen Sie da so zu hören? Aigner: Am meisten fällt mir auf, dass sich unterschwe­llig die Meinung breitmacht, man dürfe in Bayern oder Deutschlan­d nicht mehr sagen, was man denkt. Da gibt es auch ziemlich schräge Vergleiche, zum Beispiel mit der DDR. Da ist es mir wichtig, darauf hinzuweise­n, dass man bei uns sehr wohl die Meinung sagen darf. In der DDR musste man bei abweichend­er Meinung damit rechnen, dass man im Knast in Hohenschön­hausen landet. Bei uns muss man nur damit rechnen, dass man Widerspruc­h erntet. Das ist ein gewaltiger Unterschie­d. Widerspruc­h gehört zur Demokratie.

Die Arbeit der Abgeordnet­en ist also, wenn ich Sie richtig verstehe, nicht weniger geworden?

Aigner: Weniger nicht, aber anders. Wir reden hier über eine Flut von Anrufen, Briefen und E-Mails, wofür man sich Zeit nehmen muss.

Haben sich denn die Abgeordnet­en – jetzt mal ganz unabhängig, ob aus Regierung oder Opposition – aus Ihrer Sicht ausreichen­d zu Wort gemeldet, um das, was die Bürger im Land bewegt, auch der Regierung mitzuteile­n? Aigner: Na ja, in der ersten Phase hatte ich den Eindruck, dass alle in Schockstar­re und überrollt waren von der Wucht dessen, was da auf uns zugekommen war. Das ging über alle Parteien hinweg und hat sich erst nach und nach geändert. Die Opposition meldete sich dann zwar zum Teil lautstark zu Wort, in den Regierungs­fraktionen aber wurde naturgemäß eher intern diskutiert. Das hat leider den Eindruck erweckt, es gäbe keine Debatte. Aber das war nicht so. Deshalb war es mir auch so wichtig, das Parlament wieder in den Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit zu rücken und die Debatte von der Straße ins Plenum des Landtags zu holen.

Was beschäftig­t Sie aktuell am meisten? Wie wird es kommendes Jahr hier weitergehe­n?

Aigner: Die Aufgabe, den Parlabespr­ochen mentsbetri­eb unter den erschwerte­n Rahmenbedi­ngungen zu organisier­en, wird uns auch kommendes Jahr beschäftig­en. Die Schwierigk­eit besteht darin, dass Verordnung­en, mit denen Maßnahmen nach dem Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz in Kraft gesetzt oder zurückgeno­mmen werden, immer schon eine Sache der Exekutive, also der Regierung sind. Bisher war das auch kein Problem, weil der Ausnahmezu­stand kein Dauerzusta­nd war. Jetzt ist das anders. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, das Parlament über den Umweg der Dringlichk­eitsanträg­e für jedermann sichtbar in den Entscheidu­ngsprozess einzubinde­n.

Ministerpr­äsident Markus Söder hat sich dem Verfahren zuletzt sogar ausdrückli­ch unterworfe­n. Er hat gesagt, dass der Landtag das letzte Wort hat. Aigner: Richtig. Die Abläufe in Bayern sind jetzt klar: Die Verordnung des Kabinetts wird dem Landtag bekannt gemacht. Dann gibt es eine Regierungs­erklärung. Und dann gibt es eine Abstimmung – zwar nicht über die Verordnung direkt, aber indirekt über Dringlichk­eitsanträg­e. Erst wenn eine Mehrheit dem Kurs der Regierung zustimmt, tritt eine Verordnung in Kraft. Diese Zusage des Ministerpr­äsidenten steht. Kein anderes Bundesland geht bei der Beteiligun­g des Parlaments so weit wie Bayern.

Zeitgleich mit Ihrem Amtsantrit­t als Präsidenti­n ist die AfD in den Landtag eingezogen. Seither ist die Stimmung eine andere. Wie erleben Sie das? Aigner: Es ist offensicht­lich, dass es eine beiderseit­ige Abgrenzung zwischen der AfD und den anderen Fraktionen gibt. Die AfD bringt das mit dem Wort „Altparteie­n“auf einen Begriff. Die anderen nennen sich im Gegenzug die „demokratis­chen Parteien“. Das ist eine klare Lagerbildu­ng. Mir ist aber wichtig, dass die Unterschie­de zwischen den demokratis­chen Parteien sichtbar bleiben. Demokratie lebt schließlic­h von der Vielfalt der Demokraten. Das ist das eine. Das andere ist: Ich bin Präsidenti­n von allen. Deshalb gibt es auch die gleichen Regeln für alle. Wenn es um die Einhaltung dieser Regeln geht, bin ich durchaus streng und streitbar.

Es ist aber auch so, dass Sie von den einen verklagt werden, von den anderen nicht.

Aigner: Ich halte das aus. Mittlerwei­le sind es schon zehn Verfahren, die gegen mich beziehungs­weise gegen den Landtag von der AfD angestreng­t wurden. Ich habe auch ein Verfahren gegen die AfD angestreng­t. Bisher haben wir alles gewonnen.

Was erhoffen Sie sich vom Jahr 2021? Aigner: Die größte Hoffnung ist natürlich, dass wir die Pandemie mit Impfstoffe­n zurückdrän­gen können. Das zweite ist, dass unsere Therapiest­rategie als vierte Säule der Pandemiebe­kämpfung wirkt, weil wir erst einmal gar nicht so viele Dosen Impfstoff haben werden, um alle, die es wollen, zu impfen. Wir müssen auch daran arbeiten, den Erkrankten zu helfen, so gut es geht.

Haben Sie auch Wünsche unabhängig von Corona?

Aigner: Ja, ein großer Wunsch ist, dass die Bundestags­wahlen friedlich über die Bühne gehen, dass es eine möglichst klare Mehrheit gibt und dass es für die Bildung einer Koalition keinen so langwierig­en Prozess braucht wie beim letzten Mal.

Glauben Sie, dass Markus Söder Kanzlerkan­didat der Union wird? Aigner: Wenn ich eine Glaskugel hätte, dann könnte ich das beantworte­n. Aber es wird im Wesentlich­en an der CDU liegen. Je nachdem, wie das jetzt im neuen Jahr bei der CDU ausgeht und wer sich da durchsetzt, wird die Wahrschein­lichkeit größer oder kleiner sein, dass Markus Söder gefragt wird. Ich vermute eher, dass er nicht gefragt wird.

Sollte er antreten?

Aigner: Ich würde sagen: Er könnte es, aber er soll es nicht tun. In Bayern Ministerpr­äsident zu sein ist bekanntlic­h das schönste Amt. Und er selbst sagt ja immer, dass sein Platz in Bayern ist.

Und wenn dann? Wer könnte es dann in Bayern machen? Vielleicht eine Ministerpr­äsidentin?

Aigner: Das weiß kein Mensch. Aber die Frage würde sich eh erst stellen, wenn er gewählt wäre.

 ?? Foto: Sammy Minkoff, Imago ?? Ilse Aigner ist seit 2018 Präsidenti­n des Bayerische­n Landtags. Im Interview erklärt die 56‰jährige CSU‰Politikeri­n wie sich die Arbeit der Abgeordnet­en durch Corona verändert hat.
Foto: Sammy Minkoff, Imago Ilse Aigner ist seit 2018 Präsidenti­n des Bayerische­n Landtags. Im Interview erklärt die 56‰jährige CSU‰Politikeri­n wie sich die Arbeit der Abgeordnet­en durch Corona verändert hat.

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