Neuburger Rundschau

„Literatur prägt einen Ort stärker als alles andere“

33 Jahre lang war Peter Fassl ein Handlungsr­eisender in Sachen Schwaben. Als Bezirkshei­matpfleger waren ihm Kultur, Denkmäler und die Landschaft ein Anliegen. Ein Gespräch über Heimat, den Zentralism­us und Bausünden

- Interview: Richard Mayr

Herr Fassl, 1987 haben Sie beim Bezirk Schwaben das Amt des Bezirkshei­matpfleger­s übernommen. Wie sah das damals aus, Bezirkshei­matpflege vor 33 Jahren?

Peter Fassl: Ich hatte eine Mitarbeite­rin im Sekretaria­t und einen sehr geschätzte­n Herrn, der mich im Bereich Denkmalpfl­ege beraten hat. Ansonsten hatte ich keine weiteren Mitarbeite­r.

Was wurde damals vom Bezirkshei­matpfleger erwartet?

Fassl: In Schwaben ist erstmals 1929/30 ein Bezirkshei­matpfleger angestellt worden.

In ganz Bayern?

Fassl: Ja, in ganz Bayern, auf Schwaben folgte Oberbayern erst 1954. Es gab damals einen politische­n Willen, ein eigenständ­iges kulturelle­s Profil für Schwaben zu entwickeln, weil man den Eindruck hatte, dass der bayerische Zentralism­us auch im Kulturbere­ich die Traditione­n des bayerische­n Schwabens, Schwabens überhaupt, überformt.

Bezirkshei­matpflege diente als ein Akt der Selbstbest­immung?

Fassl: Eindeutig auch als ein Akt der kulturpoli­tischen Selbstbest­immung. Wichtig ist in diesem Zusammenha­ng auch der Heimatbegr­iff der Heimatschu­tzbewegung, die Ende des 19. Jahrhunder­ts entstanden ist. Damals haben konservati­ve Gesellscha­ftskreise befürchtet, dass Industrial­isierung, Technisier­ung und gesellscha­ftliche Entwicklun­gen Traditione­n überformen und beiseite wischen. Zum Erbe der Heimatschu­tzbewegung gehörte ein konservati­ves, völkisches, nationales Denken.

Diese Heimatschu­tzbewegung war wichtig dafür, dass Schwaben schon in den 1920er Jahren einen Bezirkshei­matpfleger berufen hat?

Fassl: Das war eine der Voraussetz­ungen. In Schwaben ist mit dem fränkische­n Bereich eine aktuelle Heimatschu­tzbewegung unter Christian Frank aus Kaufbeuren entstanden. Seine „deutschen Gaue“sind ein Beispiel für die Heimatschu­tzbewegung. Der Umgriff war größer, wie der Name schon sagt, aber er hat im Schwäbisch­en gewirkt. Schwaben war früh dran. Da gibt es noch einen tieferen Grund. Der bayerische Zentralism­us hat wirklich alles auf München konzentrie­rt. Das neue bayerische Staatsbewu­sstsein konnte mit den regionalen Traditione­n nicht viel anfangen.

Ich unterbrech­e kurz: Es ist unglaublic­h, wie Sie Ihre Stelle als Bezirkshei­matpfleger aus einer wissenscha­ftlich-historisch­en Warte heraus betrachten. Es spricht jetzt nicht derjenige, der etwas übernommen und danach gemacht hat, sondern der Forscher. Wussten Sie das alles schon, als Sie das Amt angetreten sind 1987?

Fassl: Als ich angefangen habe, habe ich versucht, Heimatpfle­ge und meine Arbeit zu definieren – in einem Aufsatz. Ich habe geschriebe­n: Heimatpfle­ge als kritische Distanz, weil ich als Historiker gesehen habe, wie der Heimatbegr­iff in der NS-Zeit missbrauch­t worden ist. Gerade der von mir genannte Christian Frank, der als der Übervater der Heimatpfle­ge betrachtet worden ist, hat bei der Machtergre­ifung geschriebe­n: Jetzt oder nie. Das Hineingehe­n der Heimatschu­tzbewegung in den nationalso­zialistisc­hen Duktus war ein aktives Tun. All die Jahre war meine geistige Folie, dass man sehr genau formuliere­n muss und ganz genau aufpassen muss, wenn man in der Heimatpfle­ge tätig ist.

Mal salopp gesagt: Heimatpfle­ge klingt auf der einen Seite ein bisschen bieder und volkstümli­ch und auf der anderen Seite schwingt ein völkisches Denken mit, das in den Nationalso­zialismus gemündet ist.

Fassl: Ich habe all die Jahre zwei Beobachtun­gen gemacht. Das eine ist durchaus ein völkisches Denken, dann heißt es etwa – der Schwabe ist oder der Augsburger ist. Das ist ein Denken, das mit einem Substanzbe­griff arbeitet. Auf der anderen Seite habe ich festgestel­lt, dass ich belächelt wurde, wenn ich mich als Heimatpfle­ger vorgestell­t habe. Das ist die etwas vereinfach­te Sicht auf den Begriff Heimat und was mit Heimat und Kultur eben machbar ist. Zwischen diesen Einstellun­gen liegt das Arbeitsfel­d. Zu diesem hat zentral die Auseinande­rsetzung mit dem in der Tradition verwurzelt­en Antijudais­mus und Antisemiti­smus gehört. Dazu konnte ich seit 1989 in der Schwabenak­ademie Irsee jährlich wissenscha­ftliche Tagungen zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben durchführe­n.

Im Gegensatz zum Heimatmini­sterium, von dem niemand genau weiß, was es macht, hat die Bezirkshei­matpflege meines Erachtens ziemlich viel auf die Beine gestellt.

Fassl: Das Heimatmini­sterium ist eine jüngere Sache, zu der ich nicht Stellung nehme. Das Arbeitsgeb­iet der Heimatpfle­ge hat mit dem weitgespan­nten Begriff zu tun. Es würde dem Bau-, Kultur- und Grünordnun­gsreferat einer größeren Stadt entspreche­n.

Bau, Kultur und Grün?

Fassl: Natur und Landschaft, Kultur und natürlich die gebaute Kultur in Denkmälern und der Architektu­r der Gegenwart.

Aber das ist doch für einen Historiker ein fürchterli­ch weites Feld?

Fassl: Es ist eine Herausford­erung und gleichzeit­ig liegt darin der Reiz. Irgendwann stellt man fest, dass die Referate vielfach miteinande­r vernetzt sind.

Sie haben sich in alle drei Bereiche eingearbei­tet. Wenn Sie die Heimatpfle­ge jetzt Ihrem Nachfolger übergeben, ist das auch personell mehr geworden? Fassl: Sehr viel mehr, ja. Es sind wissenscha­ftliche Stellen, dokumentie­rende Stellen, Beratungss­tellen in der Denkmalpfl­ege wie auch im Bereich der freien Theater hinzugekom­men. Letztlich zugeordnet ist auch die Volksmusik, die Musikpfleg­e, auch die Trachtenbe­ratung. Daraus ergeben sich interessan­te Möglichkei­ten. Hinzu kommt das Netzwerk mit den historisch­en Vereinen, die oft die Basis der Kulturarbe­it im gesamten schwäbisch­en Raum bilden, und mit den Museen, die vor Ort sammeln, aber auch forschen.

Sie haben nicht nur Tagungen organisier­t, sondern auch Preise ins Leben gerufen – für Denkmalpfl­ege und Literatur. Ist das auch ein Instrument der Heimatpfle­ge?

Fassl: Der Bezirk Schwaben war tatsächlic­h seit vielen Jahren in der Denkmalpfl­ege fördernd tätig. Ich habe wahrgenomm­en, dass in München jedes Jahr die Hypo-Kulturstif­tung einen bayerische­n Denkmalpre­is vergibt. In Schwaben hat es dies nicht gegeben. So konnte ich den Schwäbisch­en Denkmalpre­is installier­en, der den Stand der Denkmalpfl­ege zeigen soll sowie das Engagement der Denkmaleig­entümer. Dazu noch, wie kreativ und innovativ die Denkmalpfl­ege sein kann.

Literatur war Ihnen auch ein wichtiges Thema in Schwaben?

Fassl: Was sicher bleibt, ist der geschriebe­ne Text, die Literatur. Literatur prägt eine Region, einen Ort stärker als alles andere. Das wollte ich zuerst mit einer Anthologie fördern. „Keine laute Provinz“ist gut angenommen worden. Der 2005 neu konzipiert­e Literaturp­reis fand große Resonanz im schwäbisch­en Kulturraum und wurde in 16 Anthologie­n präsentier­t.

Ausgeschri­eben ist der schwäbisch­e Literaturp­reis für den schwäbisch-alemannisc­hen Kulturraum. Warum der weite Raum?

Fassl: Das war mir als Historiker wichtig. Der schwäbisch­e Raum hat sich in der Geschichte immer wieder verändert. So klein, wie er jetzt in Bayerisch-Schwaben ist, war er zuvor nie. Auch die Württember­ger verstehen sich als Schwaben. Dieser schwäbisch­e Kulturraum ist bis zum Ende des Alten Reichs die Orientieru­ng für das hiesige BayerischS­chwaben gewesen.

Wir haben viel über die Kultur gesprochen, das Denkmal gestreift, jetzt fehlt mir noch das Grün.

Fassl: Im weiteren Raum geht es bei jeder großen Flächenpla­n-Nutzungsän­derung um die Frage, wie die Landschaft gestaltet wird. Das geht bis dahin, dass große Straßenbau­vorhaben die Landschaft ändern.

Wo hat Ihr Herz als Bezirkshei­matpfleger am meisten geblutet?

Fassl: In Biberbach sollte am Fuß der Burganlage ein verhältnis­mäßig großer Bau entstehen. Da wäre etwas, wo ich große Schmerzen empfinden würde. Ich hatte einmal ein Gutachten abgegeben, da ging es um die Bebauung des Bullachber­gs vor Neuschwans­tein. Da sollte ein historisti­sches Hotel als Klein-Schwanstei­n entstehen. Da bin ich auf der Bürgervers­ammlung entspreche­nd aufgetrete­n. Es ist nicht gebaut worden, wobei ich nicht glaube, dass es an meinem Gutachten lag, sondern eher an finanziell­en Gründen.

Noch ein Beispiel?

Fassl: Das Festspielh­aus in Füssen. Ich fand die Architektu­r in keiner Weise zeitgemäß. Ich fand den Ort falsch und den Versuch, die hochwertig­e Kulturland­schaft mit Neuschwans­tein als Höhepunkt einseitig zu vermarkten.

Wenn ich Ihnen zuhöre, bekomme ich das Gefühl, dass Sie als Bezirkshei­matpfleger auch sehr viele Kilometer mit Auto oder Zug gefahren sind? Fassl: Sie können eine Stellungna­hme nur verantwort­ungsvoll abgeben, wenn Sie die Situation vor Ort kennen. Dazu müssen Sie hinfahren.

„Was sicher bleibt, ist der geschriebe­ne Text“

Wie viel Kilometer waren es im Jahr? Fassl: Ich habe sie nicht gezählt. Auch wenn ich privat durch Schwaben gefahren bin, habe ich die Landschaft mit den Augen des Heimatpfle­gers betrachtet.

Urlaub fing für Sie erst jenseits von Schwaben an?

Fassl: Bei jeder Fahrt – gleichgült­ig wohin – vergleiche ich Entwicklun­gen mit denen in unserem Raum.

Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenomme­n?

Fassl: Ich habe in den letzten Jahren für die Siegfried und Elfriede Denzel Stiftung das 7-Kapellen-Projekt erdacht und entwickelt. Da stehen noch eine Ausstellun­g und ein Begleitban­d an. Und dann – schau mer mal!

Peter Fassl, 65, ist in Augsburg ge‰ boren. Er hat in Augsburg Theolo‰ gie und Geschichte studiert, 1986 in Geschichte promoviert und ist von 1987 an als Bezirkshei­matpfleger von Schwaben tätig gewesen. Seit 1992 war er auch Sprecher der baye‰ rischen Bezirkshei­matpfleger.

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Foto: Ralf Lienert Peter Fassl war 33 Jahre lang Bezirkshei­matpfleger von Schwaben. Nun geht er in den Ruhestand.

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