Nachdenken über Sex
Ein Plädoyer der Philosophin Stangneth
Der spannende Widerspruch ist erkannt und markant bereits in den Titel gepackt. Über „Sexkultur“schreibt die mit größeren Werken wie „Eichmann von Jerusalem“oder mit Essays immer wieder Interessantes schürfende Philosophin Bettina Stangneth. Sex nämlich steht als natürlicher Trieb im Menschen ja eigentlich der Kultur gegenüber – und prägt diese doch sichtbar oder auch nur durch unbewusste Verdrängung maßgeblich. Höchste Zeit also, damit aufzuräumen, meint die Philosophin – und zwar auch, um endlich die Gespenster zu vertreiben, die die historischen Verheerungen durch männliches
Angst- und Domi- nanzverhalten ge- schaffen haben. Aber vor allem, um endlich freudvoll und ohne falsche Scham gemeinsam über Sex reden und sich frei entdecken zu können.
Guter Ansatz, zu dem Stangneth auch viele eigene Gedanken und viel Kulturgeschichte zusammengetragen hat. Und auch ein schönes, mit Illustrationen reiches Buch. Aber leider kein gutes. Denn der essayistische Ton, der in jedem Kapitel neu ansetzt und unentschieden zwischen systematischen Überlegungen und persönlichen Beobachtungen, verbindlichem Geplauder und (nicht immer nachvollziehbar) harschem Urteil umherschweift, wird ihm hier zum Verhängnis. Für ein anregendes Büchlein (wie Wilhelm Schmids „Sex out“) ist hier alles zu dick, als größeres Werk aber bleibt es Stoffsammlung. Schade, weil ja auch gutes und wichtiges Thema.
Rowohlt, 288 S., 22 ¤