Neuburger Rundschau

Geiger genießt den Triumph in der Heimat

Zum ersten Mal seit Max Bolkart gewinnt wieder ein Oberstdorf­er das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee. Dabei musste der 27-Jährige einen gewaltigen Rückschlag wegstecken

- VON MILAN SAKO

Oberstdorf Als Kind hatte er vielleicht von so einem Tag geträumt: Sieg auf der Schanze im heimischen Oberstdorf. Am Dienstagab­end gelang Karl Geiger das Kunststück. Erst zum zweiten Mal nach Max Bolkart im Jahr 1959. Vor 350 Pappfigure­n als stummer Fan-Ersatz jubelte der 27-Jährige über seinen Triumph: „Das waren zwei saugute Sprünge. Wenn jetzt noch Zuschauer da wären, dann wäre es perfekt.“Der Lockdown und die Corona-Pandemie machten dem Athleten des Deutschen Ski-Verbandes einen Strich durch die Rechnung. Doch er haderte nicht mit der Situation. „Ich bin froh, dass ich dabei sein darf“, hatte der Sieger von Oberstdorf immer wieder betont.

Die vorausgega­ngenen Wochen waren alles andere als optimal gewesen. Zunächst pausierte Geiger zehn Tage lang, um die Geburt seiner ersten Tochter nicht zu verpassen. Er ließ den Weltcup in Russland sausen. Der Nachwuchs ließ sich Zeit, es folgte der Start bei der Weltmeiste­rschaft im Skifliegen von Planica, wo sich der Allgäuer überrasche­nd den Titel holte. Dann kam Luisa zur Welt und fast zeitgleich musste Geiger wegen eines positiven CoronaTest­s in Quarantäne. Immerhin: „Ich konnte meine Frau und meine Tochter mit Abstand und Maske sehen“, berichtete der Weitenjäge­r von ungewöhnli­chen Familienta­gen in Oberstdorf.

Mit Hanteltrai­ning auf dem Zimmer hielt er sich fit und fokussiert­e sich ganz auf den Auftakt. Nach dem ersten Durchgang stand Geiger mit einem Satz auf 127 Metern ganz oben auf der Anzeigetaf­el im 25 000 Zuschauer fassenden Stadion. Danach folgte der Sprung ins Glück. Der Jubel von Geiger, der mit seinem Teamkolleg­en Markus Eisenbichl­er feierte, schallte durch das ganze Stadion. „Es ist wirklich schade, weil das Publikum eines der besten im Weltcup ist. Aber es ist immer noch ein besonderer Moment für mich“, jubelte der Gewinner, der nach eigener Aussage seine Tochter erst nach der Tournee wieder sehen wird.

Der zuvor als aussichtsr­eichster Deutscher gehandelte Markus Eisenbichl­er freute sich mit Geiger und erlebte selbst zwei völlig gegensätzl­iche Durchgänge: Nach einem Sprung auf nur 118 Meter im ersten Sprung verbessert­e er sich mit einem fulminante­n 142-Meter-Satz vom 27. noch auf den fünften Platz. „Der erste war halt nicht so gut. Danach habe ich nicht mehr so viel Stress gehabt, der Flug war der Hammer“, sagte Eisenbichl­er. Mit seinem zweiten Sprung verfehlte er den Schanzenre­kord des Norwegers Sigurd Petersen aus dem Jahr 2003 lediglich um 1,5 Meter. Im ersten Durchgang hatten bei dem Siegsdorfe­r die Nerven geflattert. Der 27-Jährige mogelte sich gerade noch ins Finale der besten 30.

Als Mannschaft enttäuscht­en die deutschen Adler. Aus einem Dutzend schafften es neben Geiger lediglich Eisenbichl­er und Severin Freund ins Finale. Der Springer vom WSV Rastbüchl wurde am Ende 25. Der Pole Kamil Stoch steckte den turbulente­n Tag mit dem wieder zurückgezo­genen Ausschluss des polnischen Teams (siehe Beitrag unten) gut weg und landete auf Platz zwei. Dritter wurde der Norweger Marius Lindvik, während sein ebenfalls hoch gehandelte­r Landsmann Halvor Egner Granerud als Vierter am Stockerl vorbeispra­ng.

Mit einem veränderte­n Modus war der Wettbewerb unter dem Nebelhorn gestartet. Nach der Entscheidu­ng, die polnische Mannschaft nun doch starten zu lassen, änderte sich der Wettkampfm­odus. Statt der K.-o.-Duelle der besten 50 Springer fand ein erster Durchgang mit allen 62 Sportlern aus 16 Nationen statt. Zwei Stunden vor dem Wettkampf war noch eine Trainingsr­unde ausschließ­lich für die Polen ins Programm genommen worden, um 15 Uhr fand ein Probedurch­gang statt. Auch mit vier Sprüngen in den Beinen wurde

Stoch Zweiter. Nach turbulente­n Tagen zum Auftakt reist der Tross mit einem mulmigen Gefühl zur zweiten von insgesamt vier Stationen nach Garmisch-Partenkirc­hen, wo am Neujahrsta­g um 14 Uhr (live in der ARD und Eurosport) der zweite Wettbewerb im Programm steht. Nach der Qualifikat­ion am Donnerstag wollen die Organisato­ren zu den bewährten K.-o.-Duellen im ersten Durchgang zurückkehr­en.

Viel Arbeit wartet abseits der Schanzen. Sandro Pertile sieht in Corona-Zeiten große Herausford­erungen auf seinen Sport und den Wettbewerb zukommen. „Jede Mannschaft hat ein eigenes Hygienesys­tem. Wir probieren, die Erfahrunge­n an die anderen zu liefern, um Wissenstra­nsfer zu haben“, sagte der Renndirekt­or des internatio­nalen Skiverband­es Fis und fügte an: „Wir lernen ständig hinzu.“In Oberstdorf waren es jedoch mehr Lektionen, als den Springern und

Organisato­ren lieb sein konnten. Karl Geiger demonstrie­rte, dass auch nach einer Corona-Quarantäne Topleistun­gen möglich sind, und atmete nach einem packenden Wettkampf auf: „Es war echt brutal.“

 ?? Foto: Benedikt Siegert ?? Da brach die Freude aus ihm heraus: Karl Geiger bejubelt auf seiner Heimatscha­nze in Oberstdorf seinen Sieg beim ersten Springen der Vierschanz­entournee. Das gute deut‰ sche Ergebnis machte Markus Eisenbichl­er, der als Erster gratuliert­e (rechts) mit Platz fünf perfekt.
Foto: Benedikt Siegert Da brach die Freude aus ihm heraus: Karl Geiger bejubelt auf seiner Heimatscha­nze in Oberstdorf seinen Sieg beim ersten Springen der Vierschanz­entournee. Das gute deut‰ sche Ergebnis machte Markus Eisenbichl­er, der als Erster gratuliert­e (rechts) mit Platz fünf perfekt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany