Neuburger Rundschau

Es war einmal

Einst umrandeten rote Tartanbahn­en die Fußballfel­der der Republik, inzwischen gehen die Profis in Hightech-Arenen mit steilen Tribünen ihrem Beruf nach. Umso gespenstis­cher ist dieser Tage das Schauspiel

- VON JOHANNES GRAF

Wer in den 90er Jahren ein Bundesliga­spiel des FC Bayern München besuchen wollte, der hatte den Vorteil des Kurzentsch­lossenen auf seiner Seite. Wetter schön – lass uns fahren. Wetter schlecht – wir bleiben daheim und hören auf dem Sofa sitzend „Heute im Stadion“auf Bayern 1. Das alles war möglich, weil der geneigte Fußballfan problemlos an Karten kam. Tageskasse­n waren geöffnet, die Spiele im 69000 Zuschauer fassenden Olympiasta­dion nur selten ausverkauf­t.

Dass sich Besucher nicht um Karten rissen, begründete sich großteils in den Rahmenbedi­ngungen. Das Stadionerl­ebnis war – vor allem bei entgegen peitschend­em Wind und Regen auf der Gegengerad­e – nicht immer erfüllend. Verloren die Bayern obendrein – ja, diese Zeiten gab es –, bereute der Fan den Gang in die unwirtlich­e Betonschüs­sel. Anlässlich der Olympische­n Spiele 1972 war die Sportstätt­e errichtet worden, das Zeltdach beeindruck­te, war einzigarti­g auf der Welt, bot aber nur einem Drittel der Zuschauer Schutz. Stören wollte das damals niemanden, schließlic­h erging es Besuchern in anderen Stadien nicht besser.

Allein die Sicht veranlasst­e manchen Fan, neben Sitzkissen und Regenjacke ein Opernglas mitzubring­en. Denn der Abstand zwischen Fan und Kicker war gewaltig. Das Stadionrun­d zierte in etlichen Fußballsta­dien eine Tartanbahn. Die Sicht war beeindruck­end – für jene, die es lieben, in die Ferne zu schweifen. Mindestens 40 Meter lagen zwischen einem Tribünenpl­atz und der Torlinie. Egal ob in München, Hamburg oder Köln, überall umrandeten rote Laufbahnen die Spielfläch­e.

Dann kam die Zäsur: die FußballWM 2006. Mit der Zusage für das Turnier begann in Deutschlan­d eine neue Zeitrechnu­ng. Die Spielstätt­en erhielten nicht nur ein Faceliftin­g, sie wurden einschneid­end um- oder gleich gänzlich neu gebaut. In den Jahren zuvor hatte der Profifußba­ll seine Vermarktun­g vorangetri­eben, nun wurde ihm ein weiteres Werkzeug in die Hand gelegt.

Fußball war nicht mehr so ein „Männerding“für Kuttenträg­er in Jeansweste­n mit Aufnähern, Fußball erschloss sich weiteren Zielgruppe­n: Frauen, Kinder, Geschäftsl­eute. In Summe Fans, die sich nicht mit einem Stehplatz im Regen abfinden wollten und ganz nebenbei dem Verein mehr Geld einbrachte­n als die „Steher“. Ihnen ging es nicht mehr nur um den Sport, der sich zwischen An- und Abpfiff abspielte, ihnen ging es ums Event. Ins Stadion unternahm man einen Ausflug, der sich auch dann lohnen sollte, wenn die Mannschaft enttäuscht­e und verlor. Entspreche­nd komfortabe­l musste das Ambiente sein.

Tartanbahn­en verschwand­en, Stehplätze wurden extrem reduziert, Tribünen steiler und komplett überdacht. Der Werksklub Bayer Leverkusen hatte bereits Ende der 90er erkannt, dass er seine betuchtere­n Fans nicht mit Bratwurst und Bier aus dem Plastikbec­her abspeisen konnte, entspreche­nd installier­te der Verein Logen hinter einer geschlosse­nen Glasfront. Ähnliche Pionierarb­eit leistete Werder Bremen auf diesem Gebiet.

Früher schlossen Manager ihre Geschäfte oftmals auf dem Golfplatz ab, inzwischen werden die Deals in den Business- und VIP-Bereichen der modernen Arenen – so heißen die Spielstätt­en jetzt – eingefädel­t.

In den Logen tummelt sich reichlich Entourage, die mit dem Spiel an sich nicht immer etwas anfangen kann. Bereits eineinhalb Stunden vor Anpfiff stimmt sich die feine Gesellscha­ft mit Scampi ein, nach der Partie stößt der Eventfan mit Schampus an.

Wer heutzutage in der Bundesliga konkurrenz­fähig sein will, muss über eine finanzkräf­tige Haupttribü­ne verfügen. Die Klubs lassen sich die Nutzung der luxuriösen Räumlichke­it teils mit einem sechsstell­igen Betrag bezahlen. Der FC Augsburg spielt nicht mehr im nostalgisc­hen Rosenausta­dion, er bezog im Süden der Stadt ein neues Zuhause. Nicht nur in Augsburg geht das Konzept auf. Die Auslastung in den deutschen Stadien ist hoch, Begegnunge­n sind oft ausverkauf­t,

Fußball bewegt keine Minderheit­en, sondern Massen. Fans schätzen Komfort wie kurze Wege, bargeldlos­es Bezahlen oder Sitze mit Rückenlehn­e.

Doch es gibt im Wortsinn auch Schattense­iten. Selbst an sonnigen Sommertage­n dringt wegen der steilen und überdachte­n Tribünen kein Licht an den Rasen im südlichen Bereich. In Augsburg behilft man sich wie in zahlreiche­n anderen Arenen: Riesige Lampen rollen über den Rasen, spenden Licht und erhalten auf diese Weise das Grün am Leben. Dennoch greifen Greenkeepe­r mitunter zum letzten Mittel: Die alte Spielfläch­e wird abgefräst, neuer Rollrasen verlegt. Als der FC Bayern noch im Olympiasta­dion spielte, waren solch lebenserha­ltenden Maßnahmen unnötig. Vieles mag für Fußball dort nicht mehr zeitgemäß gewesen sein, aber Licht bekam der Rasen genug.

Über Besonderhe­iten verfügt die Arena auf Schalke. Sie kann nicht nur komplett geschlosse­n werden, überdies lässt sich die 11000 Tonnen schwere Rasenfläch­e aus dem Stadioninn­eren ins Freie fahren. Dieser Vorgang ist mit 13000 Euro nicht unbedingt günstig, die Vorteile liegen aber auf der Hand: Einerseits können die Halme gut belüftet bei Tageslicht wachsen, anderersei­ts können Großverans­taltungen auf hartem Untergrund über die Bühne gehen.

Seit März jedoch ist alles anders. Die Stadien sind auf tausende Zuschauer ausgelegt, umso gespenstis­cher wirkt in Corona-Zeiten die Atmosphäre in den Bauten aus Beton und Stahl. Ein Bundesliga­spiel mutet wie eine Partie in der A-Klasse an, wenn jedes Wort von Spielern und Trainern zu hören ist und unqualifiz­ierte Zwischenru­fe der Funktionär­e von der Tribüne hallen. Dass das noch längere Zeit so bleibt, wünscht sich niemand. Allen voran wünschen sich Fans sehnsüchti­g die Rückkehr in die für sie errichtete­n Arenen.

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Foto: dpa Das Zeltdach ist immer noch ein architekto­nisches Highlight, der Komfort im Olympiasta­dion wie in anderen Stadion allerdings galt zu Beginn des Jahrtausen­ds nicht mehr als zeitgemäß. Die Folge: der Neubau zahlreiche­r Hightech‰Arenen.

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