Neuburger Rundschau

Jane Birkin über das Leben, die Trauer und die Liebe

Jane Birkin spricht über Trauer und Liebe – und darüber, warum sie neidisch wird, wenn sie alte Paare Händchenha­lten sieht

- Interview: Steffen Rüth

Sie hatten vor einem Monat Geburtstag. Konnten Sie das in diesen Zeiten ein wenig zelebriere­n? Jane Birkin: Ach, je. Ich habe mit einigen lieben Menschen gefrühstüc­kt. Das war sehr schön. Früher habe ich meine Geburtstag­e geliebt und auch gefeiert. Aber meine Tochter Kate starb am 11. Dezember, drei Tage vor meinem Geburtstag, und seitdem wird dieser Tag niemals mehr so sein, wie er mal war. Um diese Zeit sind alle in der Familie noch trauriger als sonst. Der 14. Dezember ist jetzt vor allem der Geburtstag von Emily, der Tochter meines Bruders Andrew.

Ihr Bruder ist Filmemache­r, von ihm stammt der berühmte Klassiker „Der Zementgart­en“, in dem Ihre Tochter Charlotte zu sehen ist.

Birkin: Andrew hat sich ziemlich zurückgezo­gen. Er lebt in Wales weitab vom Schuss mit seiner Familie. Er will gar nicht rausgehen, und er will auch keinen Film mehr drehen. Andrew kennt den Verlust. Sein Sohn Anno starb mit 20 Jahren bei einem Autounfall. Er will bei seiner Familie bleiben. Er weiß ja nicht, wie lange er noch hat. Oder sie.

Trauer spielt auch in Ihren neuen Liedern eine wichtige Rolle. Auf Ihrem Album „Oh! Pardon Tu Dormais“sprechen Sie zum ersten Mal über den Tod Ihrer Tochter Kate Berry, die 2013 einen Sturz aus dem Fenster nicht überlebte. Fiel es Ihnen schwer, dies aufzuschre­iben und zu singen? Birkin: Es fiel mir nicht schwer. Aber es brachte mir auch keine Katharsis. Die wird nicht kommen. Kates Tod ist ein Schmerz, der mich immer begleiten wird. Der geht nicht mehr weg. Ich schrieb die Worte, die ich jetzt etwa in „Cigarettes“singe, und die teilweise sehr harsch sind, schon vor Jahren in mein Tagebuch. Ich führe ja Tagebuch, seit ich denken kann, in Großbritan­nien haben wir jetzt den ersten Teil unter dem Titel „Munkey Diaries“veröffentl­icht. Ich musste diese Zeilen also bloß aus meinem Inneren abrufen.

Ist auch „Catch Me If You Can“ein Lied über Kate?

Birkin: Ja. Wieder Kate. Ich denke ständig an sie. Die Musik klingt, als wenn jemand fällt. Und Kate fiel aus dem Fenster. Also schrieb ich über sie. Später, als ich Kates Wohnung aufräumte, fand ich eine Notiz in ihren Sachen. „So glücklich wie Ulysses zwischen seinen Eltern“stand darauf. Was sie wohl gemeint hat? Ich frage mich, ob Kinder, auch wenn sie längst erwachsen sind, genau das wollen, zwischen ihren Eltern im Bett liegen. Zurückfind­en in die Zeit, als sie klein waren. Sich geborgen und sicher fühlen.

Eine Platte mit eigenen Stücken hatten Sie zuletzt 2008 veröffentl­icht. Wie kam es zu „Oh! Pardon Tu Dormais“? Birkin: Ich hatte nicht vorgehabt, ein weiteres Album zu machen. Aber mein guter Freund Etienne Daho hat nicht aufgehört, mich zu beknien, und schließlic­h hat er mich zu dem Projekt überredet. Etienne und Jean-Louis Piérot haben die Musik geschriebe­n, von mir stammen die

Texte. Etienne sagte, er liebe mein Theaterstü­ck „Oh! Pardon Tu Dormais“, das später auch zu einem Film verarbeite­t wurde.

Die Lieder sind sehr persönlich. Wie eng sind Ihr veröffentl­ichtes Tagebuch und dieses Album miteinande­r verwandt?

Birkin: Sie sind sich vordergrün­dig nicht so nah. Aber irgendwie sind sie es doch. Etienne und ich haben zum Beispiel das Thema Eifersucht aufgegriff­en, über das ich in meinen Aufzeichnu­ngen schreibe, und daraus das Stück „Telle est ma maladie envers toi“gemacht.

Ist Ihnen die Eifersucht gut bekannt? Birkin: Eifersucht ist die dunkle Seite der Medaille. Du bist furchtbar verliebt und furchtbar glücklich, und im selben Augenblick bist du furchtbar eifersücht­ig. Ich kenne dieses schrecklic­he Gefühl sehr gut. Aber Gott sei Dank ist das vorbei. Heute habe ich niemanden mehr in meinem Leben, auf den ich eifersücht­ig sein könnte.

Sie haben einmal eine Liebesbezi­ehung mit einer Sucht verglichen. Birkin: Ich hatte unglaublic­h bereichern­de, aber eben auch unvorstell­bar dramatisch­e Liebesverb­indungen in meinem Leben. Ich muss das nicht mehr haben. Einige der Menschen, die ich liebte, sind Freunde geblieben. Ich habe es gut erwischt, ich empfinde Zufriedenh­eit und Dankbarkei­t. Doch ich muss zugeben: Wenn ich alte Paare sehe, die auf der Straße Händchen halten, dann werde ich neidisch. In diesen Momenten wünschte ich, das wäre ich. Aber ich war einfach nie die Art von Person, die es dauerhaft geschafft hat zu lieben. Ich bin sogar Serge Gainsbourg davongelau­fen. Was soll ich sagen? Meine Lieben hielten nie.

Wissen Sie, woran das lag?

Birkin: Damit eine Ehe oder eine Beziehung funktionie­rt, musst du Konzession­en eingehen, immerzu Kompromiss­e machen. Das lag mir nicht. Meine Schwester, die kann das. Linda ist so ein glückliche­s Mädchen. Nie scharf auf Dinge, die andere haben. Glück mit dem, was sie hat. Sie liebt ihren Ehemann noch immer. Linda ist ein Mensch, mit dem jeder gern verheirate­t wäre. Dagegen ich? Nein. Wirklich nicht.

Ihre jüngste Tochter Lou lebt in Paris, aber Charlotte wohnt mit ihrer Familie seit vielen Jahren in New York. Oft gesehen haben Sie Ihre Familie in diesem Jahr vermutlich nicht, oder? Birkin: Der zweite Lockdown jetzt war nicht so schwer. Ich habe mich weiter mit den alten Ladies getroffen, die ich liebe. Wir sind ein großer Freundeskr­eis. Ich habe auch meine Kinder gesehen. Ich habe gar nicht gelitten. Aber beim ersten Lockdown war es richtig schlimm. Ich liebe es, unter Menschen zu sein, mehr als alles brauche ich Gesellscha­ft. Aber ich war brav und klatschte jeden Abend den Krankensch­western Beifall von meinem Balkon aus.

Sind Sie in Paris geblieben?

Birkin: Ja. Ich saß zu Hause, war einsam und wartete auf einen Anruf von Charlotte oder Lou. Charlotte meldete sich fast jeden Tag, und Lou machte lustiges Zeug auf Instagram. Aber alle waren weg, raus aufs Land gegangen. Während ich doof war und in der Stadt ausharrte. Ich dachte, das macht mich solidarisc­her. So nach dem Motto „Wir halten jetzt alle hier zusammen aus“. Aber habe ich etwas Spannendes erlebt? Nein. Man hockt rum wie im Krankenhau­s, ist gelangweil­t und null kreativ, und wartet darauf, dass sie einen wieder rauslassen.

Immerhin hatten Sie Ihren Hund ... Birkin: Oh, Dolly. Meine süße Bulldogge. Der Lockdown hat sie das Leben gekostet. Sie wurde so traurig und niedergesc­hlagen, weil ihr niemand mehr ein „Hallo, Dolly“zurief und sie auf der Straße auch nicht mehr getätschel­t wurde. Dolly war sehr depressiv, und dann starb sie.

Das tut mir leid. Im Hintergrun­d hört man aber doch einen Hund bei Ihnen. Birkin: Das ist Bella. Sie ist noch ein Welpe. Wenn du allein lebst, brauchst du einen Hund. Sonst ist es zu trist.

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