Wenn der Parteichef kein Parteibuch hat
Harmonisch ging es bei den Wechseln an der CDU-Spitze selten zu. Besonders bizarr lief 1966 der von Adenauer auf Erhard ab
„Ich brauche mich doch nicht wie der kleine Steuerinspektor in einer Partei anzumelden“Ludwig Erhard
Konrad Adenauer ist empört. „Ich kann nicht glauben, dass diese Nachricht wahr ist“, schreibt der damalige Bundeskanzler im November 1956 dem „lieben Herrn Erhard“– und fordert ihn auf, doch schleunigst einen Zeitungsbericht zu dementieren, nach dem der Vater des Wirtschaftswunders gar kein Mitglied der CDU ist. Erhard solle „umgehend die Bundesgeschäftsstelle in die Lage versetzen, die Meldung zu dementieren.“Auf gut Deutsch: In die CDU eintreten.
Zehn Jahre später, als der inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegene Erhard von Adenauer auch den Parteivorsitz übernimmt, kracht es deswegen noch einmal zwischen den beiden. Angesichts der Tatsache, dass seine Politik wesentlich zu den großen Wahlerfolgen der CDU beigetragen habe, antwortet Erhard auf einen neuerlichen Brandbrief Adenauers, habe er „dem Besitz des Parteibuches wirklich keine Beachtung geschenkt“. Zwar liegen im Archiv der Ludwig-Erhard-Stiftung zwei in den Jahren 1968 und 1971 nachträglich auf seinen Namen ausgestellte Mitgliedsausweise – bis heute allerdings ist unklar, ob Erhard der CDU jemals formell beigetreten ist. Er selbst hat schon 1962 im Gespräch mit einem Journalisten gefrotzelt: „Ich brauche mich doch nicht wie der kleine Steuerinspektor in einer Partei anzumelden, um zu einer Partei zu gehören.“
Ein Parteichef, der streng genommen gar nicht Mitglied seiner Partei ist? Obwohl die CDU gerne als biederer Kanzlerwahlverein beschrieben wird, der jeden Streit unterdrückt und im Zweifel loyal seinen Altvorderen folgt, hat es bisher noch bei fast jedem Wechsel an der Spitze im Getriebe der Partei gerumpelt, geknirscht und gekracht. Das beginnt mit dem Übergang von Adenauer auf Erhard, der in der Partei nur wenig Rückhalt hat und eigentlich gar nicht CDU-Chef werden will, das Amt aber zur Absicherung seiner Kanzlerschaft braucht – und endet mit dem Dreikampf um die Nachfolge der glücklosen Annegret Kramp-Karrenbauer, der an diesem Samstag entschieden wird.
Besonders bizarr ist die Situation auf dem Bonner Parteitag im März 1966. Während Erhard dort zum neuen Vorsitzenden gewählt wird, bandeln einflussreiche Parteifunktionäre hinter seinem Rücken bereits mit der SPD an – eine Große Koalition liegt in der Luft. Ein halbes Jahr später ist Erhards konservativ-liberale Regierung am Ende: Angeführt von Walter Scheel treten die vier FDP-Minister aus Protest gegen eine geplante Steuererhöhung zurück, der baden-württembergische Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger wird erst Bundeskanzler und ein Jahr später auch etwas widerwillig neuer Parteivorsitzender. Der Dicke mit der Zigarre nimmt die Dinge sportlich: „Sie werden mir auch in Zukunft aktiv im politischen Leben dieses Staates begegnen,“verspricht Ludwig Erhard. Bis zu seinem Tod 1977 bleibt er noch Mitglied des Bundestages.
Allerdings liegt auch über der Amtszeit des Parteichefs Kiesinger kein guter Stern. Ihm ergeht es ähnlich wie Erhard zuvor: Er unterschätzt die politische Dynamik der späten Sechzigerjahre, er erkennt nicht, wie nahe sich SPD und FDP inzwischen stehen und dass eine sozialliberale Koalition mit Willy Brandt als Kanzler vermutlich nur noch eine Frage der Zeit ist. Kiesinger, wegen seiner Nazi-Vergangenheit zunehmend umstritten, geht als der Vorsitzende in die Geschichte der CDU ein, unter dem die Union 1969 zum ersten Mal in der Opposition landet – für 13 lange Jahre. Zwei Jahre nach dem Machtwechsel räumt er dann auch an der Parteispitze das Feld. Die Parteizentrale in Bonn soll er bis dahin nicht ein einziges Mal betreten haben.
Der Kampf um die KiesingerNachfolge ähnelt im Kern dem von Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen heute. Mit dem jungen Helmut Kohl und Rainer Barzel, der schon 1966 gegen Ludwig Erhard erfolglos kandidiert hatte, hat die CDU damals zwei Kandidaten, wie sie ehrgeiziger und machtbewusster kaum sein könnten. Beide schenken sich nichts, beide sehen den Parteivorsitz lediglich als Zwischenziel auf dem Weg ins Kanzleramt – und obwohl sich 1971 zunächst Barzel durchsetzt und Parteichef wird, triumphiert am Ende doch sein Rivale Kohl.
Nach Barzels gescheitertem Versuch, den Kanzler Brandt mit einem Misstrauensvotum zu stürzen, sinkt sein Stern in der CDU schnell. Als Kohl ihm 1973 an der Parteispitze folgt, notiert der Journalist Karl Feldmeyer, einer der besten Kenner der Union, in der Frankfurter Allgemeinen: „Barzel hat einen Gegenspieler, der ihn gleichsam erdrückt mit der Fähigkeit, hinter den Kulissen Fäden zu spinnen, Gefolgsleute zu finden und das Geschick der CDU gleichsam zu seiner persönlichen Sache zu machen.“
Bis 1998 bleibt der spätere Kanzler der Einheit Vorsitzender seiner Partei – ein Meister in der Kunst des Machterhalts, der die CDU im Stile eines Patriarchen führt und sogar einen innerparteilichen Putschversuch abwehrt, mit dem Heiner Geißler, Rita Süssmuth und einige Gleichgesinnte den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth zum neuen Parteivorsitzenden machen wollen, wenige Monate vor dem Fall der Mauer. Der Rest ist Geschichte, buchstäblich.
Dass die CDU mit bislang nur acht Vorsitzenden in 75 Jahren gegenüber der SPD wie eine Bastion der Solidität wirkt, liegt vor allem an den langen Amtszeiten von Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel mit insgesamt 63 Jahren. Die übrigen fünf Vorsitzenden sind ihre Posten wie Ludwig Erhard teilweise schneller los, als sie sie übernommen haben. Kohl dagegen hat seine Lektionen aus dem spektakulären Scheitern seiner drei Vorgänger gelernt: Seine durch lange Telefonate an langen Abenden gepflegten Netzwerke in der Partei sind bald legendär. Barzel dagegen sagt von sich selbst, er brauche am frühen Abend seinen Schlaf...
Ähnlich tragisch wie dessen Hoffnungen auf die Kanzlerschaft enden später auch die von Wolfgang Schäuble, der lange so etwas wie Kohls Kronprinz ist, aber bis zur verlorenen Bundestagswahl 1998 warten muss, um tatsächlich noch CDU-Vorsitzender zu werden. Am Ende kostet die Spendenaffäre nicht nur Kohl den Ehrenvorsitz der Partei, sondern Schäuble auch den Parteivorsitz und damit die Aussicht auf die nächste Kanzlerkandidatur.
In das so entstandene Vakuum stößt eine Frau vor, die bis dahin niemand so richtig auf der Rechnung hat. Während Jürgen Rüttgers, Volker Rühe und einige andere CDU-Granden aus der Kohl-Zeit noch ihre Chancen ausloten, nutzt die damalige Generalsekretärin Angela Merkel die Gunst der Stunde. „Die Partei muss laufen lernen“hat sie bereits einige Wochen vor Schäubles Rücktritt in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine geschrieben und damit nicht nur mit dem Menschen Kohl gebrochen, ihrem langjährigen Förderer, sondern auch mit dem System Kohl, seinen Kungeleien, seinen Abhängigkeiten und seinem Korpsgeist. Die Erneuerung der CDU ist nun mit einem Namen verbunden – ihrem.
Für die Platzhirsche in der CDU, allen voran Roland Koch, Christian Wulff und den aufstrebenden Friedrich Merz, ist Merkels Vorpreschen nicht weniger als eine Kriegserklärung. Eine Frau aus dem Osten, evangelisch noch dazu, die ihnen ihre Ansprüche streitig machte? Undenkbar in der alten Männerlogik der CDU. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.