Neuburger Rundschau

„Die Glorifizie­rung von Merz entspricht nicht der Realität“

Der Gründer des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, glaubt, dass Wahlen noch immer in der Mitte gewonnen werden

- Interview: Simon Kaminski

Ich weiß nicht, ob Sie gerne wetten. Aber auf wen würden Sie an diesem Wochenende setzen?

Manfred Güllner: Das Wetten habe ich mir abgewöhnt. Wäre als Meinungsfo­rscher auch kaum hilfreich. Tatsächlic­h ist eine Vorhersage aber äußerst schwierig. Die Entscheidu­ng liegt in der Ratio der CDUDelegie­rten. Und die denken oft in ihrer eigenen Welt und nicht unbedingt an die Wähler. In der CoronaKris­e hat sich aber bestätigt, dass es sich auszahlt, an die Wähler zu denken.

Wäre nicht ein Mitglieder­entscheid das angemessen­e Verfahren gewesen?

Güllner: Das glaube ich überhaupt nicht. Das Beispiel SPD hat ja gezeigt, dass eine Beteiligun­g aller Mitglieder für eine Partei ein schwerer Klotz am Bein sein kann.

Kommen wir zur Gretchenfr­age: Welcher der drei Männer hätte Ihrer Ansicht nach die besten Chancen als Kanzlerkan­didat?

Güllner: Man muss sehen, dass Friedrich Merz noch nie eine Wahl bestritten hat. Seine Glorifizie­rung entspricht nicht der Realität. Schon in seiner Zeit als CDU/CSU-Fraktionsc­hef kämpfte er mit dem FDPPolitik­er Jürgen Möllemann um den letzten Platz auf der Beliebthei­tsskala der Politiker. In der Mitte würde Merz kaum punkten.

Wie wäre es mit Norbert Röttgen? Er hat ja Erfahrunge­n als Spitzenkan­didat in Nordrhein-Westfalen.

Güllner: Ja, aber die Wahl im Jahr 2012 lief für ihn katastroph­al. Ich erinnere mich noch an das Wahlplakat „NRW – Norbert Röttgen Wählen“. Das wollte aber letztlich weder die tiefkathol­ische Großmutter aus Köln noch der arbeitslos­e Stahlkoche­r aus dem Ruhrgebiet. Selbst 50 Prozent der CDU-Anhänger wollten ihn nicht als Ministerpr­äsidenten. Röttgen kommt bei den Wählern einfach nicht an.

Wie wäre es mit Armin Laschet?

Güllner: Laschet hat immerhin in NRW gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann. Er hat auch bewiesen, dass er regieren kann. Allerdings wirkte er im Laufe der Corona-Krise dann wieder fahrig, er hatte Probleme, seine Linie klar darzustell­en. Das war dann wieder der „lasche Laschet“. Zuletzt ist er besser in Tritt gekommen.

Halten Sie für denkbar, dass am Ende ein anderes Gesicht von den Wahlplakat­en der Union herabläche­lt?

Güllner: Söder liegt bei der Kanzlerkan­didatenfra­ge klar vorne. Sein Vorteil ist, dass er nicht so bayerisch daherkommt wie Stoiber oder gar einst Franz Josef Strauß. Er ist kein typischer Bayer, sondern Franke. Er kommt auch in Norddeutsc­hland an.

Macht er es?

Güllner: Die CSU-Mitglieder wollen ihn ja lieber in Bayern behalten. Die Frage ist, ob er sich das antut. Schließlic­h ist er in Bayern ein König. In Berlin wäre das schwierige­r. Er macht im Freistaat eine erfolgreic­he Politik der Mitte, grenzt sich konsequent gegen die AfD ab.

Was ist mit Jens Spahn?

Güllner: Er ist 40 Jahre alt, hat alle Zeit der Welt. Für ihn käme eine Kandidatur zu früh. Er sollte abwarten, bis er gerufen wird.

In Deutschlan­d gilt seit vielen Jahren das Mantra, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Bleibt es dabei?

Güllner: Auf jeden Fall. Die Lager lösen sich nicht auf, wie viele behaupten. Das ist Quatsch. Unsere Befragunge­n zeigen, dass sich eine Mehrheit selber in der Mitte sieht. Das Problem ist viel eher, dass sich die Politik zu oft um die Randgruppe­n der Gesellscha­ft kümmert.

Würde ein Votum für Merz nicht die Option Schwarz-Grün zerstören?

Güllner: Was soll die Union denn sonst machen. Die FDP ist ein zweifelhaf­ter Partner, der sich sogar manchmal an AfD-Positionen annähert. Die SPD betreibt zurzeit Opposition und Regierung gleichzeit­ig.

Wie weit muss sich der Sieger von der Dauerkanzl­erin distanzier­en?

Güllner: Der Sieger sollte vielmehr auf ihrem Erbe aufbauen, anstatt sich von Merkel abzusetzen. Die Leute sehnen sich nach Stabilität. Diese Sehnsucht ist weit größer als der viel beschworen­e Wunsch nach harten politische­n Auseinande­rsetzungen mit klaren Fronten.

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Foto: dpa Manfred Güllner, Gründer des Forsa‰In‰ stituts für Meinungsfo­rschung.

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