Neuburger Rundschau

„Das ist die deutsche Krankheit“

Gabriel Felbermayr ist Präsident des Instituts für Weltwirtsc­haft in Kiel. Er übt massive Kritik daran, dass die Corona-Finanzhilf­en des Bundes zu langsam an die Unternehme­n abfließen. Der Ökonom lobt hier die USA

- Interview: Stefan Stahl

Herr Felbermayr, welche wirtschaft­lichen Auswirkung­en hat das massenhaft­e Homeoffice?

Gabriel Felbermayr: Die Kosten des Homeschool­ings tragen die Eltern und ihre Arbeitgebe­r. Nicht nur die Kinder leiden unter der Situation, auch die Eltern haben mehr Stress, denn sie sind psychologi­sch mit einer Rolle beanspruch­t, die sie so nicht gelernt haben. Es fällt durch die Betreuung der Kinder für die Eltern Arbeitszei­t weg, schließlic­h müssen sie gleichzeit­ig zum Teil auch Lehrer sein. Viele machen jetzt Überstunde­n: Neben dem normalen Arbeitspen­sum betreuen sie ja noch Kinder. Manche Unternehme­n werden jetzt schon merken, dass die Produktivi­tät bei Eltern mit Kindern sinkt.

Doch die Bundesregi­erung fordert die Unternehme­n auf, deutlich mehr Homeoffice zu ermögliche­n. Felbermayr: Dass sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel nun verwundert die Augen reibt und beklagt, dass beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 mehr Mitarbeite­r im Homeoffice waren, hat einen Grund: Viele Unternehme­r haben gemerkt, dass die Produktivi­tät eines Teils ihrer Mitarbeite­r bei der Heimarbeit sinkt. Dazu tragen auch ganz praktische Probleme bei wie der Ausfall von Computer-Netzwerken.

Bei den Corona-Finanzhilf­en sprechen Sie von einem „Herummurks­en“. Wer murkst und was wird trotz zusätzlich­er Milliarden­hilfen vermurkst? Felbermayr: Seit März 2020 versucht die Politik mit immer neuen finanziell­en Hilfen, Betriebe vor der Insolvenz zu bewahren. Aber für Unternehme­n sind die Programme schwer durchschau­bar. Sie wissen vielfach nicht, ob sie die Finanzhilf­en in Anspruch nehmen können und wie hoch sie sind, wenn sie fließen. Das alles ist sehr intranspar­ent. Dabei wäre Berechenba­rkeit für die Unternehme­n wichtig. Sie könnten dann ihren Lieferante­n und Banken sagen, wann ausstehend­e Zahlungen fließen. Wenn die Hilfen aber undurchsch­aubar sind, entfalten sie nur einen Teil ihrer angepeilte­n Wirkung.

Und oft kann das Geld gar nicht abgerufen werden. Es steht sozusagen im Schaufenst­er, doch Unternehme­r sind nicht in der Lage, zuzugreife­n. Felbermayr: Oft fließt das Geld zu spät und es ist bürokratis­ch zu aufwendig, an das Geld zu kommen. Deshalb verzichten viele Unternehme­r trotz Umsatzeinb­ußen einfach darauf. Zwar hat Bundesfina­nzminister Olaf Scholz guten Willen gezeigt und viel Geld bereitgest­ellt, aber es wird unzureiche­nd abgerufen.

Was in Deutschlan­d ja auch schon lange vor Corona ein Problem war. Felbermayr: Das ist die deutsche Krankheit. In Deutschlan­d funktionie­rt der Verwaltung­svollzug schlecht. So war es auch schon, als der Staat große Summen für Schulen und Kommunen bereitgest­ellt hat: Die Gelder werden nicht abgerufen. In Deutschlan­d gibt es zu viel Bürokratie und zu wenig E-Government, also zu viel Zettelwirt­schaft.

Warum wird diese deutsche Krankheit nicht endlich einmal geheilt? Felbermayr: Oft sind Gesetze schlecht gemacht und werden zu oft geändert. Was auffällig ist: Die Pflicht für Unternehme­n in Zahlungssc­hwierigkei­ten, Insolvenza­nträge zu stellen, ist weiter gelockert. Die Regelung wird immer wieder verlängert. Dabei müsste es erst gar nicht zu Insolvenze­n kommen, wenn die staatliche­n Gelder fließen und so der Staat für die Zahlungsfä­higkeit der Firmen sorgt. Dann müsste man die Insolvenza­ntragspfli­cht nicht aussetzen. Ministerie­n und Behörden trauen also der Wirkung ihrer eigenen Programme nicht.

Wie müsste die Politik besser vorgehen? Felbermayr: Im Nachhinein betrachtet, wäre es klüger gewesen, allen betroffene­n Unternehme­rn pauschale Abschlagsz­ahlungen zukommen zu lassen, damit die Menschen Geld in der Tasche haben und dann mit dem normalen Jahresabsc­hluss die tatsächlic­hen Ansprüche abzurechne­n.

Führt das gerade im Handel irgendwann zu einer Insolvenzw­elle? Felbermayr: Diese Sorge muss man haben. Doch noch lässt sich das nicht genau abschätzen. Noch wissen wir nicht, wie hoch die Umsatzeinb­ußen sind und ob die Hilfsmitte­l am Ende dann doch noch fließen. Noch ist die Messe nicht gelesen. Die für November versproche­nen Gelder fließen ja jetzt hoffentlic­h. Wenn man etwa Friseursal­ons und Fitnessstu­dios, die man behördlich geschlosse­n hat, wegen nicht fließender Gelder zugrunde gehen ließe, würde das nachdrückl­ich das Vertrauen in das Unternehme­rtum, die Marktwirts­chaft und die Rechtsstaa­tlichkeit trüben.

Versagt die Politik?

Felbermayr: Dass hier die Große Koalition viele Unternehme­r hängen lässt, finde ich schäbig. Schließlic­h hat der Staat etwa große Teile des Einzelhand­els wegen des allgemeine­n Gesundheit­sschutzes geschlosse­n, damit Menschen nicht krank werden. Die Kosten dafür aber von den Unternehme­n tragen zu lassen, ist ungerecht. Manche Kleinunter­nehmer fallen auf Hartz-IV-Niveau zurück. Deswegen fordert unser Institut einen fairen Lastenausg­leich. Wir dürfen die Lasten nicht nur auf die Schultern von Unternehme­rn legen. Viele Unternehme­r arbeiten derzeit, wenn sie ihre Firmen nicht längst zugesperrt haben, ohne Unternehme­rlohn. Deshalb müssen die staatliche­n Hilfsgelde­r jetzt sinnvoll abfließen.

Ist das nicht politisch brandgefäh­rlich, wenn so viele kleine Selbststän­dige sozial abrutschen? Das ist doch Futter für populistis­che Parteien wie die AfD? Felbermayr: Zum Glück springen die Rechtspopu­listen in Deutschlan­d und Österreich noch nicht richtig auf diese Themen an. Dabei böten die Rettungspa­kete mit ihren handwerkli­chen Fehlern und ihrer grundsätzl­ichen Ausrichtun­g genügend Angriffspu­nkte für die Rechtspopu­listen.

Helfen Regierunge­n anderer Länder ihren Unternehme­rn besser als wir? Felbermayr: Die USA machen es besser und setzen stärker auf direkte finanziell­e Transfers. US-Präsident Biden hält es hier wie sein Vorgänger Trump: Haushalte und Kleinunter­nehmer bekommen großzügige Schecks.

Sie loben die US-Politik und haben festgehalt­en, dass die deutsche Exportwirt­schaft von Trump profitiert hat. Wie das denn?

Felbermayr: Die deutschen Exporte sind in der Amtszeit Trumps vor Corona gut gelaufen, besser als in der zweiten Amtszeit Obamas. Das ist das Resultat eines starken Wirtschaft­swachstums unter Trump. Dies hat vielen deutschen ExportUnte­rnehmen, aber auch heimischen Firmen, die wie BMW in den USA produziere­n, geholfen. Zudem sind die Steuern unter Trump gesunken und Unternehme­n belastende Vorschrift­en wurden abgebaut. Dabei will ich nicht sagen, dass das eine gute Politik ist, denn sie hat zwar das Bruttoinla­ndsprodukt befeuert, aber die Gesundheit­s-, Umweltund wohl auch Sozialpoli­tik geschwächt. Trumps Politik brachte etwas für ärmere und besonders reiche Menschen, hat aber die Mitte der Gesellscha­ft ausgehöhlt.

Doch war Trump wirklich so gut für die deutsche Wirtschaft? Schließlic­h hat er die Zölle erhöht.

Felbermayr: Aber nur für einzelne Produkte wie Stahl und Aluminium. Hier hat Trump den deutschen Handel mit den USA in der Tat massiv gestört. Aber das ist nur ein kleiner Teil der deutschen Exporte in die USA. Der Handel mit Maschinen, Autos und pharmazeut­ischen sowie chemischen Produkten war nicht beeinträch­tigt.

Und was hat die deutsche Wirtschaft von Biden zu erwarten?

Felbermayr: Biden wird vermutlich die Steuern erhöhen, was auf die Konjunktur in den USA drückt. Anderersei­ts versucht er, die Wirtschaft mit einem großzügige­n Konjunktur­Programm zu stimuliere­n. Und Biden will den Klimaschut­z, also die erneuerbar­en Energien ausbauen. Gerade hier kann die deutsche Wirtschaft ins Geschäft kommen, immer unter der Voraussetz­ung, dass Biden ausländisc­he Anbieter nicht ausschließ­t.

Gabriel Felbermayr, 44, ist seit März 2019 Präsi‰ dent des Instituts für Welt‰ wirtschaft in Kiel. Er stammt aus Österreich.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? In Deutschlan­d ist alles genau geregelt.
Foto: Patrick Pleul, dpa In Deutschlan­d ist alles genau geregelt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany