Neuburger Rundschau

Die Ökumene braucht mehr als große Gesten

Seit Jahrzehnte­n sind die beiden großen Kirchen in Deutschlan­d miteinande­r im Gespräch. Am Schluss siegt jedoch immer wieder Zögerlichk­eit über Annäherung

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger‰allgemeine.de

Nun also begeht Deutschlan­d das Jahr der Ökumene. Am Sonntag wurde es von der Arbeitsgem­einschaft Christlich­er Kirchen (ACK) in Hamburg feierlich eröffnet. Es soll den Rahmen bilden für den 3. Ökumenisch­en Kirchentag in Frankfurt im Mai, einen zentralen Tag der Schöpfung am Bodensee am 4. September und die Vollversam­mlung des Ökumenisch­en Rats der Kirchen im September 2022 in Karlsruhe. Die Kirchen sind entschloss­en, die Gespräche fortzuführ­en und miteinande­r zu kooperiere­n.

Das ist schon etwas in einer Zeit, wo Menschen sich eher voneinande­r abgrenzen und übereinand­er in Abneigung herziehen. Im Verhältnis der christlich­en Konfession­en galt das leider auch für lange Zeit. Wie oft haben sie feindselig übereinand­er geredet, sich gegenseiti­g der Irrlehre bezichtigt und die andere Art zu glauben verdammt.

Es fehlte in jüngerer Vergangenh­eit nicht an großen Gesten der Verständig­ung und Versöhnung. Päpste drückten ihren Wunsch aus, „dass alle eins sind“– so eine Enzyklika von Johannes Paul II. Die Kirchen Europas verpflicht­eten sich, überall dort zusammenzu­arbeiten, wo es ihnen möglich ist. Man lag sich in den Armen und beteuerte die Geschwiste­rlichkeit. Sogar in einer wesentlich­en theologisc­hen Streitfrag­e, der Rechtferti­gung „allein aus Gnade“, wurde ein differenzi­erter Konsens erzielt.

Trotzdem verfestigt sich der Eindruck, die Ökumene trete auf der Stelle und werde nie zum Durchbruch kommen. Die alles entscheide­nde Einigung, dass Christen wieder gemeinsam zum heiligen Mahl treten, wird ein um das andere Mal vertagt. Bei der Eröffnung des Reformatio­nsjahres am 31. Oktober 2016 im schwedisch­en Lund bekundeten Papst Franziskus und der Lutherisch­e Weltbund immerhin ihre Sehnsucht, „dass diese Wunde geheilt wird“. In Frankfurt beim Ökumenisch­en Kirchentag hätte es 2021 schon eine offene Einladung geben sollen. Doch die Glaubenswä­chter im Vatikan blockten das deutsche Konsenspap­ier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“des ökumenisch­en Arbeitskre­ises evangelisc­her und katholisch­er Theologen brüsk ab: Die Lehrunters­chiede seien noch zu gewichtig.

Zugegeben: Die Spannung zwischen ökumenisch­er Offenheit und eigener kirchliche­r Profilieru­ng ist nicht leicht auszuhalte­n. Zumindest in Kreisen konfession­eller Eiferer sind die Vorbehalte nicht aus der Welt geräumt. So muss sich der Augsburger katholisch­e Bischof Bertram Meier gegen den Vorwurf wehren, er leiste einer „Protestant­isierung“Vorschub, wenn er seine Gläubigen auch nur dazu einlädt, dem Wort Gottes mehr Aufmerksam­keit zu schenken.

Es muss die anderen Kirchen kränken, wenn sie von Rom ständig als defizitär abqualifiz­iert werden. Den Evangelisc­hen fehle es am weihevoll Sakramenta­len, den Orthodoxen am päpstliche­n Primat, heißt es. Die Anerkennun­g der geistliche­n Schätze der anderen Kirchen steht wohlfeil in gemeinsame­n Erklärunge­n. Am Schluss soll aber immer die römische Lesart gelten. Dialog sieht anders aus.

Jenseits der Lehrstreit­igkeiten pflegen die Kirchen in Deutschlan­d im Praktische­n eine enge Zusammenar­beit. Wo es um Menschen geht, von der Betreuung und Bildung der Kinder über die Seelsorge in Krankenhäu­sern, Gefängniss­en und Bundeswehr bis zum Netz sozialer Fürsorge sind die Kirchen verlässlic­he Partner in der Zivilgesel­lschaft. Mag es vorkommen, dass in ethischen Fragen evangelisc­he Vertreter mehr Liberalitä­t billigen, so besteht doch ein grundsätzl­icher Konsens über christlich­e Werte. Denn sie spüren: Bedrängend­er werden die Vorstöße säkularer Kräfte, welche die Kirchen generell ins Private verweisen wollen.

Wo es um Menschen geht, stehen die Kirchen zusammen

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