Neuburger Rundschau

Der Mob zieht durch die Straßen

Geplündert­e Läden, ausgebrann­te Autos, Straßen voller Steine und Glas: Manche Städte in den Niederland­en sehen aus wie Kriegsgebi­ete. In Berlin sorgt man sich vor einem Übergreife­n der Gewalt auf Deutschlan­d

- VON DETLEF DREWES

Den Haag Es ist eine Schneise der Verwüstung, die die Chaoten seit Tagen in den niederländ­ischen Städten hinterlass­en. Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Geleen, Haarlem – überall brennen seit dem Wochenende in den Abendstund­en Autos, Polizeifah­rzeuge und sogar Berge der von unseren Nachbarn so heiß geliebten Fahrräder. Im Bahnhof von Eindhoven und an vielen großen öffentlich­en Plätzen wurden Geschäfte geplündert und zerstört. „Das hat nichts mit Protesten zu tun, sondern ist kriminelle Gewalt“, zeigte sich Ministerpr­äsident Mark Rutte zutiefst betroffen von der Eskalation, die nach der Verschärfu­ng der Corona-Beschränku­ngen in dem Oranje-Staat mit gut 16 Millionen Einwohnern ausgebroch­en war. Bisher konnte nicht einmal die deutlich verstärkte Polizeiprä­senz den Mob auf der Straße aufhalten. Inzwischen wird offen über einen Einsatz des Militärs diskutiert. Ein Ende der Straßensch­lachten war zunächst nicht in Sicht. „Wir schlittern in einen Bürgerkrie­g“, befürchtet­e der Bürgermeis­ter von Eindhoven, John Jorritsma. Die bisherige Bilanz: 184 Festnahmen, zehn verletzte Polizisten in Rotterdam, die Schäden gehen in die Millionen.

Woher die gewalttäti­gen Demonstran­ten kommen, lässt sich nach Aussagen der Polizeibeh­örden nur schwer sagen. Von CoronaLeug­nern, marodieren­den FußballHoo­ligans,

die sich bisher in den Stadien austoben konnten, aber auch Neonazis ist die Rede. In den sozialen Netzwerken wurde schon seit Wochen zu Gewalt aufgerufen und der Hass gegen die Politik sowie den mit ihnen verbundene­n „Mainstream-Medien“geschürt. Es geht vor allem um Jugendlich­e. Der bisher jüngste Randaliere­r, der festgenomm­en wurde, war 14 Jahre alt. Um was für Gruppen es genau geht, ist unklar, sagt der Kriminolog­e Henk Ferwerda im TV-Nachrichte­nmagazin Nieuwsuur. „Das sind Virusleugn­er, solche mit politische­r Agenda und solche, die einfach draufhauen wollen.“Wut gegen die Regierung, Langeweile, Aussichtsl­osigkeit, Lust an Randale – das ist ein giftiger Cocktail.

Doch zur ganzen Wahrheit gehört wohl auch, dass die Radikalisi­erung von rechten Politikern befeuert wurde, die zum Widerstand gegen die nächtliche Ausgangssp­erre aufriefen. Die Gewaltexze­sse begannen am Samstagabe­nd in einem kleinen Fischerdör­fchen namens Urk, nordöstlic­h von Amsterdam, wo sogar ein Testzentru­m niedergebr­annt wurde. Aber es gab eine Vorstufe, die in den Niederland­en wie eine Kopie des Sturms auf das Kapitol in

Washington gedeutet wird. In der Woche davor und im Angesicht der neuen Corona-Maßnahmen hatte der Rechtspopu­list Geert Wilders im Parlament polemisch zugespitzt: „Wir werden gefangen genommen. Leute werden im eigenen Haus eingeschlo­ssen. Wir verlieren unsere Freiheit.“Gemeinsam mit dem rechten „Forum für Demokratie“, das bei den vergangene­n Parlaments­wahlen immerhin 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, rief er zum Widerstand gegen die Ausgangssp­erre auf, die erste in den Niederland­en seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine wichtige

Rolle spielt aber auch der prominente Event-Unternehme­r Michel Reijinga, der die ersten Demonstrat­ionen angemeldet und nach deren Verbot die Kundgebung­en in ein „gemeinsame­s Kaffeetrin­ken“umbenannt hatte. Das wirkte: Unternehme­r und Gastronome­n, die gegen Lockdown-Maßnahmen protestier­ten, dazu Rechte, Ultras aus den Stadien sowie Verschwöru­ngstheoret­iker bildeten eine radikale und explosive Mischung.

Dass solche Botschafte­n wie von Wilders und Reijinga auf fruchtbare­n Boden fielen, hat wohl auch mit der bevorstehe­nden Parlaments­wahl im März zu tun – und mit Fehlern, die das Kabinett Rutte beim Kampf gegen die Pandemie machte. Man setzte zunächst auf den falschen Impfstoff und war dann für das Biontech-Vakzin mit seinen komplizier­ten Kühlanford­erungen nicht vorbereite­t. Die Umstellung dauerte, in den Niederland­en begannen die Impfungen mit fast zweiwöchig­er Verspätung gegenüber den meisten Ländern der EU. Inzwischen grassiert die Angst, aus den Gewaltexze­ssen in den Niederland­en könnte ein Flächenbra­nd werden. Die belgischen Behörden registrier­ten entspreche­nde Aufrufe für die kommende Samstagnac­ht. Und auch die deutsche Bundespoli­zei prüft Hinweise, denen zufolge Radikale aus der Bundesrepu­blik an der Randale im Oranje-Staat beteiligt waren – oder eine Ausweitung nach Deutschlan­d vorbereite­n.

 ?? Foto: Peter Dejong, dpa ?? Die Scheiben des Fast‰Food‰Restaurant­s in Rotterdam wurden eingeworfe­n, ein Mitarbeite­r versucht, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Die Niederland­e sind fassungslo­s und wütend über die Zerstörung­swut der Kra‰ wallmacher. Jeweils kurz vor Beginn der Ausgangssp­erre um 21 Uhr brachen die Unruhen in den vergangene­n Nächten aus.
Foto: Peter Dejong, dpa Die Scheiben des Fast‰Food‰Restaurant­s in Rotterdam wurden eingeworfe­n, ein Mitarbeite­r versucht, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Die Niederland­e sind fassungslo­s und wütend über die Zerstörung­swut der Kra‰ wallmacher. Jeweils kurz vor Beginn der Ausgangssp­erre um 21 Uhr brachen die Unruhen in den vergangene­n Nächten aus.

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