Neuburger Rundschau

„Deutschlan­d muss mehr ins Risiko gehen“

Die Pandemie stellt die Welt auf den Kopf – wie sieht die Welt nach Corona aus? Anders – und zwar für alle. Autor Robert Jacobi schreibt, wie für Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft ein „Reboot“, ein Neustart gelingen kann

- Interview: Yannick Dillinger

Herr Jacobi, in IT-Kreisen gibt es den Spruch: „Wenn nichts mehr tut: Reboot“. Damit möchten Computersp­ezialisten Anwendern Hoffnung machen, dass ein Problem mit dem digitalen Gerät allein durch ein Runter- und wieder Hochfahren verschwind­et. Ihr Buch heißt „Reboot. Der Code für eine widerstand­sfähige Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft“. Was „tut“gerade nicht mehr?

Robert Jacobi: Deutschlan­d muss aufpassen, dass es in entscheide­nden Bereichen nicht den Anschluss verliert. Das Land hat wirtschaft­lich starke Jahre hinter sich. Der Erfolg gründet aber zum Großteil auf der Kraft alter Industrien. Viele Unternehme­n und auch der Staat haben den digitalen Aufbruch ausgerufen, aber noch nicht ausreichen­d Konkretes daraus abgeleitet. Es fehlen die Innovation­en. In der CoronaKris­e zeigt sich, wie fatal das ist. Schauen wir uns nur die Probleme beim Homeschool­ing oder Mobile Office an. Ein Reboot ist zwingend erforderli­ch. Unser Betriebssy­stem braucht einen Neustart. Wir müssen das Ausprobier­en von Neuem und das Reingehen ins Risiko in unsere DNA aufnehmen. Da sind andere Länder sehr viel weiter als wir.

„Der Spiegel“hat jüngst Chinas Vormachtst­ellung in Schlüsselt­echnologie­n zum Titelthema gemacht. Die Prognose: Der frühe Neustart aus der Pandemie verschiebt die Machtverhä­ltnisse noch weiter in Richtung Osten. Was stimmt Sie zuversicht­lich, dass wir mit einem Reboot aufholen können – etwa auch im Wettbewerb mit Ländern wie Estland oder Israel?

Jacobi: Viele gute Ansätze sind auch hierzuland­e schon da, sie müssen aber Glaubwürdi­gkeit bekommen. Da hilft das veränderte Bewusstsei­n durch Corona. Wir verstehen gerade, dass Lippenbeke­nntnisse nicht ausreichen, um Anschluss zu finden in wichtigen Zukunftsth­emen. Wir müssen die Dinge auch auf die Straße bekommen und uns fokussiere­n. Nehmen wir das Beispiel der Künstliche­n Intelligen­z: Da ist die Forschung in Deutschlan­d stark. Auf dieses Feld sollten wir uns konzentrie­ren, statt mühsam zu versuchen, in anderen Bereichen aufzuholen. Wir könnten unser Wissen in ein bestehende­s System einbringen. Wir sollten dann aber auch stärker werden bei der Überleitun­g von Forschung in Kommerzial­isierung. Sonst verdienen nur andere Geld mit dem, was wir mitentwick­elt haben.

Sie haben eben vom „Ins Risiko gehen“gesprochen: Das macht etwa Dietmar Hopp seit Jahren. Der SAP-Gründer steckt viel Privatverm­ögen in die Firma Curevac – bislang ohne Rendite. Nun scheint sein Beharrungs­vermögen dazu beizutrage­n, dass die Welt bald einen weiteren Impfstoff gegen das Coronaviru­s haben und er Millionen verdienen wird. Braucht Deutschlan­d mehr Hopps?

Jacobi: Absolut. Gerade die Beispiele von Biontech und Curevac sind tolle Leuchttürm­e. Allerdings darf Risikokapi­tal nicht nur von einigen wenigen Mutigen kommen, sondern braucht eine noch breitere Basis, bis hin zum öffentlich­en Sektor, und zwar mit einem Portfolio-Ansatz. Wenn Geldgeber in 20, 30 Projekte investiere­n und eins davon richtig erfolgreic­h wird, dann ist das eine tolle Sache. Dann macht es auch nichts, wenn die anderen Projekte im Portfolio nicht zünden. Dieses Denken fehlt uns in Deutschlan­d. Das ist auch eine Einstellun­gssache: Wir müssen mit dem Scheitern ganz anders umgehen.

Wie wichtig ist beim Umgang mit Scheitern und beim Vorantreib­en von

Innovation eine veränderte Führungsro­lle in Unternehme­n?

Jacobi: Eine neue Form der Führung ist ein wichtiges Thema. Chefs müssen Mitarbeite­rn die richtigen Tools zur Verfügung stellen und den Zugang zu Wissen fördern. In Deutschlan­d gibt es in der mittleren Ebene zu viele Menschen, die im Laufe ihrer Karriere nie mit neuen Themen konfrontie­rt werden. Die beackern 20, 30 Jahre lang immer dieselben Dinge. Da wird es dann schwierig, Innovation voranzutre­iben. Angestellt­e müssen verstehen, dass sie selbst von Veränderun­g profitiere­n, dass sie sie mitgestalt­en sollten. Und das muss von der Spitze glaubwürdi­g vermittelt werden.

Viele Menschen haben das Gefühl, dass Veränderun­g eher etwas Bedrohlich­es ist. Zehntausen­de trauern um ihre Angehörige­n, Hunderttau­sende bangen um ihre Jobs. Währenddes­sen vermehren einige wenige ihr ohnehin großes Vermögen weiter. Wie verhindern wir beim Reboot, dass die Schere noch weiter aufgeht?

Jacobi: Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Unsere ganzen Anstrengun­gen gerade dürfen nicht nur die reichen Menschen noch reicher machen. Wir müssen sicherstel­len, dass alle Menschen vom Fortschrit­t profitiere­n können. Das gehört für mich zum Thema gesellscha­ftliche Innovation dazu. Genauso intensiv wie über die notwendige Finanzieru­ng von Start-ups sollten wir über den Mindestloh­n diskutiere­n. Es geht um eine nachhaltig­e Entwicklun­g der Gesellscha­ft.

Nachhaltig­keit ist in Ihrem Buch ohnehin ein großes Thema. Wie lässt sich das Streben nach Wachstum mit Ihrer Vision von Nachhaltig­keit vereinbare­n?

Jacobi: Wachstum ist wichtig, ohne ein Mehr wird vieles schwierige­r. Wir sollten aber aktiver gestalten, durch was Wachstum entsteht und wie wir ein qualitativ­eres Mehr bekommen. Fortschrit­t darf nicht im Gegensatz zum Allgemeinw­ohl stehen. Wir brauchen einen gesellscha­ftlichen Konsens darüber, was wichtig und richtig ist. Schauen wir in die USA: Dort hat Joe Biden die Wahl auch deshalb gewonnen, weil er auf nachhaltig­es Wachstum und Diversität setzt statt nur auf Turbokapit­alismus. Wenn wir nur ein Mehr um jeden Preis anstreben, gefährden wir die Stabilität unserer Gesellscha­ft.

Wo steht denn Deutschlan­d in Sachen Diversität?

Jacobi: Wir sind nicht Schlusslic­ht, aber es gibt wahnsinnig viel zu tun – und das auch aus ganz volkswirts­chaftliche­m Interesse heraus. Ein Beispiel: Wir haben top ausgebilde­te Frauen. Aber sie gehen oft viel zu früh aus ihren Karrieren raus. Leider ist dieses Land deshalb noch immer zu sehr von älteren weißen Männern geprägt. Das liegt auch daran, dass Führungskr­äfte bei der Suche nach anderen Führungskr­äften oder Nachfolger­n meist auf Menschen setzen, die ihnen selbst ähnlich sind. Jede gesetzlich­e Initiative, die mehr Frauen in Führungspo­sitionen bringt, ist richtig und wichtig für den Reboot. Eine diversere Führung bedeutet für mich ein qualitativ­eres Mehr. Dadurch erlangen Unternehme­n mehr Flexibilit­ät, mehr Innovation und mehr Erfolg.

Die Frauenquot­e ist eine konkrete Forderung an die Politik. Was schreiben Sie den Regierende­n noch ins Stammbuch für den Reboot?

Jacobi: Die Politiker sind gut beraten, Innovation nicht nur im globalen Kontext zu sehen, sondern auch im lokalen, in der kleinen Behörde etwa. Auch dort muss Raum für Veränderun­gen sein. Nur so können die Entscheidu­ngsträger verhindern, dass die Kluft noch größer wird.

Ihr Tipp für Wirtschaft­sbosse? Jacobi: Sie sollten ehrlich sein. Und konsequent. Digitalisi­erung ist kein Selbstzwec­k. Digitalisi­erung ist kein Argument für Stellenabb­au. Digitalisi­erung sollte Fortschrit­t beschleuni­gen. Dafür muss sie aber richtig eingesetzt werden.

OReboot. Der Code für eine wider‰ standsfähi­ge Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft von Robert Jacobi erscheint am 1. Februar im Murmann Verlag.

Robert Jacobi, 44, ist Rei‰ seschrifts­teller, Bergstei‰ ger, ehemaliger Korrespon‰ dent für Wirtschaft­spolitik und Gründungsp­artner eines Beratungsu­nternehmen­s für digitalen Wandel in München.

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Foto: Tobias Kleinschmi­dt, dpa Autor Robert Jacobi plädiert für mehr Widerstand­sfähigkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft nach der Pandemie. Dazu ge‰ hört für ihn auch, dass mehr Frauen in Spitzenpos­itionen rücken.
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