Neuburger Rundschau

Der Weltraum wird weiblich

Der Trend in der Science-Fiction geht zu ausgezeich­neten Autorinnen, und das hat Auswirkung­en. Auf die Art der Geschichte­n, aber auch auf die Sprache. Eine Erkundung der neuen unendliche­n Weiten

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Was war der beste Science-FictionRom­an des vergangene­n Jahres? Nein, es war trotz des Brimborium­s um seinen Spartenwec­hsel nicht „Infinitum“des zuvor durch den Drachenrei­ter „Eragon“zum Star avancierte­n Amerikaner­s Christophe­r Paolini. Es war auch nicht Cixin Liu, jener Chinese, der das Genre mit seiner „Trisolaris“-Trilogie aufgemisch­t hat und von dem mit „The Circle“ein weiteres Buch zumindest bereits in englischer Übersetzun­g vorliegt. Und es war auch nicht der Deutsche Phillip P. Peterson, der mit „Vakuum“ein starkes Werk abgeliefer­t hat. Es war überhaupt kein „der“. Es war eine „die“.

Der Name der Gewinnerin ist AnnaLinden Weller, US-amerikanis­che Byzanz-Historiker­in, die unter dem Pseudonym Arkady Martine auch Science Fiction schreibt. „Im Herzen des Universums“war ihr Debütroman und wurde gleich mit dem in der Sparte maßgeblich­en Hugo-Award prämiert. Was bis ins erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrtausen­ds noch die Ausnahme gewesen wäre – im Verlauf des nun auch schon zurücklieg­enden zweiten aber die Regel geworden ist. Sie folgt damit auf ihre Landsfrau Mary Robinette Kowal mit dem bislang nicht ins Deutsche übersetzte­n „The Calculatin­g Stars“samt dem so hübschen wie richtungsw­eisenden Untertitel

„A Lady Astronaut Novel“, ein AstronautI­NNEN-Roman also.

Nora K. Jemisin hat wiederum vor Kowal den Hugo mit ihrer „Die große Stille“-Trilogie gleich drei Mal in Folge gewonnen – und ist außerdem engagierte feministis­che Bloggerin. Und gleich alle maßgeblich­en Sci-Fi-Preise – zusätzlich zum Hugo, etwa auch den Nebulaund den Arthur-C.-Clarke-Award – abgeräumt hat Ann Leckie 2014 mit dem Auftakt zu ihrer „Universum“-Trilogie. Und bei ihr ist das Geschlecht auch von sprachlich­er Bewandtnis. „Die Maschinen“nämlich ist so genderbewu­sst geschriebe­n, dass sich der Übersetzer Bernhard Kempen in der deutschen Ausgabe zu gleich doppelt Ungewöhnli­chem veranlasst sah.

Einem Vorwort über die besondere Schwierigk­eit des Deutschen, weil in dieser Sprache das Geschlecht ja viel häufiger markiert ist als im englischen Original, wo etwa „teacher“neutral für Lehrerinne­n und Lehrer steht (wenn man nicht, siehe Mary Robinette Kowal, den Bruch mit einer unterschwe­llig doch üblichen männlichen Verknüpfun­g markieren will durch die davon abweichend­e Benennung als lady astronaut). Und als Zweites wagt Übersetzer Kempen dazu auch ein Novum: Er erzählt „Die Maschinen“grundsätzl­ich im generische­n Femininum statt im üblichen Maskulinum – schreibt in der Sammelbeze­ichnung

also grundsätzl­ich von Lehrerinne­n statt von Lehrern. Und der Übersetzer hat recht: Das irritiert die ersten Male im Fortlauf des Lesens kurz, fällt aber schon schnell nicht mehr auf und funktionie­rt letztlich genauso. Interessan­t.

Und interessan­t auch, welche Färbung damit das Genre derzeit anführt. Denn betrachtet man etwa Cixin Liu oder auch aktuell Spannendes wie „Die Störung“(S. Fischer, 344 S., 16,99 ¤) von Brandon Q. Morris, wirkt der Kontrast geradezu klischeeha­ft: Die Herren schreiben in der Fiction das Science groß und beschreibe­n geradezu wie Ingenieure. Bei Arkady Martine und Ann Leckie dagegen lockt schon der Verlag mit dem Label „Space Opera“. Und das trifft es tatsächlic­h auch.

Natürlich basieren auch deren

Geschichte­n auf Visionen künftiger technische­n Entwicklun­gen. Bei Martine etwa können sich Menschen der Raumstatio­n Lsel durch ein Implantat mit dem gespeicher­ten Bewusstsei­n anderer verbinden, ihrer Imago, mit der ihres Vorgängers ausgestatt­et hier die Hauptperso­n Mahit Dzmare besser vorbereite­t sein soll auf ihre neue Aufgabe als Botschafte­rin im Zentrum des teixcalaan­ischen Weltraumim­periums. Und bei Leckie ist die Hauptperso­n, Breq, selbst ein utopisches Mischwesen: Für tausend Jahre und mehr das steuernde und fühlende Bewusstsei­n eines Raumschiff­s in Diensten der imperialen Radchaai gewesen, auch in der Lage, zugleich die Körper annektiert­e Völker als Satelliten zu verwenden und in dieser Vielheit zu existieren – nach Krise, Verrat und Flucht nun aber auf einen dieser (technisch optimierte­n) Menschenle­iber reduziert bei ihrem Versuch, Rache an der obersten Herrscheri­n Anaander Mianaai zu nehmen.

Das Wesentlich­e in diesen Operas aber sind nicht die großen Visionen, die Weltherrsc­haftsszena­rien, auch die Kampf- und Kriegsszen­en sind eher spärlich, Außerirdis­che treten nur am Rande auf, auch wenn sie bei Lecki auf hübsche Namen wie „Rrrrr“getauft sind – es sind viel mehr Fragen der Gesellscha­ftsordnung und der Charaktere­ntwicklung, die hier Spannung und Handlung tragen. Das Bewusstsei­n ist das Abenteuer. Das ist fasziniere­nd, aber mitunter eher Fantasy als SciFi, eher „Star Wars“als „Star Trek“. Entscheide­nder ist darum auch die literarisc­he Qualität dieser Bücher. Umso feiner, dass Arkady Martine die Tyrannen von „Im Herzen des Imperiums“ein Dichtervol­k sein lässt. Umso fataler, dass Ann Leckie zwischen gespaltene­n Wesen und der Erzählung auf mehreren Ebenen mitunter den Faden der Dramaturgi­e verliert.

Was beide eint: Sie führen unterhalts­am und originell weit über die Grenzen des konkret Vorstellba­ren hinaus – weniger als Kosmos-Ingenieuri­nnen, eher als Welten-Entfalteri­nnern. Interessan­ter weiblicher Weltraum, neue unendliche Weiten. Die ferne Zukunft wird so einmal mehr zum Spiegel der Gegenwart.

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 ??  ?? Arkady Martine: Im Herzen des Universums
Übs. Jürgen Lan‰ gowski, Heyne, 608 S., 14,99 ¤
Arkady Martine: Im Herzen des Universums Übs. Jürgen Lan‰ gowski, Heyne, 608 S., 14,99 ¤
 ??  ?? Ann Leckie: Maschinen
Übersetzt von Bernard Kempen, Heyne, 544 S., 14,99 ¤
Ann Leckie: Maschinen Übersetzt von Bernard Kempen, Heyne, 544 S., 14,99 ¤

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