Der Weltraum wird weiblich
Der Trend in der Science-Fiction geht zu ausgezeichneten Autorinnen, und das hat Auswirkungen. Auf die Art der Geschichten, aber auch auf die Sprache. Eine Erkundung der neuen unendlichen Weiten
Was war der beste Science-FictionRoman des vergangenen Jahres? Nein, es war trotz des Brimboriums um seinen Spartenwechsel nicht „Infinitum“des zuvor durch den Drachenreiter „Eragon“zum Star avancierten Amerikaners Christopher Paolini. Es war auch nicht Cixin Liu, jener Chinese, der das Genre mit seiner „Trisolaris“-Trilogie aufgemischt hat und von dem mit „The Circle“ein weiteres Buch zumindest bereits in englischer Übersetzung vorliegt. Und es war auch nicht der Deutsche Phillip P. Peterson, der mit „Vakuum“ein starkes Werk abgeliefert hat. Es war überhaupt kein „der“. Es war eine „die“.
Der Name der Gewinnerin ist AnnaLinden Weller, US-amerikanische Byzanz-Historikerin, die unter dem Pseudonym Arkady Martine auch Science Fiction schreibt. „Im Herzen des Universums“war ihr Debütroman und wurde gleich mit dem in der Sparte maßgeblichen Hugo-Award prämiert. Was bis ins erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrtausends noch die Ausnahme gewesen wäre – im Verlauf des nun auch schon zurückliegenden zweiten aber die Regel geworden ist. Sie folgt damit auf ihre Landsfrau Mary Robinette Kowal mit dem bislang nicht ins Deutsche übersetzten „The Calculating Stars“samt dem so hübschen wie richtungsweisenden Untertitel
„A Lady Astronaut Novel“, ein AstronautINNEN-Roman also.
Nora K. Jemisin hat wiederum vor Kowal den Hugo mit ihrer „Die große Stille“-Trilogie gleich drei Mal in Folge gewonnen – und ist außerdem engagierte feministische Bloggerin. Und gleich alle maßgeblichen Sci-Fi-Preise – zusätzlich zum Hugo, etwa auch den Nebulaund den Arthur-C.-Clarke-Award – abgeräumt hat Ann Leckie 2014 mit dem Auftakt zu ihrer „Universum“-Trilogie. Und bei ihr ist das Geschlecht auch von sprachlicher Bewandtnis. „Die Maschinen“nämlich ist so genderbewusst geschrieben, dass sich der Übersetzer Bernhard Kempen in der deutschen Ausgabe zu gleich doppelt Ungewöhnlichem veranlasst sah.
Einem Vorwort über die besondere Schwierigkeit des Deutschen, weil in dieser Sprache das Geschlecht ja viel häufiger markiert ist als im englischen Original, wo etwa „teacher“neutral für Lehrerinnen und Lehrer steht (wenn man nicht, siehe Mary Robinette Kowal, den Bruch mit einer unterschwellig doch üblichen männlichen Verknüpfung markieren will durch die davon abweichende Benennung als lady astronaut). Und als Zweites wagt Übersetzer Kempen dazu auch ein Novum: Er erzählt „Die Maschinen“grundsätzlich im generischen Femininum statt im üblichen Maskulinum – schreibt in der Sammelbezeichnung
also grundsätzlich von Lehrerinnen statt von Lehrern. Und der Übersetzer hat recht: Das irritiert die ersten Male im Fortlauf des Lesens kurz, fällt aber schon schnell nicht mehr auf und funktioniert letztlich genauso. Interessant.
Und interessant auch, welche Färbung damit das Genre derzeit anführt. Denn betrachtet man etwa Cixin Liu oder auch aktuell Spannendes wie „Die Störung“(S. Fischer, 344 S., 16,99 ¤) von Brandon Q. Morris, wirkt der Kontrast geradezu klischeehaft: Die Herren schreiben in der Fiction das Science groß und beschreiben geradezu wie Ingenieure. Bei Arkady Martine und Ann Leckie dagegen lockt schon der Verlag mit dem Label „Space Opera“. Und das trifft es tatsächlich auch.
Natürlich basieren auch deren
Geschichten auf Visionen künftiger technischen Entwicklungen. Bei Martine etwa können sich Menschen der Raumstation Lsel durch ein Implantat mit dem gespeicherten Bewusstsein anderer verbinden, ihrer Imago, mit der ihres Vorgängers ausgestattet hier die Hauptperson Mahit Dzmare besser vorbereitet sein soll auf ihre neue Aufgabe als Botschafterin im Zentrum des teixcalaanischen Weltraumimperiums. Und bei Leckie ist die Hauptperson, Breq, selbst ein utopisches Mischwesen: Für tausend Jahre und mehr das steuernde und fühlende Bewusstsein eines Raumschiffs in Diensten der imperialen Radchaai gewesen, auch in der Lage, zugleich die Körper annektierte Völker als Satelliten zu verwenden und in dieser Vielheit zu existieren – nach Krise, Verrat und Flucht nun aber auf einen dieser (technisch optimierten) Menschenleiber reduziert bei ihrem Versuch, Rache an der obersten Herrscherin Anaander Mianaai zu nehmen.
Das Wesentliche in diesen Operas aber sind nicht die großen Visionen, die Weltherrschaftsszenarien, auch die Kampf- und Kriegsszenen sind eher spärlich, Außerirdische treten nur am Rande auf, auch wenn sie bei Lecki auf hübsche Namen wie „Rrrrr“getauft sind – es sind viel mehr Fragen der Gesellschaftsordnung und der Charakterentwicklung, die hier Spannung und Handlung tragen. Das Bewusstsein ist das Abenteuer. Das ist faszinierend, aber mitunter eher Fantasy als SciFi, eher „Star Wars“als „Star Trek“. Entscheidender ist darum auch die literarische Qualität dieser Bücher. Umso feiner, dass Arkady Martine die Tyrannen von „Im Herzen des Imperiums“ein Dichtervolk sein lässt. Umso fataler, dass Ann Leckie zwischen gespaltenen Wesen und der Erzählung auf mehreren Ebenen mitunter den Faden der Dramaturgie verliert.
Was beide eint: Sie führen unterhaltsam und originell weit über die Grenzen des konkret Vorstellbaren hinaus – weniger als Kosmos-Ingenieurinnen, eher als Welten-Entfalterinnern. Interessanter weiblicher Weltraum, neue unendliche Weiten. Die ferne Zukunft wird so einmal mehr zum Spiegel der Gegenwart.