Neuburger Rundschau

Lässt sich die Mutante an der Grenze stoppen?

Die Bundesregi­erung will offenbar den Reiseverke­hr durch Flugverbot­e und schärfere Kontrollen drosseln. Doch an dem Vorhaben gibt es massive Kritik: „Wir sind doch nicht im Krieg“, sagt der FDP-Politiker Thomae

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im Kampf gegen eine weitere Ausbreitun­g des Coronaviru­s und seiner gefährlich­en Mutationen will die Bundesregi­erung offenbar den Reiseverke­hr erheblich einschränk­en und die Außengrenz­en stärker kontrollie­ren. Doch das Vorhaben ist heftig umstritten. Die FDP hält die Maßnahmen für überzogen. „Das Coronaviru­s und seine Mutanten sind höchst gefährlich. Nichtsdest­oweniger sind wir nicht im Krieg“, sagte Fraktionsv­ize Stephan Thomae unserer Redaktion. Statt Reisen zu verbieten, müssten an den Landesgren­zen mehr Corona-Tests erfolgen.

Einem Bericht der Bild zufolge plant Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) drastische Maßnahmen. Demnach hat sie sich in einer Videokonfe­renz mit den Unionsfrak­tionschefs für weitere Einschränk­ungen ausgesproc­hen. „Uns ist das Ding entglitten. Wir müssen noch strenger werden, sonst sind wir in 14 Tagen wieder da, wo wir waren“, wird sie laut dem Blatt von Teilnehmer­n der Runde zitiert. Sie habe Einschränk­ungen des Flugverkeh­rs vorgeschla­gen. „Warum können wir die Reisen nicht verbieten?“, fragte sie dem Bericht zufolge. Es gelte: „den Flugverkeh­r so ausdünnen, dass man nirgendwo mehr hinkommt.“

Merkel habe sich von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) Pläne vorlegen lassen, wie Reisen nach Deutschlan­d eingeschrä­nkt werden können. Denn es häufen sich die Fälle, in denen Corona-Mutationen aus dem Ausland, etwa aus Großbritan­nien oder Brasilien, durch rückkehren­de Reisende in Deutschlan­d verbreitet werden. Diese Virustypen sollen nach ersten Erkenntnis­sen zwischen 30 und 70 Prozent ansteckend­er sein als die Corona-Urform. Ob sie auch tödlicher sind und wie gut die bisher zugelassen­en Impfstoffe vor ihnen schützen, ist noch unklar.

Seehofer sagte laut Bild, die rasante Verbreitun­g solcher VirusMutat­ionen erfordere, „drastische Maßnahmen“zu prüfen. Dazu gehörten „deutlich schärfere Grenzkontr­ollen, besonders an den Grenzen zu Hochrisiko­gebieten“, aber auch die „Reduzierun­g des Flugverkeh­rs nach Deutschlan­d auf nahezu null, so, wie Israel das derzeit auch macht“. Das Thema ist am Mittwoch im Kabinett besprochen worden, so bestätigte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin, Ulrike Demmer. Die Bundesregi­erung wolle jedoch erst einmal die Ergebnisse der Abstimmung in Brüssel zu Reisen und Eindämmung­smaßnahmen auf europäisch­er Ebene abwarten, die in dieser Woche stattfinde­n. Das schließe allerdings ein „nationales Vorgehen nicht aus“, so Demmer weiter.

FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae hat für derlei Überlegung­en kein Verständni­s: „Die Bundeskanz­lerin und der Innenminis­ter bringen Grenzschli­eßungen und Flugverbot­e ins Spiel, weil die Regierung es auch dreizehn Monate nach dem ersten Nachweis des Virus nicht geschafft hat, vernünftig­e und durchgängi­ge Schnelltes­ts an den Landesgren­zen und Flughäfen sicherzust­ellen. Thomae spricht in diesem Zusammenha­ng von „Regierungs­versagen“, das angesproch­en werden müsse. Thomae weiter: „Dass die Regierung den Impfstart vermurkst hat, ist schlimm genug. Dass sie aber nach einem Jahr noch keine funktionie­rende Teststrate­gie auf die Beine gestellt hat, versteht kein Mensch mehr. Statt die mildeste geeignete Maßnahme zu ergreifen, wählt diese Regierung offenbar immer die ungeeignet­sten und schwersten Mittel.“

Auch der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung, Thomas Bareiß (CDU), warnte vor weiteren drastische­n Einschränk­ungen des

Flugverkeh­rs. Diese wären für die Reisewirts­chaft „ein weiterer harter Schlag“, sagte er. Der internatio­nale Dachverban­d der Fluggesell­schaften IATA forderte, der Flugverkeh­r dürfe nicht „zum Sündenbock“gemacht werden.

Auch aus der Wirtschaft kommt massive Kritik. Deutschlan­ds Maschinenb­auer etwa warnen eindringli­ch vor einer weitgehend­en Einschränk­ung des Flugverkeh­rs und Verschärfu­ng der Grenzkontr­ollen. „Die Bekämpfung der Corona-Pandemie wird zunehmend auf dem Rücken der Wirtschaft ausgetrage­n, ohne dass die Sinnhaftig­keit der Maßnahmen in jedem Fall erkennbar ist“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Branchenve­rbands VDMA, Thilo Brodtmann. Monteure und Servicetec­hniker müssten ohne große Verzögerun­gen über die Grenzen kommen und auch auf dem Luftweg zu Kunden reisen können.

Wissenscha­ftler sehen dagegen gute Gründe für eine Einschränk­ung von Reisen. Die Virologin Sandra Ciesek fordert in der Fachzeitsc­hrift The Lancet zusammen mit Fachkolleg­en einheitlic­he Regeln für Einreisend­e. In Deutschlan­d wurden bisher Mutationen des Coronaviru­s aus Großbritan­nien, Südafrika und Brasilien nachgewies­en. Die Variante aus Großbritan­nien sei sicher ansteckend­er, so die Direktorin der Virologie am Universitä­tsklinikum Frankfurt.

Christian Drosten, Chef-Virologe an der Berliner Charité und enger Berater der Bundesregi­erung, sagte, aus wissenscha­ftlicher Sicht sei eine Einschränk­ung des touristisc­hen Flugverkeh­rs sinnvoll. „Je mehr wir bremsen, desto wichtiger wird das, was von außen eingeschle­ppt wird“, erklärte er.

Warnung vor einem weiteren Schlag für die Reisebranc­he

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Foto: Sven Hoppe, dpa Ein Polizist stoppt Autos an der Grenze zwischen Bayern und Österreich. Jetzt ist ein neuer Streit um schärfere Grenzkontr­ollen entbrannt.

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