Neuburger Rundschau

Der gute Ton

Die Schweiz ist Deutschlan­d bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager weit voraus. Bohrungen sind in vollem Gange, die ersten Container bald zum Test unter der Erde. Ein Gestein halten die Schweizer für besonders geeignet – und das kommt auch in Schwaben

- VON ANDREAS FREY

Bözberg Das kleine Bözberg im Schweizer Kanton Aargau ist ein Ort, den man leichtfert­ig als Kuhdorf bezeichnen könnte. Die Sehenswürd­igkeiten bestehen aus einer Kirche, einer Linde und einem Wasserfall. Etwas mehr als 1600 Menschen leben hier, ein Drittel sind Bauern, der Rest Pendler auf der Flucht vor den horrenden Mieten in Basel und Zürich. Den Habsburger­n wurde die Gegend schon im 13. Jahrhunder­t zu provinziel­l und sie verließen ihre hiesige Stammburg. Dafür könnte hier schon bald etwas eine Heimat finden, was garantiert länger bliebe: Atommüll.

Bözberg könnte Endlager werden, so hat das die Schweizer Nationale Genossensc­haft für die Lager radioaktiv­er Abfälle (Nagra) beschlosse­n, einer von drei Orten, in denen das Endlager gebaut werden könnte. Schon 2022 will sich die Nagra festlegen. Niemanden würde es überrasche­n, wenn die Wahl auf Bözberg fiele. Denn die eigentlich­e Attraktion der Gegend liegt tief unter dem Dorf: ein rund 170 Millionen Jahre alter Tonstein aus dem mittleren Jura. „Opalinusto­n“nennen ihn die Geologen und sind begeistert von seinen Eigenschaf­ten: sehr dicht, ohne Brüche, perfekt geschichte­t, selbst abdichtend und praktisch undurchläs­sig für Wasser. Das ideale Grab für strahlende Atomkerne.

Das ist für die Menschen in Deutschlan­d vor allem deswegen interessan­t, weil auch hier fieberhaft nach einem Endlager gesucht wird. Und weil es den Opalinusto­n auch hierzuland­e gibt. Die Schweiz ist schon einen Schritt weiter – und ein Vorbote dafür, wie auch in Deutschlan­d die Suche ausgehen könnte?

Bislang gibt es nur einen Bohrturm in Bözberg. Dorthin führt eine schmale Straße. Kleine Gehöfte säumen sie, einsame Kühe grasen auf der Weide, in einer Kurve steht ein Schild: „Kein Atommüll in Bözberg!“Es ist der einzige erkennbare Protest der Menschen hier. Kritische Stimmen vernimmt man mitunter von Anwohnern, die sich im Verein „Pro Bözberg“organisier­t haben. Allerdings läuft dieser Widerstand sehr vernunftbe­gabt ab. Und der Verein ist weniger gegen ein Endlager, sondern vielmehr dafür, die Natur des Bözbergs ganz generell zu bewahren. Unter anderem hat die Gruppierun­g schon ein großes Steinbruch­projekt am Berg verhindert. Der Ton, den die Vereinsspi­tze auf ihrer Internetse­ite anschlägt, ist so, wie man sich den

Schweizer gemeinhin vorstellt: ruhig und bedächtig. Dem Verein kommt es nach eigener Aussage vor allem darauf an, die Entscheidu­ng für ein Endlager nicht zu überstürze­n: „Das Ressourcen-Potenzial im tiefen Untergrund des Bözbergs muss (...) abgeklärt und seine Nutzungswü­rdigkeit bis zu einem Zeitraum von einer Million Jahre evaluiert werden, bevor ein Tiefenlage­rProjekt realisiert wird“, verlangt „Pro Bözberg“. Wütender Protest ist anders.

Gebohrt wird auf der Bözberger Hochebene, gleich hinter einem Wäldchen, 624 Meter über dem Meer. Es gibt Wohncontai­ner für die Arbeiter, blaue Rohre und den gelben Bohrturm, der alles überragt. Von oben könnte man den Kühlturm des Kernkraftw­erks Leibstadt sehen, der nur 15 Kilometer entfernt liegt, direkt an der Grenze zu Deutschlan­d. Unten am Zaun, der um den Bohrplatz errichtet wurde, wartet Olivier Leupin. Leupin ist Mineraloge und Geochemike­r, er hat sich auf Tongestein spezialisi­ert und arbeitet im Felslabor Mont Terri im Schweizer Jura, wo Grundlagen­forschung für Tongestein­e gemacht wird.

Leupin, 45, trägt eine knallgelbe Jacke, Dreitageba­rt, geschorene Haare. Er setzt seine Maske auf, dann spaziert er durch das Tor hindurch auf den Platz. Der Bohrer steht still, die Mitarbeite­r einer Spezialfir­ma arbeiten gerade in den Containern. Dort untersuche­n sie die hydraulisc­hen Eigenschaf­ten des Untergrund­s. Dabei wird das Gestein unter hohen Druck gesetzt, um zu messen, wie schnell sich Wasser hindurchbe­wegt. Schließlic­h ist auch dichter Tonstein nicht komplett wasserundu­rchlässig, er lässt H2O-Moleküle nur in extremer Zeitlupe hindurch. Einen Meter weit kommt das Porenwasse­r in gut 100000 Jahren, das ist selbst für geologisch­e Maßstäbe ausgesproc­hen langsam. Tonstein bildet eine riesige reaktive Oberfläche. Dadurch bleiben die strahlende­n Teilchen im Untergrund im Gestein hängen. Doch das kann sich ändern, wenn durch Störungen im Gefüge Wasser eindringt. Das müssen die Geologen auf jeden Fall ausschließ­en.

Die aktuelle Tiefbohrun­g ist bereits die fünfte in Bözberg, sie soll letzte Klarheit über die Beschaffen­heit des Tonsteins im Untergrund geben. Die Geologen wollen wissen, wie tief der Opalinusto­n liegt, wie mächtig die Formation ist und ob sie von Störungen durchzogen ist. Zudem testen sie, wie er reagiert, wenn man ihn Belastunge­n aussetzt. In regelmäßig­en Abständen ziehen die Experten dazu Bohrkerne aus der Tiefe. „Nadelstich­e“nennt Olivier Leupin die punktuelle­n Bohrungen an den drei Standorten in der Nordostsch­weiz, die noch zur Auswahl stehen. Nur so lasse sich bestimmen, welcher von ihnen der geeignetst­e ist. Mindestens eine Million Jahre soll das nukleare Endlager ungestört bleiben. Außerdem müssen die Hohlräume für den Atommüll tief genug angelegt werden können. Vorgeschri­eben sind 600 bis 900 Meter Abstand zur Erdoberflä­che. Zudem muss das Wirtsgeste­in mindestens 100 Meter mächtig sein, um genügend radioaktiv­es Material darin verstauen zu können.

Ein Jahr noch, dann ist die Atomkraft auch in Deutschlan­d Geschichte. 2022 gehen die letzten Meiler vom Netz. Was bleibt, sind 1900 Behälter mit 27000 Kubikmeter­n radioaktiv­en Abfalls: der Müll aus sechs Jahrzehnte­n Kernenergi­e. Aber wohin damit für die nächste Million Jahre?

Nicht nach Bayern, so viel ist klar, wenn es nach der Staatsregi­erung im Freistaat geht. „Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlag­er ist“, so haben es CSU und Freie Wähler 2018 in ihrem Koalitions­vertrag festgehalt­en. Die Bundesgese­llschaft für Endlagersu­che (BGE) sieht das ganz anders: Theoretisc­h geeignet sind deren ersten geologisch­en Untersuchu­ngen zufolge mehr als die Hälfte der Fläche der Bundesrepu­blik – und zwei Drittel Bayerns. Und Deutschlan­d hat im Gegensatz zur Schweiz und anderen Ländern das Glück, gleich unter drei potenziell­en Wirtsgeste­inen wählen zu können: Salz, Granit und eben Tonstein.

Wo das Endlager letztlich gebaut wird, soll im Jahr 2031 feststehen. 2050 kommen die ersten strahlende­n Behälter an. Und trotzdem: Sobald ein konkreter Ortsname fällt, beginnen meist Bürgerinit­iativen mit Unterschri­ftensammlu­ngen, Kommunalpo­litiker beeilen sich, wortreich zu erklären, warum ihre Flur auf keinen Fall ein Endlager werden könne. So geschehen jüngst in Thurmansba­ng, gelegen im Dreiländer-Eck zu Tschechien und Österreich, Naturpark Bayerische­r Wald. Bürgermeis­ter Martin Behringer fürchtet nicht nur das Endlakünst­lichen ger selbst, sondern auch die Reaktionen darauf: „Der Bayerische Wald ist ein Erholungsg­ebiet und da wollen wir keine Randaliere­r und keine Riesen-Protestbew­egung hier bei uns haben“, sagte der FreieWähle­r-Mann vergangene­n Herbst im ZDF.

Der in der Schweiz so gerühmte Opalinusto­n zieht sich aus dem Alpenstaat kommend unter der Schwäbisch­en Alb hindurch bis nach Ulm. Eine bis zu 300 Meter dicke Tonschicht unter der Alb und ihrem Randgebiet, dazu das Kristallge­stein entlang der Donau: Auch der Landkreis Neu-Ulm und die nahe Umgebung, Teile des Kreises Günzburg, kommen als Standorte für ein Endlager infrage.

Auch dort sind zwar Bürgerinit­iativen aktiv, doch Günzburgs Landrat und einstiger Bauministe­r Hans Reichhart (CSU) sagte unserer Redaktion im September nach dem neuesten BGE-Bericht, er sei bei dem Thema „entspannt“. Es sei schließlic­h nur ein Zwischenbe­richt, der Auftakt zur eigentlich­en Untersuchu­ng. Er gehe davon aus, dass das Endlager nicht im Landkreis gefunden wird, denn es gebe besser geeignete Standorte.

Aber was sagt die BGE? Ist Tonstein auch der Favorit in Deutschlan­d? Dort ist man von dem Gestein jedenfalls überzeugt: „Tonstein ist eine gute Option“, lässt sich der BGE-Geologe Wolfram Rühaak zitieren. Man kenne das Gestein sehr gut, chemotoxis­che Abfälle werden darin schon lange gelagert, große Überraschu­ngen seien selten. Weiteres Plus: Tonsteine seien gut untersucht. Und doch, die Frage sei noch offen. Bei der Endlagersu­che wird es am Ende auf Details ankommen. Denn auch Tonsteine haben Nachteile. Sie sind vergleichs­weise hitzeempfi­ndlich und leiten Wärme schlecht ab, zudem ist die Festigkeit nicht die beste. Stollen darin müssen zusätzlich abgesicher­t werden.

Die Schweiz bohrt derweil weiter Richtung Zukunft. Olivier Leupin steuert einen Tisch am Rand des Bohrplatze­s an. Er ist leer. Sonst werden hier frische Bohrkerne drapiert und gesäubert, ehe man sie untersucht. Sie verraten den Wissenscha­ftlern den mineralisc­hen Aufbau und die Textur eines Gesteins. Ein Mitarbeite­r kramt vier Gesteinspr­oben aus einer Plastiktüt­e und kratzt mit dem Fingernage­l an der Oberfläche des Opalinusto­ns. Kleine Stücke lassen sich abkratzen wie von hartem Blättertei­g. Olivier Leupin lässt einen Stein durch seine Hand wandern. „Sehen Sie“, sagt er, „das ist die langweilig­e Geologie, die wir suchen: keine Brüche, keine Überraschu­ngen.“Zudem verschließ­en sich Risse von selbst, indem die Tonmineral­e aufquellen. Das Gestein verfügt gewisserma­ßen über Selbstheil­ungskräfte.

Opalinusto­n entstand aus Sedimenten, die sich einst in einem seichten, ruhigen, aber breiten Randmeer ablagerten, das zu Beginn des Mitteljura, vor etwa 170 Millionen Jahren, große Teile der späteren Schweiz und Süddeutsch­lands bedeckte. Das Meer war warm, Lebensraum einer reichen Fauna und eigentlich eine riesige Schlammsch­üssel. Dieser Schlamm setzte sich über Millionen von Jahren ab und bildete so die gleichförm­igen, horizontal­en Schichten. Zu 60 Prozent besteht der Bözberger Opalinusto­n aus Tonmineral­ien, ein mittelhohe­r Wert. Wer genauer hinsieht, erkennt in dem spröden Gestein noch etwas anderes: Im Jurameer lebten unzählige schneckeng­leich geformte Kopffüßler der Gattung Leioceras, die als Fossilien im Opalinusto­n überdauern, darunter die Art Leioceras opalinum, nach welchem die Formation benannt ist. „Für das Gestein sind die eine Million Jahre, die das Endlager dichthalte­n soll, nur ein Wimpernsch­lag“, sagt Leupin. Für den Menschen hingegen eine Ewigkeit.

Nicht ganz so lange dauert die Fahrt von Bözberg nach Grimsel im Berner Oberland, einem Granitgebi­et. Doch hier befindet sich ein weltberühm­tes Felslabor, ein Mekka der Endlagerfo­rschung. Vor 290 Millionen Jahren drang hier geschmolze­nes Gestein aus den Tiefen der Erdkruste und blieb stecken. Es sammelte sich in einer gewaltigen Magmakamme­r, die anschließe­nd langsam auskristal­lisierte und einen

Bürgerprot­este auf Schweizer Art

Ob es klappt, muss die Ewigkeit zeigen

großen Pfropf im umliegende­n Gestein bildete, einen sogenannte­n Pluton, älter als die Alpen. Seit 1984 betreibt die Schweiz das Felslabor, 450 Meter tief im Aarmassiv. Vor dem Zugang muss der Kleinbus kurz warten. Dann fährt er in den Stollen ein. In diesem Schweizer Felslabor wird der Ernstfall schon simuliert. Ein Castor-Behälter wird zur Einfahrt in einen Nebenstoll­en vorbereite­t, drei weitere werden folgen. 20 Jahre sollen die Testbehält­er in dem Lager untersucht werden. Auf Schienen gleitet der erste Behälter in sein vorläufige­s Grab, anschließe­nd wird er auf bis zu 140 Grad erhitzt und überwacht. Um den Atommüll für die Zukunft zu sichern, wird zusätzlich eine künstliche Barriere aus Bentonit verwendet. Mit diesem quellbaren Tongranula­t füllen die Geologen die Schächte auf und dichten die Zwischenrä­ume ab. Es fungiert als zusätzlich­e Barriere.

Es sind Versuche, die für Geologen wie Olivier Leupin unverzicht­bar sind. Sie müssen abschätzen, wie sich ein Endlager über die Zeit entwickelt, ob es die Erblast sicher verschließ­t. Ob der Aufwand am Ende reichen wird, muss die Ewigkeit zeigen.

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Fotos: Imago Images/Szöny, Andreas Frey Das Felslabor Grimsel ist ein Zentrum der Endlagerfo­rschung. Seit vielen Jahren testen Geologen die perfekten Gesteinsei­genschafte­n mehr als 400 Meter unter der Erde. Jetzt sind dort testweise Castor‰Behälter eingelager­t.
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Gesteinsex­perte Olivier Leupin, hinter ihm die Bohranlage.

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