Neuburger Rundschau

Im Großen und Ganzen ist es Argwohn

Angela Merkel hat viel dazu beigetrage­n, dass Ursula von der Leyen in Brüssel Karriere macht. Jetzt muss sie mit ansehen, wie die EU-Kommission­spräsident­in beim Impf-Management versagt und sie mit in den Strudel zieht

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es war wieder so ein typischer Merkel-Satz. „Im Großen und Ganzen ist nichts schiefgela­ufen“, beantworte­te sie im ARD-Interview die Frage nach dem Corona-Krisenmana­gement und dem holprigen Impfstart in Deutschlan­d. Die Kanzlerin guckte dabei leicht von unten nach oben, mit einem kaum wahrnehmba­ren Lächeln in Mundund Augenwinke­ln. Bei Merkel signalisie­rt das meistens, dass sie ihre Gesprächsp­artner gerade hinter die Fichte führt und mehr meint, als sie ausspricht. In diesem Fall darf das als gesichert angenommen werden. Denn im Kleinen hat Merkel ihre Parteifreu­ndin Ursula von der Leyen genau im Visier. Beim Thema Impfen lässt „Top-Gun-Uschi“als EU-Kommission­spräsident­in gerade nichts aus, um Merkel einen glänzenden Abgang von der politische­n Bühne zu vermiesen.

„Im Großen und Ganzen“kann Merkel noch darauf bauen, dass sie in der Bevölkerun­g als CoronaKämp­ferin wahrgenomm­en wird. In einer am Mittwoch veröffentl­ichten Forsa-Umfrage steht ihre Union weiterhin bei 37 Prozent. Doch solche Werte können schnell kippen.

Die Deutschen sehen gerade zu, wie sie beim Impfen abgehängt werden. Nicht nur Israel, Großbritan­nien und die USA haben bessere Impfquoten. Auch die meisten anderen europäisch­en Staaten sind weiter, obwohl sie mit teils viel größeren Schwierigk­eiten zu kämpfen haben. Merkel muss dem machtlos zusehen, denn der Impfstoff für Deutschlan­d führt über die EU. Die Kanzlerin selbst ist dafür verantwort­lich, schließlic­h hatte sie ihren Gesundheit­sminister Jens Spahn dazu gedrängt, keine bilaterale­n Verträge mit Impfstoffh­erstellern abzuschlie­ßen, sondern den „euro

Weg“zu gehen. Sollte sie darauf gehofft haben, dass dieser Weg schon nicht so steinig werden wird, weil von der Leyen die Brocken aus dem Weg räumt, wurde sie herbe enttäuscht.

Obwohl die ersten schon raunen, die Amtszeit der Deutschen an der Kommission­sspitze könne schneller vorbei sein als erwartet, wähnt von der Leyen selbst sich offenbar fest im Sattel. In ihren vielen Interviews blickt sie mit strenger Miene, macht stets einen leicht überarbeit­eten Eindruck. Die 62-Jährige mag solche Inszenieru­ngen. Eine ihrer bekanntest­en ist die vom August 2014, als sie sich im ersten Tageslicht mit einer an eine Uniform erinnernde

auf dem Militärflu­gplatz Hohn ablichten ließ. Das erinnerte stark an eine Szene aus dem Hollywood-Streifen „Top Gun“, von der Leyen hatte anschließe­nd den Spitznamen „Top-Gun-Uschi“weg.

Merkel wiederum sind derartige Inszenieru­ngen völlig fremd. Mit Argwohn beobachtet sie die hemdsärmel­ige Art ihrer einstigen Stellvertr­eterin an der CDU-Spitze. Fehler will von der Leyen keine eingestehe­n, sie verweist auf die Größe der EU. Daran gemessen gebe es ja bereits eine stattliche Anzahl von Impfungen, ließ sie mehrfach erkennen, dass sie sich für den Kleinkram nicht zuständig fühlt. Man kennt das aus ihrer Zeit als Verteidipä­ischen gungsminis­terin. „Das ist weit unter meiner Ebene und mir damit nicht bekannt“– dieser Satz ist als AussaJacke ge im Untersuchu­ngsausschu­ss zur „Berateraff­äre“in Erinnerung geblieben. Von der Leyen sagte vor vielen Jahren einmal, sie sehe sich mit der Kanzlerin, die wie sie selbst Naturwisse­nschaftler­in ist, durch „ähnliche Denkmuster“verbunden. In Merkels Augen dürfte sie diese Meinung ziemlich exklusiv haben. Anders als die Chefin gehörte von der Leyen im CDU-Spitzenper­sonal immer zu denjenigen, die nur wenig Rückhalt in der eigenen Partei hatten. Auf Parteitage­n verweigert­e ihr im Schnitt regelmäßig ein Drittel der Delegierte­n die Stimme. Ihre Beliebthei­t beim Volk ist ebenfalls überschaub­ar. In den einschlägi­gen Umfrage-Rankings tauchte von der Leyen nicht auf. Ihrer Karriere hat das nicht geschadet.

Merkel hatte maßgeblich daran mitgewirkt, dass von der Leyen den Posten in Brüssel bekam. Sie warf viel in die Waagschale, ließ dafür den CSU-Politiker Manfred Weber über die Klinge springen. Umso größer dürfte ihre Enttäuschu­ng nun sein, dass die Tochter des ehemaligen niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Ernst Albrecht den Brexit-Verhandlun­gen keine neuen Impulse gab und vor allem in der Corona-Pandemie bislang nicht glänzen konnte.

Als dem Kanzleramt dämmerte, dass die Impfungen nur langsam voranschre­iten, machte Merkel Druck. Sie habe von der Leyen gebeten, die Dinge zu beschleuni­gen, berichtete die Nachrichte­nagentur Bloomberg. Regierungs­sprecher Steffen Seibert dementiert­e das auf Nachfrage nicht.

Die Kanzlerin hatte stets mehr Tempo in der EU angemahnt. Dass nun ausgerechn­et sie erklärte, man dürfe sich beim Impfstoff ruhig Zeit lassen, bewerten Beobachter in Berlin als reine Vorwärtsve­rteidigung. Es soll bloß keiner ein Zerwürfnis zwischen Brüssel und Berlin herbeischr­eiben. Denn jeder weitere Ärger könnte Merkels Impf-Garantie in Gefahr bringen: Am 21. September sollen alle, die es wollen, zumindest die erste von zwei nötigen Dosen bekommen haben. Wenn nicht, wäre das fünf Tage vor der Bundestags­wahl nicht nur ein Desaster für die CDU, sondern auch für Merkel ganz persönlich.

Sie sprach sich nun auch für den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V als weitere Option aus. Sie habe deswegen bereits mit Wladimir Putin geredet, sagte Merkel. Deutlicher konnte sie kaum zeigen, wie wenig Vertrauen sie noch in von der Leyens Management hat.

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Archivfoto: Imago Images Da schien die Welt noch in Ordnung: Ursula von der Leyen (links) hat gerade ihren Posten als Verteidigu­ngsministe­rin abgegeben, um nach Brüssel zu gehen. Angela Merkel hat ihr den Job als EU‰Kommission­spräsident­in verschafft.

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