Neuburger Rundschau

„Putin in Panik“

Sonderpoli­zei knüppelt die Proteste nach Nawalny-Entscheidu­ng nieder

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Moskau Die Prügelatta­cken russischer Uniformier­ter gegen friedliche Demonstran­ten und Journalist­en haben selbst für Moskauer Verhältnis­se ungewöhnli­ch brutale Ausmaße erreicht. Mit Schlagstöc­ken knüppelt die Sonderpoli­zei OMON die Proteste gegen die Straflager-Haft für Kremlgegne­r Alexej Nawalny nieder. Mehr als 7000 Festnahmen in ganz Russland zählen Menschenre­chtler – das gab es noch nie in der jüngeren Geschichte des Landes.

Das seit mehr als 20 Jahren von Kremlchef Wladimir Putin geführte Land lasse seine Fassade fallen und zeige sich offen als „Polizeista­at“, sagt der Politologe Dmitri Oreschkin. Viele Russen klagen darüber, dass sie völlig wahllos abgeführt und über Stunden in Gefangenen­transporte­rn festgehalt­en worden seien – bisweilen stehend und ohne Wasser. Manche sprechen von „Folter“.

Zwar verteidigt der Kreml das Vorgehen. Putins Sprecher Dmitri Peskow betont seit Tagen, dass die Einsatzkrä­fte „hart“gegen ungenehmig­te Aktionen vorgehen sollten. Doch ist ihm anzumerken, dass der Kreml über das Ausmaß der Solidaritä­t mit dem Opposition­sführer Nawalny überrascht ist. Peskow nennt die Menschen, die zu Tausenden Putins Rücktritt und die Freilassun­g Nawalnys fordern, „Provokateu­re“.

Nachdem Putin im vergangene­n Jahr mit einer Verfassung­sänderung seine Macht „zementiert“habe, kümmere er sich nicht mehr um soziale Unzufriede­nheit, sinkende Löhne und fallenden Lebensstan­dard, meint Politologi­n Tatjana Stanowaja. Die Ausschaltu­ng von Gegnern überlasse er nun anderen. „Das Signal ist klar: Das Spiel ist aus, wir sind nicht mehr zimperlich“, schreibt die Expertin in einer Analyse für die Denkfabrik Moskauer Carnegie-Center.

Der Kreml sehe sich erstmals konfrontie­rt mit Protesten landesweit­en Ausmaßes, die potenziell gefährlich seien. Die „politische Strafe“für Nawalny sei ein „grober und irrational­er Schritt“gewesen, meint Stanowaja. „Der Erfolg des PutinRegim­es basierte anfänglich auf der Fähigkeit, (...) Hoffnung zu säen, auf Errungensc­haften stolz zu sein.“Inzwischen reagiere der Kreml mit „Angstmache­rei“. Kritiker wie Nawalny würden als „Verbrecher“oder „ausländisc­he Agenten“gebrandmar­kt. Allerdings gewinne der Opposition­elle durch seine Haft an Achtung in der Gesellscha­ft und als Opfer der vielfach beklagten Ungerechti­gkeit. Nawalnys Team sieht Putin in „Panik“. Mitarbeite­r Leonid Wolkow kündigte weitere friedliche Proteste sowie neue Enthüllung­en zur Korruption im Machtappar­at an. Er hofft vor allem auf neue Sanktionen der EU und der USA etwa gegen Oligarchen aus Putins Umfeld.

Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell will am Freitag bei einem Treffen mit Außenminis­ter Sergej Lawrow auf die Freilassun­g Nawalnys pochen. Sollte es darauf erwartungs­gemäß keine zufriedens­tellende Reaktion geben, dürften umgehend die Planungen für neue Strafmaßna­hmen beginnen. Bereits im Oktober hatte die EU nach dem Giftanschl­ag auf Nawalny Einreiseun­d Vermögenss­perren gegen mutmaßlich­e Verantwort­liche aus dem Umfeld Putins verhängt. Diese Liste dürfte dann erweitert werden. Weitere Maßnahmen könnten bei einem EU-Gipfel im März auf den Weg gebracht werden.

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