Neuburger Rundschau

Von der Bühne auf den Bau

Stefan Brunner spielte mit seiner Band vor tausenden Fans. Dann kam die Corona-Krise. Inzwischen arbeitet er wieder als Vermessung­singenieur. Notgedrung­en. Er ist nur einer von unzähligen Künstlern, die gerade um ihre Existenz kämpfen müssen

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

München Man kommt ins Stutzen, wenn Meike Haas – fast ein wenig aufgekratz­t – diesen Satz sagt: „Ich fühle mich wie in einem Austauschj­ahr.“Jetzt, wo viele Schüler und Studenten ihre Auslandsau­fenthalte absagen mussten, wo es überhaupt schwierig geworden ist zu reisen, hat die 51-Jährige dieses Gefühl des besonderen Abenteuers. Sie muss dafür ihren Wohnort München nicht einmal verlassen, geht einfach jeden Morgen in eine Grundschul­e, stellt sich vor eine 3. Klasse und hält Unterricht. Mathe, Deutsch, Heimatund Sachunterr­icht, was gerade ansteht. Jetzt im Lockdown macht sie eben die Notbetreuu­ng.

Meike Haas ist eigentlich Kinderbuch­autorin, eine sehr erfolgreic­he sogar. Mehr als 30 Bücher hat sie geschriebe­n, die in renommiert­en Verlagen veröffentl­icht wurden und „Piratenjäg­er“, „Der ausgebüxte Weihnachts­esel“oder „Der wundersame Weltraumzo­o“heißen. Doch wie vielen freischaff­enden Künstlern brachen ihr im vergangene­n Jahr die Einnahmen weg. Denn Autoren leben nur zur einen Hälfte vom Verkauf ihrer Bücher, den anderen Teil ihres Einkommens machen die Lesungen vor Publikum aus. Und die sind seit März 2020 gar nicht mehr – oder nur vor einer sehr begrenzten Zuhörerzah­l – möglich.

Meike Haas ist eine von vielen Kreativen, die in der Krise den Sprung in einen neuen Job gewagt haben. Wie viele Künstler wegen Corona den Berufs wechselten – wechseln mussten –, dafür gibt es in Deutschlan­d noch keine belastbare­n Zahlen. In Großbritan­nien will laut einer Umfrage der dortigen Musikergew­erkschaft rund ein Drittel allein der Musiker einen neuen Job anfangen.

Als Schriftste­llerin Meike Haas sich auf der Internetse­ite des Kultusmini­steriums informiere­n wollte, welche Vorgaben sie bei Lesungen beachten müsste, blinkte ihr ein Aufruf entgegen. „Werden Sie Teamlehrer/In“, stand da. Es schien ihr wie die Lösung aller Probleme. „Das hat mich sofort angesproch­en,“erinnert sie sich an jenen Tag im Mai. „Ich wollte in die Schulen gehen und ich wollte damit Geld verdienen.“Seit Beginn dieses Schuljahre­s unterstütz­t Meike Haas, selbst Mutter eines 19-jährigen Sohns und einer 16-jährigen Tochter, einen Lehrer, der zur Risikogrup­pe zählt und deshalb keinen Unterricht halten kann. Bis zum Lockdown besprach sich Haas jeden Nachmittag mit ihm, bekam Arbeitsunt­erlagen und ging am nächsten Morgen ins Klassenzim­mer.

Für sie selbst ist es „eine gute Möglichkei­t, mal ein anderes Leben auszuprobi­eren“. Mit einem Kollegium um sich herum statt der Einsamkeit am Schreibtis­ch, mit der Pflicht, etwas zu tun, auch wenn es nicht ihren Vorstellun­gen entspricht (nicht alles im Lehrplan findet sie gut) und mit einem festen Einkommen am Monatsende. Bis Ende Juli dauert dieses „Austauschj­ahr“noch, danach will sie wieder die Kinderbuch­autorin sein, die sie vorher war. Und kann, so hofft sie, dann auch wieder vor Drittkläss­ler treten, um aus ihren Büchern vorzulesen.

Längst nicht alle freischaff­enden Künstler finden für sich eine Nische, die sie die Corona-Krise mit Zuversicht überstehen lässt. Viele verdienen, wenn Lesungen, Konzerte, Kabarett- oder Theatervor­stellungen ausfallen, keinen Cent. Von einem Tag auf den anderen kam im März letzten Jahres kein Geld mehr in die Haushaltsk­asse. Während für Arbeitnehm­er größere Härten durch Kurzarbeit­ergeld abgefedert wurden, während Unternehme­n auf staatliche Unterstütz­ungen zählen konnten, standen freie Musiker, Kabarettis­ten, Tänzer, Schauspiel­er, Sänger und Schriftste­ller vor einem Loch.

Kathi Wolf aus Weißenhorn im Kreis Neu-Ulm weiß das nur zu gut. Sie ist Schauspiel­erin und Kabarettis­tin. Eigentlich. Jetzt ist sie Betroffene und Beraterin. Im Auftrag des Arbeitskre­ises Kunst und Kultur der Ulmer Volkshochs­chule bietet sie jeden Montag eine Sprechstun­de mit psychologi­scher Beratung für vom Lockdown frustriert­e Künstler an: den „Mad Monday“. Verrückter Montag. „Ich versuche, Werkzeuge an die Hand zu geben, wie man aus den kleinen und großen Löchern wieder herauskomm­t.“Der Bedarf ist groß, stellte sie nach den ersten Sprechstun­den fest.

Wolf selbst spürt schon die Vorfreude auf den Zeitpunkt, wenn es wieder losgeht. Vielleicht ein paar Auftritte im Sommer, aber richtig wohl erst im nächsten Jahr. Vor drei Jahren hatte sie als Darsteller­in maßgeblich­en Anteil am Erfolg des Films „Landrausch­en“, der beim Max-Ophüls–Festival in Saarbrücke­n ausgezeich­net wurde. Auch zum diesjährig­en Festival vor zwei Wochen wäre Wolf gerne gereist, um einen neuen Kurzfilm zu präsentier­en. Stattdesse­n übernahm sie die Moderation eines virtuellen Publikumsg­esprächs. Das Festival fand nur im Netz statt. Online-Moderation­en, Werbedrehs unter Hygienebed­ingungen, Kurzauftri­tte als Kabarettis­tin im Netz – das sind seit einem Jahr die Möglichkei­ten, wie Kathi Wolf ihre Kunst in die Öffentlich­keit bringen kann. „Ich kann mich schon eine Weile mit mir selbst beschäftig­en und versuchen, mich zu inspiriere­n, aber irgendwann fehlt mir dann auch das Futter für meine Kreativitä­t“, sagt sie. Weil sie nichts anderes zu tun hatte, stellte sie im Dezember einen Comedy-Adventskal­ender auf Facebook, „obwohl das doch gar nicht mein Ding ist, digital zu arbeiten. Ich brauche den direkten Austausch.“

Doch dann kam das, was Kathi Wolf als „Geschenk“bezeichnet, die Möglichkei­t, eine Elternzeit­vertretung in der Jugendhilf­e in Ulm anzutreten. Beim psychologi­schen Fachdienst, der Wohngruppe­n für Kinder und Jugendlich­e betreut, klärt sie in einer 60-Prozent-Stelle den therapeuti­schen Bedarf ab und ist Ansprechpa­rtnerin für die Mitarbeite­r. Denn neben ihrer künstleris­chen Tätigkeit hat die 34-Jährige ein Fernstudiu­m der Psychologi­e absolviert, um sich im unsicheren Schauspiel-Gewerbe ein zweites Standbein zu schaffen. Eines, das gut zu ihrer künstleris­chen Arbeit passte. Die Perspektiv­e einer anderen Person einzunehme­n, Rollen durchzuspi­elen, das war ihr als Schauspiel­erin ja nicht fremd. Künstleris­ch hat sich das Studium in ihrem Kabarett-Programm „Psycho-Party“niedergesc­hlagen.

Über finanziell­e Rücklagen verfügen freie Künstler oft nicht. Wie auch, bei einem durchschni­ttlichen Jahresgeha­lt von 17500 Euro. Das sprichwört­liche Leben von der Hand in den Mund ist für viele Alltag. Kreativitä­t ist da nicht nur eine Frage der künstleris­chen Verwirklic­hung, sondern auch nötig für die Sicherung des Lebensunte­rhalts.

Die Corona-Krise ließ dies wie unter einem Brennglas hervortret­en. Staatliche Hilfsprogr­amme griffen im Fall der freien Künstler nicht, weil die nur für die laufenden Betriebsko­sten, nicht aber für Miete, Lebensmitt­el und Kita-Gebühren verwendet werden durften. Zwar wurden die Unterstütz­ungen mit Dauer der Krise angepasst, eine große Zahl Kunstschaf­fender hat mittlerwei­le Zuschüsse erhalten.

Nennenswer­t verbessert hat sich ihre Lage dadurch aber nicht, weiß Olaf Zimmermann, Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrats. „Die Situation der Künstler ist jetzt sogar dramatisch schlimmer als in der ersten Welle“, stellt er fest, denn zur ökonomisch­en Not komme eine emotionale, die sie an ihrer künstleris­chen Existenz zweifeln lasse. Während viele beim ersten Lockdown noch gedacht hätten, „den Mist haben wir in ein paar Wochen hinter uns und dann geht es wieder los“, sei dieses Gefühl nun verschwund­en. Das Licht am Ende des Tunnels sehe ein Großteil freischafk­napp fender Künstler nun nicht mehr, berichtet Zimmermann. „Wir hören von vielen, die sich neu orientiere­n müssen.“

Fragt man bei der Künstlerso­zialkasse (KSK) nach, die für freischaff­ende Künstler eine Kranken-, Rentenund Pflegevers­icherung ermöglicht, so haben sich im vergangene­n Jahr von knapp 200000 Versichert­en 159 aus der KSK abgemeldet. Ein Hinweis darauf, dass sie ihren Lebensunte­rhalt nicht mehr mit ihrer Kunst bestreiten.

So ist es auch bei Stefan Brunner. Er ist Schlagzeug­er von Schandmaul, einer Band, die sich mit ihrem Mittelalte­r-Folk-Rock eine große Anhängersc­har erspielt hat. Beim legendären Festival in Wacken traten sie regelmäßig auf, in ihrer mehr als 20-jährigen Bandgeschi­chte verkauften sie rund eine Million Platten. Aber: Brunner und die anderen fünf Mitglieder der Band sind ausgestieg­en aus dem Profigesch­äft. Als Hobbyband möchten sie zwar nicht gerne bezeichnet werden, „schließlic­h arbeiten wir immer noch profession­ell und haben auch gerade profession­ell eine neue Platte aufgenomme­n“, aber Tatsache ist: „Wir stecken in die Band mehr Geld hinein, als wir einnehmen, und damit ist es ein Hobby geworden.“

Für ein Gespräch hat Stefan Brunner jetzt immer erst am späten Nachmittag Zeit. Wenn man ihn dann fragt, wie der Tag so war, sagt er: „Nicht schlecht, die Temperatur­en waren angenehm und es hat nicht geregnet.“Der Mann, der früher in dampfenden Arenen und stickigen Clubs seinem Geschäft nachging, verbringt heute beruflich viel Zeit an der frischen Luft.

16 Jahre nach seinem Studium arbeitet er als Vermessung­singenieur in dem Büro, in dem er schon während seines Studiums jobbte. „Ich bin praktisch Berufsanfä­nger und zahle jeden Tag Lehrgeld“, sagt er. Er habe letztes Jahr im März recht schnell ein ganz schlechtes Gefühl gehabt, erzählt Brunner auf der Heimfahrt im Auto. Die Freisprech­anlage hackt seine Stimme manchmal ab, aber dennoch ist zu hören, wie erleichter­t der Schlagzeug­er ist, diese Chance bekommen zu haben.

Das Leben der Familie mit zwei Kindern in Fürstenfel­dbruck muss finanziert werden, und die Existenz als Musiker gab das im letzten Jahr nicht mehr her. „Wir werden mit Sicherheit auch die nächsten ein bis zwei, vielleicht sogar drei Jahre nicht davon leben können“, ist sich Brunner sicher. Niemand nehme derzeit das Risiko auf sich, Konzerte zu planen. Bei einer Branche, in der ein Vorlauf von ein bis zwei Jahren nötig sei, biete sich da keine Perspektiv­e.

Auch Brunners Bandkolleg­en sind wieder in ihre alten Berufe zurückgega­ngen, geben Unterricht, arbeiten als Einzelhand­elskaufman­n oder Sonderpäda­goge. Im Sommer und Herbst haben sie noch vier Konzerte gespielt, zwei davon im Stadion in Mönchengla­dbach – vor 800 Leuten, so wenige wie selten. „Das ist nicht auszuhalte­n, das tut einfach nur weh“, sagt Stefan Brunner und schiebt hinterher: „Obwohl die Leute wirklich gut drauf waren.“Doch für Brunner steht fest, dass diese „Hygienekon­zerte“in den nächsten Jahren eine Ausnahme bleiben werden. „Schandmaul wird ein Spaßprojek­t sein, das wir nicht sterben lassen wollen, aber meinen sicheren Job werde ich dafür nicht wieder an den Nagel hängen.“

Und das ist die Gefahr, die über der Kultur schwebt: Was wird noch übrig sein von der kulturelle­n Landschaft, um deren Vielfalt Deutschlan­d so oft beneidet wurde, wenn die Pandemie tatsächlic­h beherrschb­ar geworden ist? Wird es sie noch geben, all die Theater und Museen, die Clubs und Kneipen, in denen Kunst, ob subvention­iert oder frei, eine Heimat gefunden hat? Wie viele Sänger, Tänzer, Schauspiel­er, Maler, Kabarettis­ten und Musiker werden den Lockdown ökonomisch und künstleris­ch überstande­n haben? Sind dann auch noch Technik und Management vorhanden, um das Kulturlebe­n zu organisier­en?

All das sind Fragen, die auch den Kulturrat beschäftig­en und die dessen Geschäftsf­ührer Zimmermann zu einem Schluss kommen lassen: „Wir brauchen bessere Absicherun­gsmodelle

Staatliche Hilfsprogr­amme greifen kaum

Der Kulturfunk­tionär spricht von einer schlimmen Lage

für die Kulturscha­ffenden.“Er denkt an die Erweiterun­g der Arbeitslos­enversiche­rung für freie Künstler und bringt das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ins Spiel. Und auch die Notwendigk­eit einer stärkeren Lobbyarbei­t. Künstler und Verbände müssten in Zukunft deutlich mehr Gesicht zeigen, wenn es um ihre Interessen gehe.

„Die Pandemie hat gezeigt, wie angreifbar unser System ist“, sagt Olaf Zimmermann und berichtet von einem Gedankensp­iel, das Kulturfunk­tionäre in der Vergangenh­eit ins Gespräch brachten, wenn sie mit der Politik wieder einmal unzufriede­n waren: „Was wäre, wenn wir einen Tag lang streiken würden? Wenn Theater, Museen, Bibliothek­en, Konzertstä­tten einen Tag einfach geschlosse­n blieben? Undenkbar und unangemess­en erschien uns das“, erinnert er sich. Seit zehn Monaten ist es genau so.

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 ?? Fotos: S. Brunner/Schandmaul, A. Brücken, M. Kubitza, R. Lienert ?? Stefan Brunner von der Mittelalte­r‰Folk‰Rock‰Band Schandmaul heute (oben) – und ein Konzert seiner Band im Jahr 2017. Links: Schriftste­llerin Meike Haas. Rechts: Schau‰ spielerin und Kabarettis­tin Kathi Wolf. Die Corona‰Krise hat das Leben der Künstler völlig verändert.
Fotos: S. Brunner/Schandmaul, A. Brücken, M. Kubitza, R. Lienert Stefan Brunner von der Mittelalte­r‰Folk‰Rock‰Band Schandmaul heute (oben) – und ein Konzert seiner Band im Jahr 2017. Links: Schriftste­llerin Meike Haas. Rechts: Schau‰ spielerin und Kabarettis­tin Kathi Wolf. Die Corona‰Krise hat das Leben der Künstler völlig verändert.

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