Die Helden hinter dem Helden
Kremlkritiker Alexei Nawalny muss für Jahre ins Gefängnis. Aber der Widerstand gegen Putin und sein System der Einschüchterung geht weiter: Wer sind die Frauen und Männer, die Nawalnys Kampf fortsetzen wollen?
Moskau Alexei Nawalny hatte für seinen Auftritt vor Gericht eine klare Botschaft vorbereitet. „Es kommt vor, dass Willkür das Wesen eines politischen Systems ausmacht, und das ist fürchterlich. Aber es gibt noch Schlimmeres: Wenn die Willkür sich in eine Robe hüllt“, sagte er, kurz bevor die Richterin den derzeit prominentesten russischen Oppositionellen für fast drei Jahre in Lagerhaft schickte. Aber Nawalny hatte noch eine Pointe in petto: „Dann ist es die Pflicht jedes Menschen, Widerstand zu leisten.“
Der Aufruf fand Gehör. In Moskau protestierten noch am selben Abend tausende Menschen für Nawalnys Freilassung. Für das Wochenende sind landesweit erneut Kundgebungen geplant. Dann wird sich zeigen, ob das „Team Nawalny“, wie es der 44-Jährige selbst gern nennt, seine Schlagkraft auch ohne seinen charismatischen Anführer bewahren kann. Einiges spricht dafür: Denn die zentralen Figuren des Teams sind ähnlich lange im oppositionellen Kampf gestählt wie Nawalny. Und sie sind ähnlich entschlossen, Widerstand zu leisten.
Das gilt zuallererst für Leonid Wolkow. Der korpulente 40-Jährige mit dem dunklen Vollbart mag zwar äußerlich weniger scharfe Konturen aufweisen als der hagere Charakterkopf Nawalny. Tatsächlich aber ist Wolkow so etwas wie das „Superhirn“im Team. Der Sohn eines Mathematik-Professors und einer Informatikerin ist Computernerd, Wahlkampfguru und Topmanager in einem. Am wichtigsten: Wolkow steuert die „technische Abteilung“.
Wer dazugehört, darüber hüllen sie sich naturgemäß in Schweigen. Das aufwendig gestaltete und unter spektakulärem Drohneneinsatz recherchierte Skandalvideo über „Putins Palast“belegte aber, über welche Möglichkeiten Wolkows Cyberguerilla verfügt. Auch lenkt sein Team die Kundgebungen im riesigen Land zwischen Pazifik und Ostsee über den kaum zu entschlüsselnden Messengerdienst Telegram.
Ob der Kanal das Mittel der Wahl bleibt, ist offen. Die jüngste Ankündigung des Kremls, Online-Netzwerke mit schärferen Gesetzen zu kontrollieren, konterte Wolkow mit der Ansage: „Wir sind auf alles vorbereitet.“Der 40-Jährige aus der Ural-Metropole Jekaterinburg kann aber auch analog kämpfen. Lange unterstützte er den 2015 ermordeten liberalen Oppositionsführer Boris Nemzow und saß mehrfach in
Haft. Auf Wolkow geht die Strategie des „Smart Votings“zurück. „Kluges Abstimmen“heißt, dass bei Wahlen stets der aussichtsreichste Gegenkandidat der Kremlparteien unterstützt wird.
Nach außen verkaufen kann diese Strategie niemand besser als Ljubow Sobol. Die redegewandte Einser-Juristin ist das „Gesicht“des Teams. Die 33-Jährige sucht die Öffentlichkeit und sorgt für Reichweite. Nach Nemzows Tod moderierte sie Nawalnys Youtube-Kanal. Die Mutter einer Tochter saß wie fast alle russischen Oppositionellen wiederholt in Haft. Ihre wohl schlimmste Erfahrung war aber ein Attentat auf ihren Ehemann Sergei: 2016 rammte ein Unbekannter dem Publizisten eine
Giftspritze in die Hüfte. Er erlitt schwere Krämpfe und verlor das Bewusstsein, überlebte aber.
Kaum geringer dürfte das Gefahrenpotenzial für Kira Jarmysch sein. Die 31-jährige Journalistin und Schriftstellerin spricht die junge Generation an. Wer Nawalny bei Twitter folgen will, sollte lieber Jarmysch folgen. Funkstille herrscht auf ihrem Kanal nur, wenn sie inhaftiert ist – wie Ende Januar, als sie für neun Tage ins Gefängnis musste, weil sie zu Protesten aufgerufen hatte. Was ihr bevorstehen könnte, hat Jarmysch in dem Roman „Die unglaublichen Vorfälle in der Frauenzelle Nr. 3“aufgeschrieben.
Weniger stark im Rampenlicht steht Nawalnys Anwaltduo Olga
Michajlowa und Wadim Kobsew. Die beiden ergänzen sich seit Jahren und haben für Nawalny mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt – meist erfolgreich. Zuletzt verurteilte dieser den russischen Staat im Herbst zu einer Entschädigungszahlung, weil Nawalny bei den Protesten 2012 „entwürdigend behandelt und sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde“. Auch im aktuellen Nawalny-Verfahren haben Kobsew und Michajlowa den Gang zum Gerichtshof bereits angekündigt.
Ohne Wolkow und Sobol, Jarmysch, Kobsew und Michajlowa wäre Nawalny als ernst zu nehmender Putin-Herausforderer kaum vorstellbar. Undenkbar aber wäre der „Held Nawalny“ohne seine Ehefrau Julia Nawalnaja. Die kremlkritische Nowaja Gazeta rief die 44-Jährige im Dezember zur „Heldin des Jahres“aus. Als Ehemann Alexei wegen des Giftanschlags im vergangenen August den 20. Hochzeitstag verpasste, holte er den Dank mit den Worten nach: „Julia, du hast mich gerettet.“Bei seiner Verurteilung malte Nawalny mit den Fingern ein Herz an die Scheibe des Glaskäfigs, in dem er im Gericht ausharren musste. Im Saal saß Julia.