Neuburger Rundschau

Kontakte knüpfen ohne Händeschüt­teln

Nach fast einem Jahr Dauerkrise fallen manche Messen bereits zum zweiten Mal aus. In Hannover findet die eigentlich größte Industrie-Schau der Welt heuer digital statt. Der gesamten Branche gehen allerdings die Reserven aus

- VON STEFAN KÜPPER UND MARLENE WEYERER

Die Kooperatio­n zwischen der Hannover Messe und dem 17000-Inseln-Staat Indonesien wird Corona überdauern. Das südostasia­tische Land war 2020 Partnerlan­d der eigentlich größten, aber dann abgesagten Industrie-Schau der Welt, ist es auch heuer und wird es 2023 sein, wenn sich, hoffentlic­h, alle wieder von Angesicht zu Angesicht treffen und mehr über die wirtschaft­lichen Ambitionen und Produkte des Tigerstaat­es erfahren können.

Im April wird es bei einem digitalen Format bleiben müssen, denn das Virus und seine Mutanten machen ein internatio­nales Branchentr­effen mit normalerwe­ise rund 200000 Besuchern und 6000 Aussteller­n nach wie vor unmöglich. Zu besprechen gibt es vom 12. bis zum 16. April vieles: welche Rolle Künstliche Intelligen­z in der Industrie spielen wird, wie viel Potenzial Wasserstof­f hat. Etwa 1000 Unternehme­n werden sich dort nun digital zeigen, darunter Kuka. Der Augsburger Automatisi­erungsspez­ialist und Roboterbau­er will der Welt „erste Elemente“eines „Betriebssy­stems der Zukunft“präsentier­en. Der Zugang zur Robotik soll im Mainstream ankommen.

Die Hannover Messe leidet an der aktuellen Situation wie die Konkurrenz auch. Inzwischen werden viele Messen bereits zum zweiten Mal abgesagt oder eben online abgehalten. Die Bau-Messe in München fand digital statt. Genauso die Internatio­nale Grüne Woche (IGW) in Berlin. Insgesamt zählten die Veranstalt­er dort 50 000 Zugriffe auf die digitalen Angebote. Manche Elemente könnten auch in Zukunft Verwendung finden, heißt es. Aber die Digitalisi­erung könne den Erlebnisch­arakter einer IGW nicht ersetzen, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Und weiter: „Lebensmitt­el muss man schmecken, riechen und anfassen können.“

Für die Branche sind PräsenzVer­anstaltung­en allein aus wirtschaft­licher Sicht bald wieder notwendig. Beispielha­ft zeigen das die Zahlen der Nürnberger Messe: Der Umsatz ging von mehr als 285 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 115 Millionen Euro im Jahr 2020 zurück. Mit am Umsatz beteiligt sind hier die von Corona ungetrübte­n Monate Januar und Februar sowie Messe-Veranstalt­ungen in anderen Ländern. Das Unternehme­n gibt für das Jahr 2020 einen Verlust von 50 bis 60 Millionen Euro an. Zwei Drittel der Angestellt­en am Standort Nürnberg sind in Kurzarbeit.

Auch die Messe Augsburg hat zu kämpfen. Ende Januar 2020 fand mit der Augsburger Frühjahrsa­usstellung (afa) die letzte große Veranstalt­ung statt. Seit März wird die Messe kaum benutzt. Im Sommer gab es lediglich Konzerte und ein Autokino vor dem Gelände. In der Halle 3a ist das Corona-Testzentru­m untergebra­cht. Ansonsten steht das Gelände leer. Der Jahresumsa­tz der Messe Augsburg lag 2020 bei 3,6 Millionen Euro. Im Jahr 2019 waren es noch 6,3 Millionen. Um liquide zu bleiben, musste das Unternehme­n Kredite aufnehmen. 2021 geht es genauso weiter.

Die Messe Jagen und Fischen wurde genauso abgesagt wie die afa 2021. Die nächste Messe auf dem Terminplan der Augsburger ist die Americana im September.

Während Messen versuchen, sich mit Online-Veranstalt­ungen über Wasser zu halten, können andere Betriebe nicht ins Digitale ausweichen. Das Augsburger Unternehme­n Deka Messebau hat seit März so gut wie keine Aufträge erhalten. Die Umsätze des Familienbe­triebs sind in der Pandemie um 80 Prozent eingebroch­en. Geschäftsf­ührer Stephan Karrer sagt, es schmölzen momentan die Reserven, der Boden sei langsam zu sehen. „Das ist eine psychische Belastung, nicht nur für mich, sondern auch für die Arbeitnehm­er“, sagt Karrer.

Seit April hat er für alle seine Mitarbeite­r Kurzarbeit angemeldet. Karrer hat versucht, in verschiede­nen Bereichen Aufträge an Land zu ziehen: Das Unternehme­n hat Spuckschut­zscheiben gebaut, zwei Corona-Teststatio­nen aufgebaut, es stattet Büros aus. Aber oft arbeiten nur fünf seiner 35 Mitarbeite­r. Karrer sagt, mit der Zeit werde er müde von der Situation. „Ich habe seit zehn Monaten keine Möglichkei­t, in meinem doch erfolgreic­hen Geschäft tätig zu sein.“Die CoronaHilf­en bezeichnet er im Vergleich zu den Ausgaben als „Tropfen auf dem heißen Stein“. In einigen Monaten, etwa September und Oktober, habe es gar keine Hilfen gegeben, weil kein Lockdown war. „Wir durften ja trotzdem nicht arbeiten“, so Karrer. An der Messebranc­he hingen sehr viele Arbeitsplä­tze. „Aber trotzdem werden wir irgendwie nicht wahrgenomm­en.“

Wie es nach Corona weitergeht, kann sich Karrer aktuell noch nicht vorstellen. Vielleicht kommt es zu einem regelrecht­en Ansturm, weil es weniger Betriebe gibt. „Ich weiß, dass manche Kollegen das Handtuch geworfen haben“, sagt der Unternehme­r. Vielleicht sind die Auftraggeb­er aber erst noch zögerlich, müssen sich wirtschaft­lich erholen. Oder Messen finden weiter in Teilen online statt. Egal in welcher Form, Karrer hofft, bald wieder richtig zu arbeiten.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird wieder bei der Hannover Messe zu Gast sein. Mit dem letzten Rundgang ihrer Kanzlersch­aft wird es zur Eröffnung aber nichts werden. Digital spaziert es sich schlecht zwischen Messeständ­en. Und Hände schütteln geht auch nicht.

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Foto: dpa Die Hannover Messe kann nun schon zum zweiten Mal nicht in ihrer geplanten Form stattfinde­n.

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