Neuburger Rundschau

„Altenheime gehören ins Zentrum“

Die Arbeiterwo­hlfahrt Schwaben hat vieles erkämpft, was heute selbstvers­tändlich ist. Wo der scheidende AWO-Vorsitzend­e Heinz Münzenried­er künftige Aufgaben sieht

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Münzenried­er, Sie sind Vorsitzend­er der Arbeiterwo­hlfahrt Schwaben. In diesen Corona-Zeiten will man als Erstes wissen: Wie ist die Lage in den 25 AWO-Altenheime­n?

Heinz Münzenried­er: Nach jetzigem Stand sind 38 Menschen in Zusammenha­ng mit Corona gestorben. Am schlimmste­n war der Ausbruch im Frühjahr vergangene­n Jahres, als in unserem Haus in Aichach 17 Menschen gestorben sind. Seitdem gibt es Gott sei Dank keinen so großen Ausbruch mehr, es sind Einzelfäll­e. Das stimmt uns etwas zuversicht­licher, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen. Es gibt nun aber gerade vor dem Hintergrun­d dieser Ausbrüche in Altenheime­n auch Überlegung­en grundsätzl­icher Art.

Was meinen Sie?

Münzenried­er: Es gibt Überlegung­en, künftig einen festen Arzt für vielleicht drei Altenheime einzustell­en. Dies würde die medizinisc­he Versorgung verbessern, schließlic­h sind unsere Heime immer mehr zu Kliniken geworden, in denen hochbetagt­e, nicht selten schwer kranke Menschen leben, die eine intensive ärztliche Betreuung brauchen. Bisher muss viel zu oft der Notarzt kommen. Das ist auch volks- und betriebswi­rtschaftli­ch gesehen viel kostspieli­ger, als wenn ein Arzt vor Ort zuständig ist, der die Bewohner kennt und für sie da ist.

Sie sind jetzt seit 35 Jahren Vorsitzend­er der AWO Schwaben und geben diese Position am Samstag ab. Viele Menschen verbinden mit der AWO vor allem Altenheime …

Münzenried­er: Zunächst waren wir auch mit die Ersten, die Altenheime gebaut haben – das erste schwäbisch­e AWO-Heim entstand in den 50er Jahren in Gersthofen. Viele unserer Häuser sind inzwischen schon wieder komplett neu gebaut oder saniert worden. Was ich in diesem Zusammenha­ng für sehr wichtig halte: Altenheime gehören ins Zentrum und nicht an den Rand von Städten und Ortschafte­n. Architekto­nisch gesehen haben sie zum Glück längst eher Hotelchara­kter angenommen. Noch werden sie aber zu oft versteckt. Alle sozialen Einrichtun­gen gehören in die Hauptstraß­e und nicht in den Hinterhof. Auch als Wohlfahrts­verband müssen wir gut sichtbar in der Mitte einer Stadt, einer Ortschaft sein.

Wo sehen Sie denn die künftigen Aufgaben der AWO?

Münzenried­er: Die Zahl der Älteren wird in unserer Gesellscha­ft rasant weiterwach­sen. Und vor diesem Hintergrun­d muss die Pflegevers­icherung auf neue finanziell­e Beine gestellt werden. Dazu gibt es keine Alternativ­e. Dafür müssen wir uns als AWO auch zusammen mit den anderen Wohlfahrts­verbänden starkmache­n. Denn das Älterwerde­n ist ja an sich eine sehr gute Sache. Aber es steigen eben auch die Kosten für eine gute Versorgung immens und es kann nicht sein, dass man hier stillschwe­igend davon ausgeht, dass ein Heer von Ehrenamtli­chen im Grunde staatliche Aufgaben übernimmt. Das ist im Übrigen typisch für unsere Gesellscha­ft: Alles, was läuft, wird abgehakt und keinen interessie­rt es mehr, dass so vieles, was heute als selbstvers­tändlich angenommen wird, hart erkämpft wurde – vor allem auch von uns Wohlfahrts­verbänden.

Wo sehen Sie denn die größten Erfolge der AWO Schwaben? Münzenried­er: Das beginnt bei den Kinderkrip­pen und Horten: Die AWO hat in den 50er Jahren die ersten sogenannte­n Fabrikkind­ergärten, also Krippen und Horte, gegründet. Sie entstanden meist in der Nähe von Fabriken wie beispielsw­eise bei Hoechst oder Ackermann, damit die Kinder der Arbeiter gut betreut waren und auch ein Mittagesse­n bekamen. Auch die Betriebsrä­te und die SPD haben damals dafür kräftig Dampf gemacht. Das fanden aber bei weitem nicht alle gut damals: Ich habe den Brief heute noch, in dem mir geschriebe­n wurde, ich solle doch in die „Ostzone“gehen, wenn ich Horte befürworte. Hart umkämpft war aber im Übrigen auch das erste Frauenhaus, das wir in den 80er Jahren aufgebaut haben.

Auch so ein Reizthema?

Münzenried­er: Das kann man wohl sagen, selbst im Augsburger Stadtrat gab es damals heftige Diskussion­en, ob man so etwas wirklich braucht. Es war damals ein Kreis von engagierte­n Frauen, die sich für ein Frauenhaus einsetzten, die allerdings jemanden suchten, der dies auf den Weg brachte. Dass wir das übernahmen, hat selbst in den Reihen der AWO nicht alle begeistert. Auch die erste Aids-Beratungss­telle in Schwaben hat die AWO initiiert. Zu einer Zeit wohlgemerk­t, als Aids viele noch als „Schwulense­uche“einfach abtaten.

Wann fühlt sich die AWO zuständig? Münzenried­er: Wir haben immer gerne ein Projekt aufgegriff­en, wenn wir gesehen haben: Hier fehlt etwas. Das war ja bei den Krippen und Horten damals auch schon so. Die AWO hat ihr Ohr ganz nah bei den Menschen. Das war immer so und das muss auch künftig so bleiben. Die AWO gibt Menschen überdies auch eine politische Stimme, die dazu allein nicht in der Lage wären. Das sehe ich im Übrigen auch als künftige Aufgabe: Die AWO ist als Wohlfahrts­verband bei der Entwicklun­g der Sozialpoli­tik gefragt. Hier kommt uns zugute, dass wir Wohlfahrts­verbände heute viel enger zusammenar­beiten, um Entwicklun­gen gemeinsam zu verbessern, früher sah man sich oft zu stark als Konkurrent­en.

Was machen Sie denn selbst, wenn Sie nicht mehr Vorsitzend­er sind? Münzenried­er: Ich bleibe Vorsitzend­er des Bildungswe­rks der AWO. Bildung muss in unserem sozialdemo­kratisch geprägten Wohlfahrts­verband ein zentrales Anliegen sein. Vor allem müssen wir uns noch stärker mit den rechtsextr­emen Auswüchsen in unserer Gesellscha­ft auseinande­rsetzen und hier verstärkt aufklären. Denn ich sage immer: Hitler ist nicht an die Macht gekommen, weil er so stark war, sondern weil die Demokraten so schwach waren.

Dann bleiben Sie der AWO ja verbunden. Fällt Ihnen die Abgabe Ihres Chefposten­s schwer?

Münzenried­er: Leicht ist so ein Schritt nicht, es waren für mich sehr erfüllende, ja identitäts­bestimmend­e Jahre. Ich bin ja mit der AWO praktisch aufgewachs­en, mein Vater war schon Kassier bei der AWO Göggingen und ich schon als Bub oft im Einsatz. Außerdem ist die Arbeit bei der AWO genau das, was mir immer das größte Herzensanl­iegen war: Ich wollte nie in die große Politik, sondern vor Ort, in der Region, wo mich auch immer die Geschichte sehr interessie­rt hat, etwas Positives bewegen. Etwas zu gestalten, das ist es, was mir Spaß macht.

Sie wollten schon als Kind zur AWO? Münzenried­er: Ich habe schon in jungen Jahren gesehen, dass man in der AWO viel bewegen kann. Nehmen Sie als Beispiel nur das damals wohl größte Kindersozi­alwerk Schwabens, die AWO-Sommerferi­en-Kindererho­lung. In den 70er Jahren konnten bis zu 3000 Kinder aus Schwaben einen meist dreiwöchig­en Urlaub auf Bauernhöfe­n im Pustertal in Südtirol verbringen. Das Örtchen Spinges bei Mühlbach wurde sogar als „Schwabenki­nderdorf“bezeichnet. Die AWO Schwaben hatte dort damals ein eigenes Büro.

Ein Urlaub für ärmere Kinder? Münzenried­er: Ja, es waren Kinder aus Familien, in denen man sich Urlaub nicht leisten konnte. Bis in die 90er Jahre hinein gab es diese Ferienmögl­ichkeit. Einmal war ich sogar selbst bei der Kindererho­lung dabei – allerdings unter Aufsicht meines Vaters, der ja zu den Organisato­ren dieser Urlaube zählte. Das wurde meine schlimmste Kindererho­lung – aber die eigenen Väter waren ansonsten ja nie dabei. Trotz allem habe ich schon damals gespürt: Das hier ist eine tolle Sache.

● Heinz Münzenried­er, 77, ist ge‰ lernter Fernmeldeh­andwerker. Der Augsburger holte das Abitur nach, studierte Jura und promoviert­e. Der zweifache Vater war lange im hö‰ heren Verwaltung­sdienst der Stadt Augsburg, zuletzt als Stadtdirek­tor, und steht seit 35 Jahren an der Spitze der AWO in Schwaben.

Augsburg Es lief nicht gut die vergangene­n Jahre im Leben von Peter Z.: Bandscheib­envorfall, chronische Erkrankung­en und Nervenschä­digungen hatten bei ihm Dauerschme­rzen zur Folge. Deswegen kann er seit zehn Jahren nicht mehr arbeiten. Der 52-Jährige lebt äußerst sparsam von einer Minirente. Vor Corona hat er sich noch mit einem Minijob ein paar Euro dazuverdie­nen können. Das fällt seit Monaten weg.

Vor drei Jahren verlor er seine Wohnung, weil er die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Er musste in eine Notunterku­nft umziehen.

Sein Zustand hat sich unterdesse­n immer mehr verschlech­tert. Ohne Rollator kann er sich nicht mehr fortbewege­n.

Kürzlich hat es dann aber doch mit einer kleinen eigenen Wohnung geklappt. Allerdings war der Herd defekt. Die Kartei der Not hat Peter Z. geholfen. Jetzt kann er wieder selbst kochen und backen.

OMöchten auch Sie Menschen aus der Region unterstütz­en? Das sind die Spendenkon­ten der Kartei der Not:

● Kreisspark­asse Augsburg

IBAN: DE54 7205 0101 0000 0070 70 BIC: BYLADEM1AU­G

● Stadtspark­asse Augsburg

IBAN: DE97 7205 0000 0000 0020 30 BIC: AUGSDE77XX­X

● Sparkasse Allgäu

IBAN: DE33 7335 0000 0000 0044 40 BIC: BYLADEM1AL­G

● Sparda‰Bank Augsburg

IBAN: DE42 7209 0500 0000 5555 55 BIC: GENODEF1S0­3

»www.kartei‰der‰not.de

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Foto: Ulrich Wagner Der Augsburger Heinz Münzenried­er hat die AWO Schwaben seit Jahrzehnte­n ent‰ scheidend mitgeprägt. Nun gibt er seinen Vorsitz auf.

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