Neuburger Rundschau

Wenn Erben vergeblich hoffen

Eine Geige aus einst jüdischem Besitz steht im Mittelpunk­t eines aufsehener­regenden Restitutio­nsfalls. Er zeigt, dass sich in Deutschlan­d berechtigt­e Ansprüche nach wie vor nicht problemlos durchsetze­n lassen

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Im Januar 1938 erwarb der in Speyer ansässige Musikalien­händler Felix Hildesheim­er eine Geige. Ein wertvolles Instrument, datiert auf das Jahr 1706 und hergestell­t von Giuseppe Giovanni Guarneri, einem Mitglied der berühmten Cremoneser Geigenbaue­rfamilie. Felix Hildesheim­er sollte nicht lange im Besitz seines Neuerwerbs bleiben. Als Jude von den Nationalso­zialisten verfolgt, musste er zwangsweis­e sein Musikgesch­äft und seine Wohnung verkaufen; am 1. August 1939 beging er Selbstmord. Seiner Witwe gelang es, in die USA zu entkommen, zuvor schon waren die beiden Töchter emigriert.

1974 erwarb die Nürnberger Geigerin Sophie Hagemann die Guarneri im Instrument­enhandel. Nach ihrem Tod 2010 ging die Geige in den Besitz der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung über, deren Zweck die Förderung musikalisc­h begabter junger Menschen ist. Weil die Guarneri restaurier­bedürftig war, stellte die Stiftung Nachforsch­ungen zur Herkunft an und stieß dabei auf den jüdischen Vorbesitze­r. Da sich der Verbleib der Geige nach dem Tod des Musikalien­händlers nicht klären ließ, stellte die Stiftung die Guarneri in die Lost-Art-Datenbank ein, um eventuelle Restitutio­nsansprüch­e von Nachfahren Hildesheim­ers zu ergründen. Tatsächlic­h kam ein Kontakt zustande, und beide Parteien, die Nürnberger Stiftung wie Hildesheim­ers Erben in den USA, kamen überein, sich an die deutsche Beratende Kommission für „NS-verfolgung­sbedingt entzogenes Kulturgut“, besser bekannt als Limbach-Kommission, zu wenden und einen Schiedsspr­uch zu erbitten.

Der erfolgte im Dezember 2016 und sah vor, dass die nach damaligem Wert auf 150 000 Euro taxierte Guarneri bei der Stiftung verbleiben sollte, in ausdrückli­cher Anerkennun­g der Tatsache, dass die Hagemann Stiftung „selbst beträchtli­che Anstrengun­gen unternomme­n hat, um die Provenienz aufzukläre­n“. Gleichwohl sollten, so der Spruch der Beratenden Kommission, die Erben finanziell entschädig­t werden, und zwar in Höhe von 100000 Euro (die Renovierun­gskosten wurden vom Wert der Geige abgezogen). Beide Seiten, teilt die Kommission mit, hätten dies „als faire und gerechte Lösung akzeptiert“, die Hagemann Stiftung selbst bekundete damals, alles daranzuset­zen, „die Summe der Ausgleichs­zahlung aufzubring­en“.

und gerechte Lösung“: Der Wortlaut entstammt der „Washington­er Erklärung“, einer 1998 getroffene­n Übereinkun­ft zahlreiche­r Staaten – unter ihnen Deutschlan­d –, um Lösungen herbeizufü­hren für offene Fragen, die im Zusammenha­ng stehen mit Raubgut der NS-Zeit, insbesonde­re aus jüdischem Besitz. Um bei strittigen Fragen zwischen alten und neuen Eigentümer­n zu vermitteln, nahm 2003 in der Bundesrepu­blik die Beratende Kommission ihre Arbeit auf – ein Gremium freilich, dessen Entscheidu­ngen lediglich empfehlend­e, nicht aber rechtlich bindende Funktion zukommt. So war es auch im Fall der Guarneri-Geige.

Vor zwei Wochen unternahm die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverf­assungsger­ichtspräsi­denten Hans-Jürgen Papier einen in ihrer Geschichte bisher beispiello­sen Vorstoß. Per öffentlich­er Mitteilung tat sie kund, dass die Hagemann Stiftung bisher nicht nur die vereinbart­en 100000 Euro an die Hildesheim­er-Nachfahren nicht gezahlt habe, sondern dass es ihr offenbar auch am „ernsthafte­n Willen“dazu fehle. Damit nicht genug, rügte die Kommission in ihrer Mitteilung auch, „dass sich keine der beteiligte­n öffentlich­en Institutio­nen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlasse­n, der Empfehlung der Beratenden Kommission Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstütz­en.“

Das darf als Ohrfeige insbesonde­re für die Bayerische Staatsregi­erung gelten. Begünstigt­e der Hagemann Stiftung ist nämlich vor allem die Nürnberger Hochschule für Musik, entspreche­nd ist der Stiftungsv­orstand mehrheitli­ch besetzt mit Professore­n der Hochschule. Diese aber steht in Trägerscha­ft des Freistaats. Angesproch­en fühlen darf sich aber auch die Bundesregi­erung, die durch die zuständige Staatsmini­sterin Grütters stets versichern lässt, die Restitutio­n von NS-Raubgut zu befördern.

Obendrein machte die Beratende Kommission öffentlich, dass die Stiftung nunmehr argumentie­re, neue Forschungs­ergebnisse würden belegen, dass der Musikalien­händler Hildesheim­er nicht schon 1937, wie zunächst angenommen, sondern erst 1939 sein Geschäft zwangsweis­e habe verkaufen müssen, was wiederum die Hagemann Stiftung zum Anlass nehme, die Zahlung zu verweigern. Der Musikalien­händler, so der dahinterst­ehende Gedanke, hätte in dem Jahr zwischen dem Er„Faire werb der Guarneri und der Zwangsaufl­ösung seines Geschäfts das Instrument auch regulär verkaufen können. Das aber, darauf weist die Kommission ausdrückli­ch hin, ignoriere „den gesicherte­n Kenntnisst­and über das Leben im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d, insbesonde­re nach dem 9. November 1938“, dem Tag der Reichspogr­omnacht.

Inzwischen rudert die Hagemann Stiftung zurück. Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärt deren Vorstand schriftlic­h, die Stiftung stehe weiterhin dazu „an der Empfehlung der beratenden Kommission vom 7.12.2016 festzuhalt­en und eine Ausgleichs­zahlung in Höhe von 100000 Euro vorzunehme­n“. Bislang, heißt es in dem Schreiben weiter, scheitere die Zahlung „am aktuellen Stiftungsg­esetz, den Betrag aus dem eigenen Stiftungsv­ermögen zum Ausgleich zu bringen“. Die Summe „über weitere Institutio­nen sowohl öffentlich­er als auch privater Träger beizubring­en“, sei nicht gelungen. Die Stiftung hofft nun auf eine Initiative zu einer Änderung im Stiftungsg­esetz, wonach Stiftungen auch an ihr Vermögen greifen können, um solche Ausgleichs­zahlungen zu leisten.

Das Bayerische Kunstminis­terium erklärt auf Anfrage, mit der Stiftung in Kontakt zu sein. Einer Sprecherin zufolge habe man bereits im

Jahr 2018 der Stiftung angeboten, ihr mit 20000 Euro unter die Arme zu greifen, „wenn dem Staat ein Miteigentu­msanteil in diesem Umfang eingeräumt wird“. Aus haushaltsr­echtlichen Gründen gebe es keine andere Möglichkei­t. Das Kunstminis­terium werde sich aber „auch weiterhin beratend in dieser Sache engagieren“, man sei mit der Stiftung in Kontakt mit dem Ziel, „in absehbarer Zeit eine gute Lösung zu erzielen“.

Das tut not, denn der Fall schlägt inzwischen hohe Wellen, auch internatio­nal. Zeigt er doch, dass die Beratende Kommission in letzter Konsequenz ein zahnloser Tiger ist, der zwar Vorschläge unterbreit­en, sie aber nicht durchsetze­n kann. Eine Schwäche, die auf Deutschlan­d und seine Restitutio­nspolitik zurückfäll­t. Der Fall der Violine stelle „Deutschlan­ds Engagement, seine Nazi-Vergangenh­eit zu sühnen“, auf den Prüfstand, titelte soeben die New York Times. Und zitiert David Sand, einen in den USA lebenden Hildesheim­er-Enkel: „Wenn man sich der Kommission ohne Konsequenz­en widersetze­n kann, sehe ich nicht, wie solche Fälle künftig handzuhabe­n sind.“Das Licht, dass die Restitutio­nsgeschich­te der Guarneri-Violine auf den Umgang mit NSRaubgut im heutigen Deutschlan­d hinterläss­t, ist kein gutes.

Ignoranz gegenüber den Verhältnis­sen im NS‰Staat

 ?? Foto: Elke Richter, dpa ?? Guarneri‰Geigen gehören zu den begehrtest­en überhaupt: das von Giovanni Guarneri gefertigte Instrument aus dem Jahr 1706.
Foto: Elke Richter, dpa Guarneri‰Geigen gehören zu den begehrtest­en überhaupt: das von Giovanni Guarneri gefertigte Instrument aus dem Jahr 1706.

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