Er wollte den Lebensstandard aufrechterhalten
Wegen 21 Fällen von Betrug muss sich ein 38 Jahre alter Mann vor dem Amtsgericht in Neuburg verantworten
Neuburg Es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis Staatsanwältin Alexandra Engel die Anklageschrift vorgetragen hat. Es geht um vielfachen Betrug und Unterschlagung, unter anderem. Dafür steht er – ein 38 Jahre alter Mann, gebürtig aus dem Norden – nun vor Gericht. Es ist nicht das erste Mal, wie sein Vorstrafenregister zeigt.
Er soll in den Jahren zwischen 2016 und 2020 Ware online bestellt haben, teilweise unter falschem Namen, ohne sie je zu bezahlen. Ein teures Parfum zum Beispiel, Spirituosen, aber auch Sex Toys sind dabei. Er soll Leistungen geordert haben, Privatfernsehen, einen InternetVertrag, ohne all das auch nur einmal zu begleichen. Autos hat er angemietet, für einen Mietpreis von knapp 2000 Euro. Sogar den Zahnarzt soll er um die Kosten einer Behandlung in Höhe von gut 4150 Euro geprellt haben. Insgesamt umfasst die Anklage 27 Ziffern – und Beträge, die sich auf eine Summe von rund 15.000 Euro belaufen.
„Ja, das ist richtig.“Der Mann auf der Anklagebank im Saal 42 des Neuburger Amtsgerichts räumt die Vorwürfe ein. Jeden einzelnen, bis auf einen: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll er im Juli 2019 nämlich außerdem zwei Videokameras in der Wohnung seiner damaligen Lebensgefährtin und deren Tochter installiert und Aufnahmen vom „geschützten Lebensbereich“der beiden gemacht haben. „Das stimmt nicht.“Er schüttelt den Kopf. Die Kameras habe er aufgebaut, Bilder oder Videos seien damit aber nicht gemacht worden, betont er dezidiert.
Der gelernte Industriekaufmann steht nicht das erste Mal vor Gericht.
Er wurde wegen ähnlicher Delikte des Öfteren verurteilt. „Das hat sich bei Ihnen so eingeschlichen, das betrügerische Verhalten“, findet Richter Christian Veh. Neben Geldstrafen hat der Mann auch zwei Freiheitsstrafen kassiert.
Wie der 38-Jährige einem psychiatrischen Gutachter vor Prozessbeginn erklärte, hatte er aus zwei unterschiedlichen Gründen betrogen: zu einem Drittel, um den Lebensunterhalt für sich und seine damalige Partnerin zu bestreiten – zu zwei Dritteln, um seinen Drogen- und Alkoholkonsum zu finanzieren.
Anhaltspunkte für eine Substanzabhängigkeit gibt es nach Aussagen des gerichtlichen Gutachters nicht. Der Mediziner bescheinigt ihm allerdings eine sogenannte Dysthymia, eine chronische Depression und krankhafte seelische Störung. Die aber sei nicht derart intensiv, dass sie die Steuerungsfähigkeit erheblich einschränken oder ganz aufheben würde.
Die Kindheit des Mannes, so jedenfalls scheint es, war keine leichte. Geboren und aufgewachsen in Berlin sei er von seinem trinkenden leiblichen Vater missbraucht worden, körperlich und sexuell. Nachdem der Vater starb, habe die Mutter einen neuen Partner gefunden, mit dem sie einen Betrieb gründete, in dem der Sohn seine Ausbildung absolvierte. Später sind Mutter und Stiefvater ins europäisch-mediterrane Ausland gezogen. Seine Eltern hätten ihm immer einen hohen Standard vorgelebt, erzählt er vor Gericht. Den habe er versucht, „gleich hoch“zu halten. Geschafft aber habe er das nicht. Zwei Jahre habe er als Industriekaufmann gearbeitet. Dann kam die Zeitarbeit, dann die Zeit der Arbeitslosigkeit. Dann der Betrug.
Trotz all dem hat der Mann auf der Anklagebank einen Plan für die Zeit nach dem Gefängnis: Er würde gerne seine Ausbildung in der Heilkunde beenden. So könne er Menschen helfen, endlich etwas Positives tun. Auch die Schadenswiedergutmachung wolle er angehen, er habe die Firmen schon angeschrieben. Bisher aber habe sich nur eine einzige zurückgemeldet, die Rechnung hätten die Eltern bezahlt.
Weil weitere Delikte gegen ihn im Raum stehen, die Anklage aber noch nicht vorliegt, unterbricht Christian Veh die Schöffensitzung. Sie wird am 24. Februar fortgesetzt.