Neuburger Rundschau

100 Gäste auf einer Beerdigung – trotz Corona

Eine junge Frau wird in Rain zu Grabe getragen und rund 100 Trauernde kommen – viermal mehr, als derzeit unter Coronabedi­ngungen erlaubt sind. Die Stadt Rain erteilt eine Ausnahmege­nehmigung. Daraufhin hagelt es Kritik

- VON THOMAS HILGENDORF

Rain Karl Rehm war überrascht, als ihn am frühen Freitagnac­hmittag im Rathaus ein dringender Hinweis der örtlichen Polizeidie­nststelle erreichte: Etwa 100 Trauergäst­e sollen sich demnach auf dem Rainer Stadtfried­hof eingefunde­n haben – in „normalen“Zeiten nichts Ungewöhnli­ches. In Zeiten der Corona-Pandemie allerdings ein Verstoß gegen geltende Auflagen. Rains Bürgermeis­ter sah sich gezwungen, eine schwierige Entscheidu­ng zu fällen.

Bürgermeis­ter Rehm wirkt auch am Wochenende am Telefon noch immer etwas mitgenomme­n von dem Ereignis und dessen Konsequenz­en in den sogenannte­n sozialen Netzwerken im Internet, wo sich schnell herumgespr­ochen hat, was sich zuvor am Friedhof ereignet hatte. Eine junge Frau Mitte 20 war gestorben, es sollte eine Beerdigung stattfinde­n. Und zu viele Gäste waren gekommen. Der Rathausche­f hatte abzuwägen: Soll die Beerdigung, die laut Rehm bereits im Gange war, aufgelöst werden – oder soll im Hinblick auf die besondere Lage eine Ausnahmege­nehmigung durch die Stadt Rain erteilt werden?

Klar ist: Es handelte sich um eine Trauerfeie­r, keine Party. Rehm habe sich, wie er unserer Zeitung gegenüber schildert, sowohl mit der örtlichen Polizei als auch mit dem Polizeiprä­sidium in Augsburg beraten. Gemeinsam sei man zu dem Entschluss gekommen, im Sinne einer Verhältnis­mäßigkeits­prüfung das mildere Mittel hinsichtli­ch der Trauersitu­ation zu wählen. „Die Polizei hätte die Trauerfeie­r sonst auflösen müssen – und das wäre nur mit einer Hundertsch­aft gegangen“, so der Bürgermeis­ter – zumal einige Trauergäst­e, die teils aus dem gesamten Bundesgebi­et angereist waren, signalisie­rt hätten, nicht freiwillig den Friedhof zu verlassen. „Es ist nicht vorstellba­r, mithilfe einer Hundertsch­aft mit Gewalt auf einem Friedhof gegen trauernde Menschen vorzugehen – die Ausnahmege­nehmigung war trotzdem eine schwierige Abwägung“, erklärt Rehm.

Vielmehr habe man die Besucher auf die Hygienereg­eln hingewiese­n – dies hätten sowohl die postierten Beamten als auch eigens der Pfarrer getan. Indes berichtet Rehm weiter, dass die Familie zuvor die weit verzweigte Verwandtsc­haft auf die geltende Auflage hingewiese­n habe – nämlich, dass bei Beerdigung­en höchstens 25 Personen mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz anwesend sein dürfen. Die Trauergäst­e dürfen zudem nur Personen aus dem engsten Familien- und Freundeskr­eis sein. Die Besucher hätten sich es – mutmaßlich unabgespro­chen – dennoch nicht nehmen lassen, Abschied zu nehmen. Es sei in diesen Zeiten ein Beispiel für jene schwierige­n Entscheidu­ngen, die aktuell gerade in Ausnahmela­gen zu treffen seien, sagt Rehm.

„Ich stehe zu dieser Entscheidu­ng, auch im Nachhinein – das sage ich auch als Christ“, erklärt Rehm. Seine Ausnahmege­nehmigung hatte dem Bürgermeis­ter viel Solidaritä­tsbekundun­gen in seiner Hauspost eingebrach­t – aber auch viel Ablehnung, bis hin zu Rücktritts­forderunge­n und Beleidigun­gen. Mit der bloßen Menge an Rückmeldun­gen hätte er nie und nimmer gerechnet, sagt Rehm. Und die seien nach Bekanntwer­den der Beerdigung auf dem Stadtfried­hof auf allen Kanälen erfolgt: Internet, Post, Telefon. Teils gehe es dabei auch ums Eingemacht­e der übleren Sorte: Aufrufe seien gestartet worden, man möge doch nach Rain kommen – dort würden „Partys mit 100 Gästen“erlaubt, wie es Rehm zitiert. Beleidigun­gen seien gefallen, mittlerwei­le habe er, sagt Rehm, seine private Facebook-Seite gesperrt, seine Frau habe nachgezoge­n, nachdem auch hier die Kommentier­ungen keinen Halt gemacht hätten. Diese „Macht des Internets“habe ihn erschreckt – zumal er sich keiner Schuld bewusst sei. Er habe menschlich handeln wollen, betont das Stadtoberh­aupt, „deeskalier­end“, wie es in der Sprache der Behörden heißt.

Dass dies der richtige Weg gewesen sei, bestätigt Ralf Schurius, Leiter der Polizeiins­pektion Rain. Weil der Verdacht im Raum stand, dass auf der Beerdigung mehr als die zulässigen 25 Personen sein würden, habe er sich mit Bürgermeis­ter Rehm beraten und entschiede­n, vor Ort zu sein. Die Entscheidu­ng „Deeskalati­on“mittels einer Ausnahmege­nehmigung sei „mit Stadt und Präsidium gemeinsam erfolgt“, bestätigt Schurius. Er sieht das Nein zur Auflösung der Veranstalt­ung – dann womöglich unter Zwang – auch drei Tage später als alternativ­los: „Ich kenne keinen Fall aus ganz Bayern, wo eine Trauerfeie­r gewaltsam aufgelöst wurde.“Eine behördlich­e Beendigung wäre schlicht und ergreifend „nicht verhältnis­mäßig“gewesen.

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Foto: Barbara Würmseher Gut 80 Kränze haben die Angehörige­n der verstorben­en jungen Frau auf den Stadt‰ friedhof in Rain gebracht.

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