Neuburger Rundschau

Pandemie und Psyche

Für viele scheint die Corona-Krise auch eine psychische Krise zu bedeuten– besonders im Lockdown. Eine Telefonsee­lsorgerin aus der Region gibt Hilfestell­ungen, wie ein positiver Umgang gerade in dieser Zeit möglich ist

- VON ELISA‰MADELEINE GLÖCKNER

Für viele scheint die Corona-Krise auch eine psychische Krise zu bedeuten. Experten berichten von der Lage in den lokalen Kliniken und geben Hilfestell­ungen.

Neuburg Die einen fürchten die Infektion, andere um ihre Existenz. Sie sind einsam, überforder­t, durch den Lockdown gestresst. Dann es gibt natürlich noch diejenigen, denen es schon zuvor schlecht ging, die sich labil fühlen, vielleicht mehr als sonst. Und so zeigt es sich immer mehr, dass die CoronaKris­e zu einer Krise der eigenen Psyche werden kann.

Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer weiß das. Er ist Direktor am Zentrum für psychische Gesundheit, kurz ZPG, und Chefarzt der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie in Ingolstadt. Wie er erzählt, sei die Zahl der Menschen, die das ZPG für eine stationäre Behandlung aufgesucht haben, im vergangene­n Jahr zwar um 25 Prozent gesunken. Das aber bedeute nicht, dass psychische Notlagen seltener geworden sind. Zumal nur ein kleiner Teil der Menschen, die in solchen Notlagen sind, ein Krankenhau­s aufsuche. „Der Lockdown und seine Begleiters­cheinungen wie die Besuchsver­bote haben natürlich die Schwelle erhöht, sich bei uns Hilfe zu suchen“, sagt der Mediziner. Obwohl also die Zahl der stationäre­n Patienten gesunken ist, hat das ZPG nach dem ersten Lockdown deutlich mehr sehr schwer kranke Menschen aufgenomme­n. Darunter sehr viele depressive Patienten, aber auch solche mit Schizophre­nie oder bipolarer Störung. „Wir vermuten, dass die deutlich reduzierte­n Angebote ambulanter Behandlung und psychosozi­aler Beratung dazu geführt haben, dass leichtere Krisen zu schweren Erkrankung­en geworden sind, weil eben nicht rechtzeiti­g Hilfe zur Hand war“, erläutert Thomas Pollmächer.

Dass es für einige Hilfesuche­nde durchaus problemati­sch war, die passende Hilfe zu finden – diesen Eindruck bestätigt auch Beate Hofer als Psychologi­sche Leiterin der Danuvius Kliniken. Gerade während der ersten Lockdown-Phase seien manche Tagesklini­ken geschlosse­n gewesen, einige Ärzte und Psychother­apeuten hätten indes nur per Video beraten. An sich ein gutes Angebot, findet die Psychother­apeutin, für einige Patienten aber nicht das Richtige. Auch deshalb hatten die Danuvius Kliniken immer alle Bereiche offen gehalten – Kliniken, Tagesklini­ken wie Ambulanzen. Weil es wichtig sei, dass Betroffene zumindest einen Ansprechpa­rtner bekommen, der sie an die entspreche­nden Anlaufstel­len weiterleit­en kann, erklärt Beate Hofer. Ihrer Ansicht nach ist die Zahl der Menschen, die mit psychische­n Belastunge­n in die Danuvius Kliniken kommen, zuletzt signifikan­t gestiegen. Wobei sich diese Tendenz in vielen Bereichen zeige: den Angsterkra­nkungen etwa, aber auch den Schlafstör­ungen und Suchterkra­nkungen. „Wir beobachten schon länger, dass Patienten verstärkt unter der aktuellen Situation leiden.“

Dabei kann der Lockdown beides sein: Verstärker und Auslöser. Er kann die Lage von Menschen verschlimm­ern, die sich schon zuvor in einer psychische­n Notlage befunden haben. Gleichzeit­ig kann er ursächlich

sein, dass die psychische Konstituti­on eines Individuum­s ins Wanken gerät. „Er kann das Fass gewisserma­ßen zum Überlaufen bringen“, sagt Beate Hofer. Wobei es in den überwiegen­den Fällen nicht nur einen Auslöser gebe. „In der Regel ist es immer ein Zusammensp­iel aus biologisch-genetische­n Komponente­n und der jeweiligen Lebenssitu­ation.“

In der Not, so heißt es jedenfalls, kann die Angst ein Ratgeber sein. Was aber, wenn die Angst über Wochen und Monate reicht, wie es aktuell der Fall ist? Experten berichten von schwerer ausgeprägt­en Krankheite­n und von allgemein steigenden Patientenz­ahlen. Demgegenüb­er ist in allen Einrichtun­gen – dem ZPG, der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie und den Danuvius Kliniken – die Zahl der Menschen, die sich wegen suizidaler Gedanken Hilfe suchen, nicht gestiegen, sondern stabil geblieben. Ein Trugschlus­s? Wie Thomas Pollmächer vom ZPG erklärt, gebe es deutschlan­d- beziehungs­weise weltweit bisher keine sicheren Hinweise auf erhöhte Suizidrate­n. Was nicht heiße, dass die Pandemie keinen Einfluss habe. Denn: „Es steht zu befürchten, dass sich entspreche­nde Efdafür fekte verzögert bemerkbar machen, insbesonde­re wenn sich die schweren sozialen und ökonomisch­en Folgen der Pandemie voll auswirken.“

Wie viele andere Menschen in der Telefonsee­lsorge so sieht auch Margot Koschmiede­r vom Krisen-Interventi­ons-Dienst des BRK-Kreisverba­nds, dass Corona die Bevölkerun­g belastet: „Es ist eine Situation, die uns viel abverlangt.“Wichtig in solchen Zeiten, sagt sie, seien stabile Familienst­rukturen. Das heißt, auch wenn man sich nicht persönlich begegnen kann: Das Telefon und digitale Plattforme­n helfen, sich zumindest medial zu treffen. Wenn das Wetter es zulässt, solle man versuchen, rauszugehe­n, „mit der Familie oder auch allein, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen“.

Neben der eigenen Familie soll man auch anderen Personen gegenüber – den Nachbarn, Freunden und Kollegen – versuchen, sensibel zu sein. Eine Begrüßung, ein Gespräch über den Zaun, ein: „Wie geht’s dir heute?“Dabei solle man verständni­svoll sein und sich die Antwort anhören, die vielleicht nicht immer positiv ausfällt in Tagen wie diesen. Dem ein oder anderen mag es guttun, Hilfe angeboten zu bekommen – etwa beim Einkaufen. Menschlich­keit hört im Supermarkt und Pflegeheim nicht auf: „Vielleicht auch mal ein ernst gemeintes ,Danke fürs Durchhalte­n’ mit einem Lächeln an die Verkäuferi­n oder den Verkäufer an der Kasse im Supermarkt, den Menschen in der Pflege und allen, die sich um uns sorgen“, rät Margot Koschmiede­r.

Denn gerade jetzt sei es nicht einfach, das Positive im Leben zu finden. Umso wichtiger sei es, sich auf bestimmte Dinge zu besinnen: die Gesundheit, ein Dach über dem Kopf und die Hoffnung auf Lockerunge­n und ein wenig Normalität. Auch weil wir wissen, dass wir „ arme, bedürftige Menschen um uns herum haben. Menschen die unwahrsche­inlich sparen müssen, die mit dem Rücken an der Wand stehen, die große Sorge um ihre Zukunft haben, familiär wie beruflich“. Familien, in denen jemand an Covid-19 erkrankt oder verstorben ist. „Wir alle müssen durch die Krise. Und zwar gemeinsam“, bekräftigt Margot Koschmiede­r. Wer Gesprächsb­edarf hat und Hilfe sucht, kann sich an die „Nummer für die Seele“des Krisen-Interventi­onsDienste­s des BRK-Kreisverba­nds unter 08431/6799-98 wenden. „Wir hören zu und versuchen, so gut es geht, zu helfen“, so wie die Telefonsee­lsorge oder viele andere auch.

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Foto: Benedikt Siegert (Symbolfoto) Stress, Depression, Isolation: Kein anderes Ereignis der vergangene­n Jahre hat die Menschen im Landkreis, in Bayern, der Welt so tangiert wie die Corona‰Pandemie.

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