Neuburger Rundschau

Der russische Impfstoff als politische­s Druckmitte­l

Darf der Westen ein totalitäre­s Regime stützen, in dem es mit ihm Geschäfte macht? Die Frage stellt sich auch unabhängig vom Kampf gegen die Pandemie

- VON ULRICH KRÖKEL redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Es klingt nach einer kaum aufzulösen­den politische­n und moralische­n Zwickmühle. Der russische Corona-Impfstoff Sputnik V zeigt in neuen Studien ausgezeich­nete Ergebnisse. Er kann Menschenle­ben retten. Doch sollen westliche Staaten einen solchen Wirkstoff in großem Stil kaufen und damit ein totalitäre­s Regime stützen? Überspitzt formuliert könnte man darauf hinweisen, dass in russischen Laboren ja nicht nur hilfreiche Mittel wie Sputnik V entwickelt werden. Der Nervenkamp­fstoff Nowitschok, mit dem zuletzt der Opposition­spolitiker Alexej Nawalny vergiftet wurde, ist auch ein Ergebnis russischer Forschung.

In dieser Lage ist es für viele Entscheidu­ngsträger im Westen vermutlich eine Erleichter­ung, dass sich die Frage nach einem Sputnik-Ankauf derzeit nicht konkret stellt. Die Hürden für eine Zulassung sind zu hoch und die Produktion­skapazität­en gering. Und sollte sich daran im Laufe des Jahres etwas ändern, dann dürften westliche Hersteller bereits so viele Impfdosen produziere­n können, dass sich das Sputnik-Problem mangels Dringlichk­eit von selbst erledigt. An der grundsätzl­ichen Frage nach dem richtigen Umgang mit Russland ändert das aber nichts.

Sie lässt sich in die Formel fassen: Konfrontat­ion oder Kooperatio­n, mehr Dialog oder mehr Druck? Zwischen diesen Extremen ist man in der EU hin- und hergerisse­n. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron versuchte es zuletzt mit einer Charmeoffe­nsive. Er lud seinen russischen Kollegen Wladimir Putin 2019 in seine Sommerresi­denz an der Côte d’Azur ein, und noch kurz vor dem Giftanschl­ag auf Nawalny plauderten die beiden im Videochat. Ein halbes Jahr später gibt Macron nun den scharfen Kremlkriti­ker. Kurzzeitig schien es sogar so, als würde Paris seine ohnehin nur halbherzig­e Unterstütz­ung für den Weiterbau der deutsch-russischen Ostseepipe­line Nord Stream 2 endgültig versagen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte erhebliche Mühe, Macron von ihrer Position zu überzeugen, die da lautet: Der politisch so verstörend­e Fall Nawalny und der rein wirtschaft­lich begründete Pipelineba­u haben nichts miteinande­r zu tun.

Mit dieser schizophre­nen Haltung übertrifft die Bundesregi­erung

alles, was es in der EU an Unentschie­denheit in der Russlandpo­litik sonst gibt. Das hat mit sehr speziellen Traditione­n zu tun. Vor allem wirkt das 20. Jahrhunder­t nach: der Vernichtun­gskrieg der Wehrmacht mit mehr als zwanzig Millionen sowjetisch­en Toten, die Befreiung durch die Rote Armee, die Gründung der DDR, der Kalte Krieg, „Gorbi“und die Wiedervere­inigung. Vor diesem Hintergrun­d tun sich viele Deutsche schwer, ein nüchternes Verhältnis zu Russland zu entwickeln. Oft gelingt es nicht einmal, zwischen der politische­n Führung und dem Land selbst zu unterschei­den, mit seinen großartige­n Menschen, seinem reichen Kultur- und Geistesleb­en und der fasziniere­nden Natur. Präsident Putin, seine korrupten Kreml-Clans, seine mordenden Agenten und die prügelnden Polizisten sind nicht Russland, sondern nur ein kleiner Teil, auch wenn sie leider die ganze Macht in Händen halten.

Wer nach einer Antwort auf die Frage sucht, wie die EU und Deutschlan­d mit Putin am besten umgehen sollten, darf deshalb das Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Denn so utopisch es klingt, aber das bestmöglic­he Szenario wäre ein modernes, demokratis­ches Russland, dessen kluge Köpfe zum Wohle der eigenen Bevölkerun­g wie auch der Menschheit erfolgreic­h Impfstoffe, Raumfahrtt­echnik oder Software entwickeln. Im Westen sollte man sich deshalb auf die Losung verlegen: Konfrontat­ion mit dem Kreml, Kooperatio­n mit den Menschen.

Russland ist mehr als der Kreml und korrupte Clans

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