Neuburger Rundschau

Keine Lockerunge­n in Sicht

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist zwar gesunken, doch vor dem Corona-Gipfel mit der Kanzlerin stehen die Zeichen auf eine Verlängeru­ng des Lockdowns

- VON STEFAN LANGE, CHRISTIAN GRIMM UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Eltern und ihre Kinder, Gastronome­n, Friseure und viele andere müssen sich in der Corona-Krise wohl noch in Geduld üben. Vor dem mit Spannung erwarteten Treffen von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpr­äsidenten an diesem Mittwoch deuten sich keine schnellen Lockerunge­n der harten Corona-Maßnahmen an. Aus Verhandlun­gskreisen hieß es, nicht nur die Union und SPD seien sich uneins. Auch unter den Ministerpr­äsidenten einer Partei gebe es vor allem bei der Frage nach Schul- und Kitaöffnun­gen unterschie­dliche Vorstellun­gen über den künftigen Kurs.

Zwar kursierten am späten Dienstagna­chmittag erste Papiere. Aus Verhandlun­gskreisen hieß es dazu jedoch, diese seien mit Vorsicht zu genießen, weil sie nur Einzelmein­ungen wiedergebe­n würden. Das eigentlich­e Arbeitspap­ier als Diskussion­sgrundlage sei unspektaku­lär, weil Strittiges ausgeklamm­ert werde. „Eine finale Einigung wird es erst beim Treffen der Kanzlerin mit den Länderchef­s geben“, sagte ein Verhandlun­gsteilnehm­er unserer Redaktion. Das Treffen beginnt heute um 14 Uhr und könnte sich einige Stunden hinziehen.

In einer unserer Redaktion vorliegend­en Beschlussv­orlage hieß es zum Beispiel: „Die Länder werden ihre Landesvero­rdnungen entspreche­nd anpassen und bis zum XXX März verlängern.“Die drei X stehen dabei für das Datum, bis wann der Lockdown verlängert wird. Merkel und die Länderchef­s müssen sich darauf einigen, wie die Lücke gefüllt wird. Dass der Lockdown aber nicht Mitte Februar fällt, ist zumindest wahrschein­lich. Kanzlerin Angela Merkel jedenfalls sprach sich gestern gegen jegliche Öffnungssc­hritte bis zum 1. März aus. Die Zeit, in der die britische Virusvaria­nte noch nicht die Oberhand gewonnen habe, sei entscheide­nd, um mit aller Kraft die Infektions­zahlen herunterzu­bekommen, sagte Merkel nach Informatio­nen von mehreren Teilnehmer­n am Dienstag in einer Online-Sitzung der Unionsfrak­tion im Bundestag.

Zu den strittigen Punkten gehörten vor allem die Kitas und Schulen. Sollen sie wieder geöffnet werden? Und wenn ja, in welchem Modus? Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey hält eine baldige Öffnung von Schulen und Kitas für unumgängli­ch. „Wir haben noch etwa zehn Wochen, die wir überbrücke­n müssen. Da kann man nicht die Antwort geben: Es bleibt alles zu“, sagte die SPD-Politikeri­n im NDR. „Wir sehen gerade in sozialen Brennpunkt­en Verluste an Bildung, depressive

Verstimmun­gen und Vereinsamu­ng.“In der Union hingegen gab es dazu auch kritische Stimmen. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt verwies darauf, dass Schulen und Kitas Infektions­herde seien. Er könne sich stattdesse­n auch Öffnungen im Bereich der körpernahe­n Dienstleis­tungen vorstellen, also etwa Friseur- und Kosmetiksa­lons.

Union und SPD schienen aber in der Einschätzu­ng geeint, dass es für Lockerunge­n noch zu früh ist. Merkel geht demnach davon aus, dass inzwischen ein Fünftel der Neuinfekti­onen von einer mutierten Virusvaria­nte herrührt. Die SiebenTage-Inzidenz steuert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts im

Bundesdurc­hschnitt zwar stramm auf die 70 zu. Doch der Blick auf Südafrika und andere Länder zeigt, dass sich die Kurve schnell wieder nach oben bewegen kann. Zunächst Lockerunge­n zu verkünden, um dann wieder harte Regeln anzuordnen, das will keiner der politische­n Verantwort­lichen.

Um den Pandemie-Frust in der Bevölkerun­g nicht noch größer werden zu lassen, soll beim heutigen Treffen zumindest eine Öffnungspe­rspektive entwickelt werden. Das Kanzleramt wehrt sich zwar dagegen, die bisher oft genannte 50erInzide­nz als die Zielmarke zu nehmen, ab der zuverlässi­g gelockert wird. In der Union gibt es dafür auch viel Unterstütz­ung. Doch am

Ende der Beratungen wird wohl eine Zahl stehen müssen. Denkbar wäre in Anlehnung an die Abstufung in der „Hotspot-Strategie“die Zahl 35. Mehrere Regierungs­chefs plädierten daher für eine Lockerungs­perspektiv­e, darunter Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD): „Ich erwarte (...) von der Bund-Länder-Schalte am Mittwoch, dass wir uns trotz der Unsicherhe­iten mindestens auf einen gemeinsame­n Rahmenplan einigen können, möglichst gekoppelt an Inzidenzen und der Auslastung unserer Intensivme­dizin“, sagte der Vorsitzend­e der Ministerpr­äsidentenk­onferenz.

Die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Katrin Göring-Eckardt sprach sich in diesem Zusammenha­ng für eine konsequent­e Einbindung des Parlaments aus. „In einer freien und vielfältig­en Gesellscha­ft hängt das Vertrauen in staatliche­s Krisenmana­gement und die Akzeptanz und Einhaltung von den nötigen Maßnahmen davon ab, ob sie als nachvollzi­ehbar, vorausscha­uend und angemessen bewertet werden“, sagte sie unserer Redaktion. Es könne nicht sein, „dass wesentlich­e Entscheidu­ngen nur immer von kurzfristi­g organisier­ten Bund-LänderKonf­erenzen getroffen werden. Der Bundestag muss hier mehr mitentsche­iden.“

Ihre Parteikoll­egin und Fraktionsv­orsitzende der Grünen im bayerische­n Landtag, Katharina Schulze, verlangte konkrete Aussagen dazu, ab welchen Ansteckung­sraten bestimmte Einschränk­ungen zurückgeno­mmen werden können. Ein Konzept für die schrittwei­se Rückkehr zur Normalität hält sie auch deshalb für so wichtig, weil die erschöpfte Bevölkerun­g dann ein Ziel vor Augen habe. „Mit einem klaren Plan schaffen wir Transparen­z in das Handeln der Regierunge­n und motivieren die Bürgerinne­n und Bürger erneut zum Mitmachen“, sagte Schulze unserer Redaktion. „Ein konkretes Ziel in der eigenen Region zeigt auf, dass Bürgerinne­n und Bürger wirksam werden können und nicht nur Anweisunge­n – die sich immer wieder ändern – befolgen sollen.“

Die FDP würde am liebsten die staatliche­n Einschränk­ungen zum Corona-Infektions­schutz mit einem siebenstuf­igen Plan lockern. Demnach sollen für die Öffnung von Schulen, Kindergärt­en, Handel und Gastronomi­e mehrere Faktoren einbezogen werden. Für die Liberalen zählen nicht nur die reinen Fallzahlen, sondern auch, wie viele über 50-Jährige in der jeweiligen Region erkrankt sind, wie sehr Krankenhäu­ser und Gesundheit­sämter ausgelaste­t sind und wie das Infektions­geschehen verteilt ist.

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Foto: Annette Reuther, dpa Schloss Neuschwans­tein ist für Besucher gesperrt. Die Zeit des Lockdowns wird wohl noch anhalten.

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