Keine Lockerungen in Sicht
Die Sieben-Tage-Inzidenz ist zwar gesunken, doch vor dem Corona-Gipfel mit der Kanzlerin stehen die Zeichen auf eine Verlängerung des Lockdowns
Berlin Eltern und ihre Kinder, Gastronomen, Friseure und viele andere müssen sich in der Corona-Krise wohl noch in Geduld üben. Vor dem mit Spannung erwarteten Treffen von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch deuten sich keine schnellen Lockerungen der harten Corona-Maßnahmen an. Aus Verhandlungskreisen hieß es, nicht nur die Union und SPD seien sich uneins. Auch unter den Ministerpräsidenten einer Partei gebe es vor allem bei der Frage nach Schul- und Kitaöffnungen unterschiedliche Vorstellungen über den künftigen Kurs.
Zwar kursierten am späten Dienstagnachmittag erste Papiere. Aus Verhandlungskreisen hieß es dazu jedoch, diese seien mit Vorsicht zu genießen, weil sie nur Einzelmeinungen wiedergeben würden. Das eigentliche Arbeitspapier als Diskussionsgrundlage sei unspektakulär, weil Strittiges ausgeklammert werde. „Eine finale Einigung wird es erst beim Treffen der Kanzlerin mit den Länderchefs geben“, sagte ein Verhandlungsteilnehmer unserer Redaktion. Das Treffen beginnt heute um 14 Uhr und könnte sich einige Stunden hinziehen.
In einer unserer Redaktion vorliegenden Beschlussvorlage hieß es zum Beispiel: „Die Länder werden ihre Landesverordnungen entsprechend anpassen und bis zum XXX März verlängern.“Die drei X stehen dabei für das Datum, bis wann der Lockdown verlängert wird. Merkel und die Länderchefs müssen sich darauf einigen, wie die Lücke gefüllt wird. Dass der Lockdown aber nicht Mitte Februar fällt, ist zumindest wahrscheinlich. Kanzlerin Angela Merkel jedenfalls sprach sich gestern gegen jegliche Öffnungsschritte bis zum 1. März aus. Die Zeit, in der die britische Virusvariante noch nicht die Oberhand gewonnen habe, sei entscheidend, um mit aller Kraft die Infektionszahlen herunterzubekommen, sagte Merkel nach Informationen von mehreren Teilnehmern am Dienstag in einer Online-Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag.
Zu den strittigen Punkten gehörten vor allem die Kitas und Schulen. Sollen sie wieder geöffnet werden? Und wenn ja, in welchem Modus? Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hält eine baldige Öffnung von Schulen und Kitas für unumgänglich. „Wir haben noch etwa zehn Wochen, die wir überbrücken müssen. Da kann man nicht die Antwort geben: Es bleibt alles zu“, sagte die SPD-Politikerin im NDR. „Wir sehen gerade in sozialen Brennpunkten Verluste an Bildung, depressive
Verstimmungen und Vereinsamung.“In der Union hingegen gab es dazu auch kritische Stimmen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verwies darauf, dass Schulen und Kitas Infektionsherde seien. Er könne sich stattdessen auch Öffnungen im Bereich der körpernahen Dienstleistungen vorstellen, also etwa Friseur- und Kosmetiksalons.
Union und SPD schienen aber in der Einschätzung geeint, dass es für Lockerungen noch zu früh ist. Merkel geht demnach davon aus, dass inzwischen ein Fünftel der Neuinfektionen von einer mutierten Virusvariante herrührt. Die SiebenTage-Inzidenz steuert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts im
Bundesdurchschnitt zwar stramm auf die 70 zu. Doch der Blick auf Südafrika und andere Länder zeigt, dass sich die Kurve schnell wieder nach oben bewegen kann. Zunächst Lockerungen zu verkünden, um dann wieder harte Regeln anzuordnen, das will keiner der politischen Verantwortlichen.
Um den Pandemie-Frust in der Bevölkerung nicht noch größer werden zu lassen, soll beim heutigen Treffen zumindest eine Öffnungsperspektive entwickelt werden. Das Kanzleramt wehrt sich zwar dagegen, die bisher oft genannte 50erInzidenz als die Zielmarke zu nehmen, ab der zuverlässig gelockert wird. In der Union gibt es dafür auch viel Unterstützung. Doch am
Ende der Beratungen wird wohl eine Zahl stehen müssen. Denkbar wäre in Anlehnung an die Abstufung in der „Hotspot-Strategie“die Zahl 35. Mehrere Regierungschefs plädierten daher für eine Lockerungsperspektive, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD): „Ich erwarte (...) von der Bund-Länder-Schalte am Mittwoch, dass wir uns trotz der Unsicherheiten mindestens auf einen gemeinsamen Rahmenplan einigen können, möglichst gekoppelt an Inzidenzen und der Auslastung unserer Intensivmedizin“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sprach sich in diesem Zusammenhang für eine konsequente Einbindung des Parlaments aus. „In einer freien und vielfältigen Gesellschaft hängt das Vertrauen in staatliches Krisenmanagement und die Akzeptanz und Einhaltung von den nötigen Maßnahmen davon ab, ob sie als nachvollziehbar, vorausschauend und angemessen bewertet werden“, sagte sie unserer Redaktion. Es könne nicht sein, „dass wesentliche Entscheidungen nur immer von kurzfristig organisierten Bund-LänderKonferenzen getroffen werden. Der Bundestag muss hier mehr mitentscheiden.“
Ihre Parteikollegin und Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, verlangte konkrete Aussagen dazu, ab welchen Ansteckungsraten bestimmte Einschränkungen zurückgenommen werden können. Ein Konzept für die schrittweise Rückkehr zur Normalität hält sie auch deshalb für so wichtig, weil die erschöpfte Bevölkerung dann ein Ziel vor Augen habe. „Mit einem klaren Plan schaffen wir Transparenz in das Handeln der Regierungen und motivieren die Bürgerinnen und Bürger erneut zum Mitmachen“, sagte Schulze unserer Redaktion. „Ein konkretes Ziel in der eigenen Region zeigt auf, dass Bürgerinnen und Bürger wirksam werden können und nicht nur Anweisungen – die sich immer wieder ändern – befolgen sollen.“
Die FDP würde am liebsten die staatlichen Einschränkungen zum Corona-Infektionsschutz mit einem siebenstufigen Plan lockern. Demnach sollen für die Öffnung von Schulen, Kindergärten, Handel und Gastronomie mehrere Faktoren einbezogen werden. Für die Liberalen zählen nicht nur die reinen Fallzahlen, sondern auch, wie viele über 50-Jährige in der jeweiligen Region erkrankt sind, wie sehr Krankenhäuser und Gesundheitsämter ausgelastet sind und wie das Infektionsgeschehen verteilt ist.