Neuburger Rundschau

Wir Gesättigte­n

Warum Asien erfolgreic­her ist im Kampf gegen die Pandemie

- VON FELIX LEE redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Noch im Sommer waren viele Bürger fast ein bisschen stolz auf ihr Land. Deutschlan­d schien die erste Welle der Corona-Pandemie verhältnis­mäßig glimpflich überstande­n zu haben. Tatsächlic­h war die Zahl der Toten im Vergleich etwa zu Frankreich, Spanien und Großbritan­nien sehr viel niedriger. Es gab ausreichen­d Beatmungsg­eräte, die Intensivst­ationen waren nicht überlastet. Bilder von Lastern mit Leichen, wie sie aus Wuhan, Bergamo und New York zu sehen waren, gab es nicht.

Dann kam der Herbst. Und die Vorteile, die sich Deutschlan­d mit einem rechtzeiti­g angeordnet­en Lockdown im Frühjahr und viel Glück verschafft hatte, waren durch eine zu rasche Lockerung verspielt. Die Bürger waren zu leichtsinn­ig geworden.

Wie nun aus einer Studie des Lowy Institute im australisc­hen Sydney hervorgeht, hat Deutschlan­d im Corona-Management rückblicke­nd denn auch nur mittelmäßi­g abgeschnit­ten. Die Studie sieht die Bundesrepu­blik gerade mal auf Platz 55 von insgesamt 98 bewerteten Ländern. Am besten schnitt Neuseeland ab, auf dem letzten Platz landete Brasilien.

Was auffällt: Insbesonde­re Länder im asiatisch-pazifische­n Raum gelten als sehr viel erfolgreic­her bei der Eindämmung der Pandemie. Länder wie Taiwan, Vietnam und Südkorea schafften es durch konsequent­e Lockdowns, die Ausbreitun­g des Virus weitgehend in Schach zu halten. In den meisten Ländern dieser Region verläuft das Leben wieder so wie vor der Pandemie.

Stellt sich die Frage: Warum scheint es vielen hierzuland­e so viel schwerer zu fallen als Asiaten, simple Verhaltens­regeln zu befolgen, wie Menschenan­sammlungen zu meiden oder Masken zu tragen? Ist es die oft behauptete Autoritäts­gläubigkei­t in Fernost?

Der Ökonom Clemens Fuest vom Ifo-Institut liefert folgende Erklärung: Die meisten westlichen Industriel­änder seien „satte Wohlstands­gesellscha­ften“. Den Menschen gehe es gut, sie seien daher nicht so leicht bereit, ihre Gewohnheit­en zu ändern. In weniger saturierte­n Ländern, die zudem in jüngerer Zeit noch viel Wandel durchgemac­ht haben, seien die Menschen Veränderun­gen gewohnt. In anderen Worten: Wir im Westen sind zu verwöhnt.

Was sich daraus ableiten lässt: Viele Menschen hierzuland­e könVorteil­e, nen sich offenbar nicht mehr vorstellen, dass ein System auch kollabiere­n kann. An einem solchen Punkt waren wir im Pandemieja­hr zwar an keiner Stelle. Dass das deutsche Gesundheit­swesen nicht zuletzt nach Jahrzehnte­n der Unterbezah­lung seines Personals nun am Rande seiner Kapazitäte­n steht und Patienten nicht mehr aufgenomme­n werden können – das war zuletzt schon real. Wahrnehmen wollten viele das aber nicht.

Im Gegenteil: Wissenscha­ftlich begründete Warnungen vor genau einem solchen Zustand wurden selbst im Herbst, als die Infektions­zahlen wieder steil anstiegen, als Alarmismus abgetan. Und auch jetzt erwecken die Stimmen einiger noch immer den Anschein, Abstandsre­geln und die LockdownMa­ßnahmen dienten der Schikane und nicht der Rettung von Leben. Wie Lobbyisten schachern gesellscha­ftliche Gruppen um die eigenen die Umgehung von Maßnahmen wird zur Tugend erklärt. Widerspens­tigkeit als Selbstzwec­k.

Auch in asiatische­n Ländern gibt es Aufmüpfige, die sich nicht an die Vorschrift­en gehalten haben. Trotzdem gibt es dort in der öffentlich­en Meinung einen viel breiteren Konsens darüber, dass Abstandhal­ten und Quarantäne zur Eindämmung der Pandemie wichtig sind. Das Maskentrag­en wurde nicht gleich ideologisi­ert oder zerredet, wie es zu Beginn der Pandemie auch hierzuland­e der Fall war.

Diese Pandemie wird nicht die letzte Krise sein. Die Klimakrise hat gerade erst begonnen, große Umwälzunge­n stehen im Zuge der Digitalisi­erung und Globalisie­rung an, verbunden mit weiteren Verwerfung­en. Sind gesättigte Gesellscha­ften für diese Umwälzunge­n gewappnet? Der Umgang mit dieser Pandemie lässt daran zweifeln.

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Foto: XinHua, dpa In Japan (hier eine Straße in Tokio) gibt es kaum Zweifel am Sinn der Maskenpfli­cht. Das schützt die Bevölkerun­g.

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