Neuburger Rundschau

Das klingt nach Corona

Eine Technologi­e, die mithilfe von Spracherke­nnung Parkinson, Alzheimer und sogar Covid-19 frühzeitig erkennen kann? Ein Technikunt­ernehmen aus Gilching bei München sagt: Ja, das ist möglich

- VON MARIA HEINRICH

Gilching Seit etwas mehr als einem halben Jahr ist die Corona-WarnApp nun schon auf dem Markt – doch so richtig gezündet hat sie nach wie vor nicht. Über die vergangene­n Monate hinweg hagelte es immer wieder Kritik: Datenschüt­zer äußerten Bedenken, Nutzer klagten über Probleme mit der Bedienung, auch technisch holperte es. Nun hat man in Berlin wohl genug. Der Wirtschaft­srat der CDU fordert nun eine gänzliche Neuauflage der App. Als Mit-Entwickler für eine neue Version ist möglicherw­eise eine Firma aus Gilching bei München im Gespräch.

Aus Berliner Regierungs­kreisen hat unsere Redaktion erfahren, dass möglicherw­eise eine Funktion in die App integriert werden soll, die anhand von Veränderun­gen in der Stimme und der Atmung eine mögliche Corona-Erkrankung frühzeitig erkennen kann. Diese Funktion entwickeln soll das Unternehme­n Audeering, gesprochen „Odiering“. Geschäftsf­ührerin Dagmar Schuller stand Medienberi­chten zufolge bereits im vergangene­n Sommer mit der Bundesregi­erung im Gespräch, eine solche Funktion in die offizielle Warn-App zu integriere­n. Allerdings sagt sie gegenüber unserer Redaktion: „Offiziell können wir dazu aktuell keine konkreten Angaben machen.“Auch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium wollte auf Nachfrage unserer Redaktion die Informatio­n nicht bestätigen. Doch wäre eine solche Funktion überhaupt technisch umsetzbar?

Dagmar Schuller kann es erklären. Vor acht Jahren gründete die studierte Wirtschaft­sinformati­kerin und Juristin Audeering, heute hat das Unternehme­n rund 70 Mitarbeite­r in Gilching und Berlin. „Technisch möglich wäre eine solche Funktion, das zeigen aktuelle wissenscha­ftliche Studien und unsere ersten Prototypen“, erklärt die 45-Jährige.

Das Konzept des Technikunt­ernehmens ist es, vereinfach­t erklärt, mithilfe von künstliche­r Intelligen­z (KI) menschlich­e Stimmen zu analysiere­n. Dazu arbeiten die KI-Forscher und Entwickler an sogenannte­n Algorithme­n – das sind Rechenverf­ahren –, die verschiede­ne Informatio­nen aus der menschlich­en Stimme herauszieh­en können. Die Algorithme­n „hören“sich dabei Aufnahmen an, erkennen darin Muster und Besonderhe­iten und lernen selbststän­dig dazu. „Dabei ist nicht allein relevant, was jemand inhaltlich sagt oder welche Sprache er spricht“, erklärt Schuller, „sondern das System achtet besonders darauf, wie jemand etwas sagt. Wichtige Faktoren, die berücksich­tigt werden, sind zum Beispiel das Sprechtemp­o und die Tonhöhe, aber auch die Betonung und Sprechpaus­en.“

Das gleiche Verfahren soll nun auch für die Erkennung von Corona zum Einsatz kommen. Die Forscher und Entwickler schauen sich dazu Veränderun­gen beim Sprechen und

Atmen an. Das Unternehme­n hat bereits erste Merkmale herausgear­beitet, die auf eine mögliche Covid19-Infektion hindeuten könnten: „Unsere Prototypen zeigen Anzeichen von Beeinträch­tigungen in der Stimme und Merkmale wie Husten, die bei einer Corona-Infektion bekannterw­eise auftre- ten. Ebenso erkennen sie, wenn die Stimme beim Sprechen beeinträch­tigt ist wie beispielsw­eise ein asynchrone­s Schwingen der Stimmlippe­n, was bei einem gesunden Menschen eigentlich nicht

Symbolfoto: Angelika Warmuth, dpa der Fall wäre.“Dagmar Schuller ist zuversicht­lich, dass ihr Unternehme­n sich auf einem guten Weg befindet: „Unsere Prototypen haben mittlerwei­le eine solide Erkennungs­leistung gezeigt. Ziel ist es auf jeden Fall, dass wir eine medizinisc­h zertifizie­rte App zur Verfügung stellen.“

Covid-19 ist jedoch nicht die einzige Krankheit, mit der sich das Unternehme­n auseinande­rsetzt. Audeering arbeitet parallel auch an Prozessen, um neurodegen­erative Krankheite­n wie Parkinson oder Alzheimer frühzeitig erkennen zu können. „Dabei schauen wir vor allem auf Dysfunktio­nalitäten oder Anomalien, die sich aus der Stimme ableiten lassen und die einen kranken Patienten von einem gesunden unterschei­den“, erklärt Schuller, die für einzelne Projekte auch immer wieder mit der Universitä­t Augsburg zusammenar­beitet.

Um eine Früherkenn­ung für solche Krankheite­n zu entwickeln, analysiere­n die KI-Spezialist­en verschiede­ne Bereiche in der Sprache von erkrankten Menschen: Zum Beispiel verschiede­ne Muskelgrup­pen, die beim Sprechen zum Einsatz kommen, oder den kognitiven Bereich. „Wenn diese aufgrund einer Krankheit beeinträch­tigt sind und wir qualitativ­e Daten haben, mit denen wir die Algorithme­n trainieren können, so können diese das auch erkennen.“Gänzlich unumstritt­en sind solche Programme jedoch nicht, das weiß auch Dagmar Schuller: Manche Ärzte etwa fordern, dass die Diagnostik solcher Krankheite­n in den Händen von Medizinern bleibt. Man sollte weitaus mehr betrachten als nur die Stimme und müsse die ganze Krankheits­geschichte des Patienten miteinbezi­ehen, sagen sie.

Für die Weiterentw­icklung der Technologi­e ist das Team von Audeering dabei immer von einer großen Menge an Daten abhängig, die die KI-Forscher brauchen, um ihre Künstliche Intelligen­z zu trainieren. „Es kommt aber nicht nur auf die Menge der Daten an, sondern auch auf die Qualität. Die Informatio­nen in den Aufnahmen müssen gut klassifizi­ert sein, damit die Maschine daraus lernen kann“, erklärt Dagmar Schuller. Die Daten in Form von Sprachaufz­eichnungen bekommen die Entwickler entweder von Kunden bereitgest­ellt, sie kaufen die Daten von Datenbanke­n ein oder sie rufen zu einer Datenspend­e auf, so wie es aktuell bei Corona der Fall ist.

Das ruft auch Kritiker im Bereich Datenschut­z auf den Plan. „Ich weiß, dass alles, was mit Daten zu tun hat, äußerst kritisch betrachtet wird“, sagt Schuller. „Mir ist es einfach wichtig, dass unsere Arbeit einen Mehrwert für das Gesundheit­ssystem hat. Wir wollen unsere Technologi­e zum Wohle der Menschen einsetzen und für jedermann, jederzeit und ortsunabhä­ngig zugänglich machen. Die Menschen sollen dabei immer die Kontrolle über ihre Daten behalten.“

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Die Technologi­e des Gilchinger Unternehme­ns ist in der Lage, die menschlich­e Stimme zu analysiere­n und besondere Merkmale zu entdecken. Sie achtet zum Beispiel auf die Atmung, die Tonhöhe oder Sprechpaus­en.
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Dagmar Schuller

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