Neuburger Rundschau

Udo bekommt Zuwachs

Forscher sind im Allgäu erneut auf Überreste von Menschenaf­fen gestoßen. Paläontolo­gin Madelaine Böhme über den Streit unter Gelehrten und die Zukunft der Ausgrabung­en

- Interview: Jessica Stiegelmay­er

November 2019 haben Sie Ihren Sensations­fund, „Danuvius guggenmosi“, der Öffentlich­keit vorgestell­t. Viele kennen den aufrecht gehenden Menschenaf­fen mittlerwei­le unter seinem Spitznamen Udo. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Zeit seither denken?

Madelaine Böhme: Die ersten drei Monate waren eine super Zeit, aufregend und anstrengen­d. Danach denke ich natürlich an die Fatalität von Corona. Die Öffentlich­keitsarbei­t und die Verkaufsza­hlen meines Buches sind eingebroch­en. Die Leute haben gerade andere Sorgen, das kann ich absolut verstehen. Im Februar oder März wäre ich eigentlich mit einer Gastprofes­sur in den USA gewesen.

Dinge, die Sie nachholen werden? Böhme: Wir verschiebe­n alles auf das berühmte Nach-Corona. Nichts ist verschwund­en, sondern nur verschoben. Allerdings werde ich für die Öffentlich­keit keine Zoom-Vorträge halten, mir ist es wichtig, dass die Menschen mich persönlich und meine Körperspra­che sehen.

Ihre These, dass sich der aufrechte Gang viel früher als bisher angenommen entwickelt hat, und zwar nicht in Afrika, sondern in Europa, hat Ihnen auch viel Gegenwind eingebrach­t. Vertreter der „Out-of-Africa“-Theorie, etwa der US-amerikanis­che Paläontolo­ge Scott Williams, zweifelten an Ihren Schlussfol­gerungen. Wie stehen Sie zu dem wissenscha­ftlichen Streit? Böhme: Prinzipiel­l ist Wissenscha­ft immer ein Diskurs um verschiede­ne Standpunkt­e. Jeder wissenscha­ftliche Standpunkt muss immer falsifizie­rt werden können – es kommt aber immer darauf an, wie. Da liegen mir die Dinge am Herzen, die konstrukti­v sind. Wenn man konstrukti­ve Kritik hat, sollte man mit mir sprechen. Im Fall von Williams ist das auch passiert. Wenn das Ganze aber über Dritte geht, man die Medien als Spiegel für ein PingPong-Spiel nimmt, dann ist das nicht konstrukti­v. Das sind oft Befindlich­keiten und keine rationalen Argumente.

Und wie sind Sie mit Ihren Kritikern verblieben?

Böhme: Wie beim Hornberger Schießen, die einen sagen so, die anderen so. Aber nach einem Jahr Distanz zieht es die Forscherwe­lt ernsthaft in Erwägung, dass es begründete Meinungen gibt, die sagen: Europa hat in der frühen menschlich­en Evolution eine akzentuier­tere Stellung als bisher angenommen. Das Eis ist gebrochen. Ein Zurück zu dem Paradigma „Alles Menschlich­e kommt aus Afrika“wird es nicht mehr geben. Ich habe weitere Publikatio­nen in der Hinterhand, mit vielen Daten zu noch unbekannte­n Funden, die das Bild weiter erhellen werden. Wegen Corona geht das aber wirklich schleppend voran.

In der Hammerschm­iede, einer Tongrube im Ostallgäu, haben Sie und Ihr Team 2020 erneut an die 3000 Fossilien geborgen. Können Sie schon etwas über die Funde sagen, sind Sie auf weitere Überreste von Menschenaf­fen gestoßen?

Böhme: Wir haben weitere Menschenaf­fenfunde gemacht. Es sind einige Stücke von „Danuvius“dabei, das ist extrem wichtig, weil es sich um anatomisch­e Regionen handelt, die wir bisher nicht kannten. Das sagt uns mehr über „Danuvius“und seine Zweibeinig­keit. Ich möchte ihn besser verstehen können. Nicht nur Kollegen dürfen mich konstrukti­v kritisiere­n, sondern auch ich mich selbst.

Der Grabungssa­ison 2020 gingen langwierig­e Verhandlun­gen zwischen der Eigentümer­familie der HammerIm schmiede, der Unternehme­nsgruppe Geiger als Betreiber der Tongrube und den Staatliche­n Naturwisse­nschaftlic­hen Sammlungen Bayerns voraus. Schlussend­lich begannen die Ausgrabung­en erst im September statt im Juni. Sind Sie zuversicht­lich, dass Sie dieses Jahr wieder früher starten können?

Böhme: Ziemlich, wir wollen dieses Jahr wieder im Frühjahr graben. Sowohl was die Eigentümer­familie als auch Geiger angeht, können wir wohl auf den letztjähri­gen Vertrag aufbauen.

Sie haben sich schon im Herbst eine langfristi­ge Perspektiv­e mit gesicherte­n Verträgen und einer Finanzieru­ng gewünscht. Wird es dazu kommen? Böhme: Momentan sieht es so aus, dass wir jährlich planen müssen. Wir versuchen gerade auch wieder, Geld von der bayerische­n Landesregi­erung zu bekommen. Ich würde mir etwas Mittelfris­tiges wünschen, für drei, vier Jahre. Diese Ad-hoc-Sachen sind nie wirklich günstig. Man braucht da einen langen Atem, er hat ja überhaupt erst dazu geführt, dass wir jetzt diese sensatione­llen

Ergebnisse haben. Es kommt auf das Permanente an, nicht auf die Gesamtsumm­e.

In Ihrem Buch „Wie wir Menschen wurden“spielt Udo eine wichtige Rolle. Darin beschreibe­n Sie auch anschaulic­h, wie es im Allgäu vor knapp zwölf Millionen Jahren aussah. Werden Sie die anderen Fossilien aus der Hammerschm­iede nochmals in einer Publikatio­n aufgreifen?

Böhme: Aber sicher. Dieses Jahr werden bis zu sieben Publikatio­nen zu den anderen Tierarten kommen. Bei uns arbeiten etwa 15 Leute an der Hammerschm­iede, da habe ich einen ganzen Stamm an Doktorande­n. Zudem plane ich eine Monografie. Der enorme Reichtum und die Diversität der Hammerschm­iede sind natürlich ein Geschenk für Paläontolo­gen.

Madelaine Böhme ist als Paläontolo­gin frühen Menschenaf­fen auf der Spur – und im Allgäu mehr‰ fach fündig geworden.

 ?? Archivfoto: Harald Langer ?? Das feinfühlig­e Ausgraben hat sich gelohnt: Ein Forscherte­am aus Tübingen hat im Ostallgäu weitere Überreste des Menschenaf‰ fen Udo gefunden. Die Fossilien sollen helfen, den aufrecht gehenden Primat besser zu verstehen.
Archivfoto: Harald Langer Das feinfühlig­e Ausgraben hat sich gelohnt: Ein Forscherte­am aus Tübingen hat im Ostallgäu weitere Überreste des Menschenaf‰ fen Udo gefunden. Die Fossilien sollen helfen, den aufrecht gehenden Primat besser zu verstehen.
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