Es ist noch Impfstoff da – wer will?
Die Vergabe des Vakzins ist streng geregelt. Eigentlich. Denn es gibt immer wieder Fälle, in denen Menschen geimpft werden, die nicht an der Reihe sind. Warum dies eine Frage des Pragmatismus sein kann
NeuburgSchrobenhausen Der Mann ist weder über 80 Jahre noch arbeitet er in einem Krankenhaus auf der Intensivstation. Doch er hat Beziehungen, sagt er. Seine Frau arbeitet in einem Altenheim, und da sei eines Tages im Rahmen einer Reihenimpfung eine Dosis übrig geblieben. Sie habe ihn angerufen, er sei in der Nähe gewesen – und so kam es, dass er mittlerweile geimpft ist, obwohl er noch längst nicht an der Reihe gewesen wäre.
Fälle wie diese sorgen in Zeiten der Impfstoffknappheit für kritische Nachfragen: Wie kann das sein, wo doch ganz klar geregelt ist, in welcher Reihenfolge das Vakzin vergeben wird? Vor allem, wenn es sich um populäre Menschen wie Landrat Stefan Rößle aus dem Landkreis
Donau-Ries und den Donauwörther OB Jürgen Sorré handelt, die beide bereits Anfang Januar geimpft wurden (siehe Seite 25), keimt bei manchen die Vermutung auf, dass das Impfsystem Schlupflöcher für Privilegierte bietet.
Dass dem – zumindest im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen – nicht so ist, betont die Sprecherin des Schrobenhausener Kreiskrankenhauses, das die Impfungen im Landkreis koordiniert. „Der Impfstoff, den wir bekommen, wird nicht verschachert und geht auch nicht an Menschen, die bessere Beziehungen als andere haben“, sagt Stefanie Schmid. Den begehrten Impfstoff bekomme nur derjenige, der nach der Priorisierungsliste der Ständigen Impfkommission auch an der Reihe sei. Und das sind im Augenblick über 80-Jährige, Bewohner von Pflegeheimen, deren Pflegekräfte sowie ausgewähltes Personal in medizinischen Einrichtungen mit besonders hohem Infektionsrisiko.
Von diesem Stufenplan würden die Impfteams auch nicht abweichen, wenn Impfstoff „übrig bleibt“. Das ist etwa dann der Fall, wenn in einer Pflegeeinrichtung weniger Bewohner geimpft werden können als angekündigt, weil jemand ins Krankenhaus musste oder krank wurde. Oder weil die Impfdosen rechnerisch nicht aufgehen, denn aus einem Fläschchen lassen sich sechs Portionen ziehen. Müssen also beispielsweise zehn Menschen geimpft werden, braucht es zwei Fläschen – wobei zwei Impfdosen übrigbleiben.
Angebrochen ist der Impfstoff von BionTech sechs Stunden haltbar, erklärt Bernhard Pfahler vom
BRK. Dann müsste er entsorgt werden. Weil das aber unter allen Umständen vermieden werden soll, greift das BRK in Fällen wie diesen auf eine Liste zurück, auf der medizinisches Personal aus den Krankenhäusern in Schrobenhausen und Neuburg steht. 144 Namen zählt die nach Alter geordnete Liste im Augenblick. Dabei handle es sich ausschließlich um Mitarbeiter aus jenen Bereichen, die laut Stufenplan auch priorisiert sind, sagt Stefanie Schmid. Kann also eine Impfdose nicht vollständig verimpft werden, dann rufen die Impfhelfer die „Ersatzpersonen“an, die dann sehr kurzfristig – meist innerhalb der nächsten Stunde – einspringen und geimpft werden. „Wir haben aber auch schon unsere eigenen Leute geimpft“, sagt Bernhard Pfahler, denn auch die BRK-Mitarbeiter der mobilen Impfteams haben in Stufe 1 ein Anrecht auf eine Impfung.
Nun kann es aber vorkommen, dass es mit einer Ersatzperson nicht so schnell klappt, wie gedacht. „Manche erreicht man nicht, andere können kurzfristig nicht“, beschreibt Stefanie Schmid das Szenario. Dann sei es „im Rahmen des Möglichen“, dass die Impfdosis an derzeit Unberechtigte gehe. Einen solchen Fall habe es genau einmal gegeben, bestätigt Pfahler. Für Stefanie Schmid ist dies eine „Frage des Pragmatismus“: Lieber einen Unberechtigten impfen, bevor eine Impfdosis weggeworfen wird.
Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sind übrigens derzeit weder Landrat Peter von der Grün noch OB Bernhard Gmehling geimpft. Beide wollen es aber tun, sobald sie an der Reihe sind.