Neuburger Rundschau

„Ich war schon immer emotional“

In der Schweiz haben sie Doug Shedden den „Vulkan“genannt. Aktuell hat der Trainer des derzeit so erfolgreic­hen ERC Ingolstadt keinen Grund auszubrech­en. Ein Gespräch über Hitzköpfig­keit, Witze auf Spielerkos­ten und die verbotene M-Frage. Heute gegen Stra

- VON FABIAN HUBER

Ingolstadt Entspannt schlendert Doug Shedden zum Interview-Termin. Mit seinen markigen Sprüchen und dem grimmigen Blick eilt dem 59-jährigen Chefcoach des ERC Ingolstadt der Ruf des harten Knochens voraus. Davon zeugen diverse Erzählunge­n und ein legendäres Youtube-Video, in dem Shedden 2016, als Coach des HC Lugano, im Finale der Schweizer Liga seinen Kontrahent­en Lars Leuenberge­r vom SC Bern zum Duell auffordert: „Du und ich - draußen!“.

Inzwischen wirkt der Kanadier kaum mehr aufbrausen­d. Mit den Jahren werde man schlauer, sagt Shedden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sein Team derzeit zur Avantgarde der Deutschen-Eishockey Liga (DEL) zählt. Jedenfalls kam Shedden im 45-minütigen Exklusiv-Interview mit der Neuburger Rundschau vor dem Heimspiel am Mittwoch (18.30 Uhr) gegen die Straubing Tigers fast ohne Kraftausdr­ücke aus.

Herr Shedden, wann haben Sie zum letzten Mal etwas durch die Kabine geschmisse­n?

Doug Shedden: (schmunzelt) Oh, ja! Das war vermutlich in Augsburg vor ein paar Jahren. Ich glaube, da habe ich die ganze Kabine auf den Kopf gestellt.

Während Ihrer Trainerzei­t in der Schweiz gaben die Medien Ihnen Spitznamen wie „Feuerkopf“und „Vulkan“. Was könnte damit gemeint sein?

Shedden: Das wusste ich gar nicht. Über die Jahre habe ich mit sehr viel Emotion gecoacht. Wenn ich mal mit den Armen fuchtelte, waren die Schiedsric­hter schon angepisst. Ich habe deshalb in der Schweiz oft empfindlic­he Geldstrafe­n kassiert. Eishockey ist ein Spiel, das Emotionen braucht. Es gibt Trainer, die 60 Minuten stillstehe­n und nichts tun. Ich war schon immer emotional. Ich rede viel hinter der Bande – wo der Puck hin soll, wer frei ist, ob das jetzt ein Zwei-auf-Eins-Konter ist. Als Spieler hast du oft nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu entscheide­n. Da will ich helfen und seine Ohren zu Augen machen. Aber klar, es gab ein paar Vorfälle in meiner Trainerkar­riere, auf die ich heute nicht stolz bin.

Viele Gründe, sich zu ärgern, haben Sie aktuell auch nicht. Der ERC Ingolstadt liegt auf Platz zwei der SüdGruppe und Mannheim damit dicht auf den Fersen. Der Vulkan muss gerade nicht ausbrechen...

Shedden: Auf dem Weg zu unserem Interview habe ich gerade darüber nachgedach­t. Es gibt keinen Druck.

Das Team spielt großartig. Es macht Spaß, diese Truppe zu trainieren. Sie arbeiten jeden Tag sehr hart. Ich finde wirklich nichts Negatives, über das ich sprechen könnte. Das Powerplay läuft heiß, unsere Unterzahl-Formatione­n spielen großartig. Nico Daws, unser Rookie-Torhüter, hat zuletzt zu Null gespielt. Michael Garteig ist einer der besten Goalies der Liga. Es gibt nichts Negatives, nichts!

Ihre Bullyquote vielleicht? Da liegen Sie mit etwas über 48 Prozent ligaweit auf Rang elf.

Shedden: Hm, mittelmäßi­g. Nicht großartig, nicht schrecklic­h. Aber ernsthaft: keine Corona-Fälle, toi toi toi. Wir haben eine kleine Serie gestartet. Es besteht überhaupt kein Druck.

Die These, dass Ingolstadt in diesem Jahr mit den beiden Topteams Mannheim und München mithalten könnte, nannten Sie vor der Saison „Bullshit“. Lagen Sie falsch?

Shedden: Ich finde immer noch, dass wir das Pferd nicht von hinten aufzäumen sollten. Wir haben nur 13 Partien gespielt. Lasst uns nichts überstürze­n. Wir sind glücklich mit unserer Leistung. Aber sprechen wir nicht über Meistersch­aften und darüber, dass wir besser als Mannheim oder München sind. Es ist noch nicht die Zeit dafür. Ich will das gar nicht hören.

Lassen Sie uns kurz einen Blick auf die Mannschaft­steile werfen. Im Tor stehen Garteig und Daws - ein Upgrade zur Vorsaison?

Shedden: Daws ist ein junger Bursche, er ist 20 Jahre alt. Nichts gegen Timo Pielmeier oder Jochen Reimer (die letztjähri­gen Torhüter, Anm. d. Red.), aber Garteig ist einfach großartig. Das gibt den Vorderleut­en so viel Vertrauen, wenn du einen Typen im Tor stehen hast, der bei zehn Partien immer noch eine Fangquote von 94 Prozent hat. Das ist unfassbar.

Sportdirek­tor Larry Mitchell sagte, es sei undenkbar, Maury Edwards zu ersetzen, der im Vorjahr zum besten Verteidige­r der Liga ausgezeich­net wurde. Seine Leistungen sollten auf die Schultern von Ben Marshall, Morgan Ellis und Mat Bodie verteilt werden. Es klappte. Seine ewige Schwachste­lle – die Defensivle­istung – scheint der ERC Ingolstadt nun endgültig losgeworde­n zu sein...

Shedden: Bodie, Marshall, Ellis, auch Emil Quaas – diese neuen Jungs machen einen fantastisc­hen Job. Natürlich war Edwards großartig. Es war schwer, ihn zu ersetzen, vor allem im Powerplay. Aber ich glaube, das haben wir geschafft. Ville Koistinen hatte ein schlechtes Jahr, Sean

Sullivan seine schlimmste Saison überhaupt. Dustin Friesen wusste, dass er wahrschein­lich aufhören wird und war deshalb nicht so effektiv. Wir haben uns in der Abwehr unglaublic­h verbessert.

Im Sturm zehren Sie von einer enormen Tiefe. Wer hat Sie am meisten überrascht? Wer kann noch besser spielen?

Shedden: Ich dachte nie, dass wir Daniel Pietta kriegen. Er hatte natürlich einen harten Start mit seiner Sperre, aber allein seine Traumpässe zuletzt zeigen, was er kann. Auch Justin Feser war eine echte Überraschu­ng. Er ist ein sehr guter Eishockeys­pieler. Und natürlich ist es auch schön zu sehen, dass Tim Wohlgemuth nochmals einen großen Schritt gegangen ist. Petrus Palmu kann noch sehr viel besser sein. Das heißt nicht, dass er nicht gut spielt. Aber seine Reihe muss auf Puckverlus­te an der gegnerisch­en blauen Linie aufpassen und er muss sich im Abschluss verbessern. Das trifft auch auf Ryan Kuffner zu. Er hat sehr, sehr gut gespielt, aber seine Statistike­n sind schrecklic­h.

War die Sperre von Pietta aus sportliche­r Sicht Glück im Unglück? Vermutlich hätten Sie sonst nie Ihre TopReihe um Wayne Simpson, Mirko Höfflin und Wohlgemuth gefunden...

Shedden: Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Simpson in dieser Reihe bleibt. Ich kann mir immer noch gut vorstellen, dass er in der Zukunft mit Pietta spielt. Aber an der Sache, die Pietta getan hat, ist sicher nichts positiv.

Sie sprechen ab und an recht harsch über Ihre Spieler in der Öffentlich­keit. Denken Sie, damit könnte der ein oder andere ein Problem haben?

Shedden: Wenn ich etwa sage, dass Bodie einen Körper hat wie ein Badminton-Spieler?

Zum Beispiel. Oder dass die Großchance­n, die Louis-Marc Aubry hatte, sogar Ihre Großmutter verwandelt hätte.

Shedden: Ich glaube nicht, dass ich mich für solche Sprüche bei den Jungs entschuldi­gen müsste. Ich mache nur Witze. Spieler, die mich gut genug kennen, wissen, dass das nicht so ernst gemeint ist.

Sie sitzen nie in der Trainerkab­ine und denken sich: Verdammt, das hätte ich öffentlich vielleicht nicht sagen sollen? Shedden: Ich will keine schlechten Dinge vor den Medien sagen. Wenn ich jemandem klarmachen muss, dass er schlecht spielt, dann mache ich das lieber hinter verschloss­enen Türen. Ich suche gerne das Vier-Augen-Gespräch mit meinen Spielern.

Aber natürlich muss man Fragen auch, so ehrlich es geht, beantworte­n. Und ich denke, ich habe genug Erfahrung, dass ich nicht mehr öffentlich sage: ‚Der Typ war heute komplett mies’, sondern eher: ‚Er hätte heute besser spielen können.’

Wie finden Sie diese Corona-Saison im Allgemeine­n?

Shedden: Nummer eins: Ohne Fans ist es einfach nicht dasselbe. Unsere Anhänger bringen so viel Atmosphäre, Emotionen und Energie in die Halle. Sie machen diesen Sport aus. Die Fans schreiben mir auf Facebook, wie gerne sie bei einem 8:0 gegen Nürnberg im Stadion gewesen wären. Es ist schon traurig. Das ganze andere Zeug wird einfach Teil deiner täglichen Routine. Wir testen viel, da machen wir einen großartige­n Job. Man kommt in die Halle, geht einkaufen, schaut Fernsehen. Gott sei Dank läuft jeden Abend Eishockey. Das ist mein Highlight des Tages, ungelogen. Ich kann von zuhause arbeiten und mich auf die Gegner vorbereite­n (lacht). Kein Team sollte irgendwelc­he Geheimniss­e voreinande­r haben. So viel Eishockey habe ich noch nie geschaut.

Normalerwe­ise hätten Sie wegen der Deutschlan­d-Cup-Pause ein paar freie Tage einlegen können. Das fiel nun flach. Sie gehen privat gerne ins Fitnessstu­dio.

Auch das ist zu. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag? Shedden: Ich habe meine vier Monate alte Enkelin noch nie gesehen und meinen Enkel, der über zwei ist, nicht, seit er drei Monate alt war. Ich wäre während der Pause wahrschein­lich am liebsten für fünf Tage nach Toronto in meine kanadische Heimat geflogen. Oder nach Florida zu meiner Frau. Aber dann hätte ich ja wieder in Quarantäne gemusst. Man sitzt nur zu Hause herum. Gestern habe ich mich ins Auto gesetzt, um mir die Königsschl­össer in Füssen anzusehen. Einfach, um mal etwas anderes zu sehen. Es war echt schön.

Sie sind jetzt schon recht lange beim ERCI. Was verbindet Sie mit der deutschen Kultur, mit Ingolstadt? Shedden: Es ist einfach sehr cool, in Europa zu leben. Im Gegensatz zu Nordamerik­a sieht hier alles 1000 Jahre alt aus. Ich mag die europäisch­e Kultur. Es gibt so viele Veranstalt­ungen und Eigenheite­n, die jedes Land anders macht. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht viele Freunde hier außerhalb des Sports. Also ein paar Leute gibt es schon, mit denen man mal abhängt. Aber irgendwie haben sich bisher nicht so viele Gelegenhei­ten ergeben, neue Leute kennenzule­rnen.

Dafür klappt es mit Ihrem Deutsch besser, haben Sie mal erzählt. Shedden: Es ist ein täglicher Prozess. Ich höre gerne zu, wenn das Radio läuft oder unsere deutschen Spieler untereinan­der reden. Da saugt man viel auf. Sätze zusammenzu­bauen ist nicht einfach, aber ich kenne sicher viele Wörter.

Wollen Sie die letzte Frage auf Deutsch versuchen?

Shedden: Wenn ich das kann.

Sie wird Ihnen nicht gefallen. (Auf Deutsch) Hat der ERC Ingolstadt in diesem Jahr eine realistisc­he Chance auf die Meistersch­aft?

Shedden: (auf Englisch) Ob wir eine Chance haben zu gewinnen? Nochmals, ich will überhaupt nicht darüber sprechen. Bei all dem Mist, der zurzeit auf der Welt abläuft, war diese Saison bisher eine wirkliche Freude. Aber es ist noch so früh. So viele Dinge müssen zusammenpa­ssen. Könnte es passieren? Könnten Mannheim oder München ein paar Verletzte bekommen und wir laufen heiß, Garteig im Tor läuft heiß? Ja, alles ist möglich. Aber ich will das nicht hören. Ich weiß, dass einige Leute darüber sprechen. Verzieht euch! Haltet die Klappe!

● Das komplette Interview gibt es in unserem Online-Special unter www.neuburger-rundschau.de/erci.

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Foto: Johannes Traub In seinem Element: Ingolstadt­s Cheftraine­r Doug Shedden (hinten) bezeichnet sich selbst als Coach, der hinter der Bande viel re‰ det und kommunizie­rt.

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