Neuburger Rundschau

Haarscharf am Aufstand vorbei

Pandemie Wie der Friseur zum Sehnsuchts­ort der Deutschen wurde

- VON MICHAEL STIFTER

Und, haben Sie schon einen Termin? Nein, nicht zum Impfen. Das kann ja noch warten. Aber die Haare nicht. Fast hatte man in den letzten Tagen das Gefühl, die Menschen vermissen nichts so sehr an ihrem alten Leben wie den Friseur. Nun also die erlösende Nachricht: Die Bierbar um die Ecke bleibt zu, der Barbier macht wieder auf. Halleluja! Ähnlich groß dürfte die gesamtdeut­sche Euphorie zuletzt im Frühjahr gewesen sein, als die Klopapierv­ersorgung doch noch sämtlichen Bedürfniss­en gerecht wurde und das „Volksbegäh­ren“nach Hefe gestillt war. Der Deutsche hat es eben gerne ordentlich. Auch auf dem Kopf. An den Haaren der Kollegen, die man ja nur noch per Videokonfe­renz zu sehen bekommt, lässt sich gut ablesen, wie lange dieser Lockdown schon dauert. Ein paar verlieren zwischendr­in die Nerven und greifen selbst zum Schneidewe­rkzeug. Der Rest ist der wachsenden Verwahrlos­ung schutzlos ausgeliefe­rt.

Für die Politik wird die Angelegenh­eit zum Ritt auf der Rasierklin­ge. Als der bayerische Ministerpr­äsident gepflegtes Haupthaar schließlic­h zu einer Frage der Menschenwü­rde erklärt, ist die Sache gelaufen. Am Ende schrammen die Regierende­n um Haaresbrei­te am Volksaufst­and vorbei. Bleibt die

Frage, wie Friseursal­ons zum neuen Sehnsuchts­ort der Deutschen werden konnten. Möglicherw­eise steckt mehr dahinter als Eitelkeit. Gerade in diesen Zeiten braucht der kontaktbes­chränkte Mensch schließlic­h jemanden, der auch dann noch zuhört, wenn alle anderen längst abgeschalt­et haben. Und es heißt ja nicht umsonst: „Das kannst du deinem Friseur erzählen.“Ab 1. März dürfen die Salons also endlich wieder öffnen. Dann wird es zwischen Waschen, Schneiden und Legen viel zu erzählen geben. Wir haben schon vorab mit einem Friseur geplaudert. Was er sagt, steht auf

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