Neuburger Rundschau

Die Macht‰Frage

Corona‰Gipfel Beim Treffen mit den Ministerpr­äsidenten kann Kanzlerin Merkel ihre Vorstellun­gen nur bedingt umsetzen. Sie muss jetzt drei Wochen warten, bevor sie wieder auf die Pandemie reagieren kann

- VON CHRISTIAN GRIMM UND STEFAN LANGE

Berlin Als die Kanzlerin zur Regierungs­erklärung vor das Parlament tritt, merkt man ihr die Strapazen des vorherigen Tages nicht an. Einen 15-Stunden-Mittwoch hat sie hinter sich, fünf Stunden davon musste sie mit den Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten über die Corona-Lage verhandeln. Das Ergebnis bleibt hinter ihren Vorstellun­gen, nicht aber hinter ihren Erwartunge­n zurück.

Die CDU-Politikeri­n hat geahnt, dass die Mehrheit der Länder für zügige Lockerunge­n eintreten und vor allem auf eine schnelle Öffnung von Schulen und Kitas bestehen wird. Der Kanzlerin gefällt das nicht. Genauso wenig wie das Medienecho, das sie der sogenannte­n Kanzlermap­pe entnehmen kann, die noch vor dem ersten Hahnenschr­ei jeden Morgen für sie zusammenge­stellt wird. Merkel habe nachgegebe­n, sich nicht durchsetze­n können, heißt es da unter anderem. Die Kanzlerin hingegen weiß, dass mehr einfach nicht drin war.

Vor dem Bundestag wiederholt sie am Donnerstag ihr Hauptargum­ent, mit dem sie auch beim BundLänder-Treffen vergeblich für einen noch längeren Lockdown geworben hatte. Verborgen unter den aktuell sinkenden Corona-Zahlen baue sich die aggressive­re Virusvaria­nte auf, sagt sie und spricht von einer „sehr realen Gefahr“in Form von Virusmutat­ionen.

Am Abend zuvor hatte sie gemeinsam mit den Ministerpr­äsidenten beschlosse­n, dass die einschneid­enden Beschränku­ngen der persönlich­en Freiheit bis 7. März fortgesetz­t werden. Merkel wäre gerne noch weiter in den Monat hineingega­ngen, aber sie scheitert am Widerstand von Ministerpr­äsidentinn­en wie Malu Dreyer. Die SPD-Politikeri­n aus Rheinland-Pfalz ist sauer, wie es aus Verhandlun­gskreisen heißt. Dreyer habe auf den „Pandemiefr­ust“der Bevölkerun­g hingewiese­n und sich vehement für eine Öffnungspe­rspektive und zügige Lockerunge­n eingesetzt. Möglicherw­eise hat das damit zu tun, dass in vier Wochen in ihrem Bundesland gewählt wird. Dreyer bekommt Zustimmung aus Ländern wie Berlin oder Mecklenbur­g-Vorpommern. Hamburg und Bayern halten zwar dagegen, doch am Ende muss Merkel zusehen, wie die Länder auf ihrer Entscheidu­ngshoheit bei Kitas und Schulen bestehen und die gewünschte bundesweit einheitlic­he Regelung nicht zustande kommt.

In ihrer Regierungs­erklärung verhehlt Merkel nicht, dass Schulen und Kindergärt­en aus ihrer Sicht noch länger geschlosse­n bleiben sollten. Sie kann das gut begründen. Nach einer Analyse der Technische­n Universitä­t Berlin ist die Gefahr, dass sich die Kinder im Klassenzim­mer gegenseiti­g anstecken, besonders groß. In einer Oberschulk­lasse liegt selbst bei halber Belegung und Maskenpfli­cht der Ansteckung­swert R bei 5,8. Das heißt, ein infizierte­r Schüler steckt sechs weitere an. In

Theater, Museen und Oper liegt der Ansteckung­swert bei 40 Prozent Auslastung laut TU Berlin nur bei 0,6, im Supermarkt bei 1,0.

„Wir müssen ausdauernd sein, wir müssen geduldig sein“, appelliert die Kanzlerin am Donnerstag im Bundestag an die Bürger. Eine Überforder­ung der Krankenhäu­ser müsse unbedingt vermieden werden, sagt sie, verteidigt ihren Wirtschaft­sminister Peter Altmaier gegen Kritik wegen verschlepp­ter Hilfszahlu­ngen und spart den Impfstoff-Schlamasse­l gekonnt aus.

Eines macht Angela Merkel klar, unmissvers­tändlich: Die Verantwort­ung dafür, dass die Menschen in Deutschlan­d seit Monaten unter drastische­n Corona-Beschränku­ngen leiden und wegen aggressive­r Mutanten eine dritte Infektions­welle droht, will sie nicht allein tragen. Die Kanzlerin sagt immer „Wir“, als sie in ihrer Regierungs­erklärung zu den Lehren kommt, die gezogen werden müssten. Jeder im Hohen Haus dürfte verstehen, wen Merkel mit ihrem „Wir“vor allem meint: die Ministerpr­äsidentinn­en und Ministerpr­äsidenten.

Kurz blickt sie auf den Sommer zurück, in dem man nach der ersten Corona-Welle wieder leichter habe leben können, „bei Inzidenzen, die heute traumhaft erscheinen“. Nur drei oder vier Ansteckung­en über sieben Tage auf 100000 Einwohner.

Merkel nimmt Minister‰ präsidente­n in die Pflicht

Aktuell sind es gut 64. Doch dann, „dann waren wir nicht vorsichtig genug und nicht schnell genug“, klagt Merkel. „Wir haben auf die Anzeichen der zweiten Welle und die Warnungen verschiede­ner Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler hin nicht früh und nicht konsequent genug das öffentlich­e Leben wieder herunterge­fahren.“Ein direkter Vorwurf ist aus Merkels Mund natürlich nicht zu hören. In getragenem Ton wirbt die Kanzlerin darum, auch diese Verlängeru­ng des Lockdowns mitzutrage­n

Für den 3. März ist das nächste Treffen mit den Länderchef­s angesetzt. Man werde dann natürlich weitere Fragen besprechen, sagt Merkel. Vor allen Dingen werde es aber darum gehen, „die Situation zu analysiere­n“. Das kann wie eine Drohung aufgefasst werden. Merkel wird die nächsten Tage sehr aufmerksam die Kurve der Neuinfekti­onen verfolgen. Sollte die nach oben gehen, steht den Ministerpr­äsidenten eine sehr ungemütlic­he Besprechun­g bevor.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Mit Wasser, Raute und vielen Notizen: Die Ministerpr­äsidenten der Länder haben der Kanzlerin erneut gezeigt, wo die Grenzen ihrer Macht liegen. Doch Merkel spielt den Ball zurück.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Mit Wasser, Raute und vielen Notizen: Die Ministerpr­äsidenten der Länder haben der Kanzlerin erneut gezeigt, wo die Grenzen ihrer Macht liegen. Doch Merkel spielt den Ball zurück.

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