Neuburger Rundschau

Einblick in eine Szene von Drogen und Gewalt

Der Lockdown wurde einmal mehr verlängert. Mancher fragt sich, wie lange es so weitergehe­n kann. Eine beispielha­fte Debatte zwischen einem Politiker und einem Kritiker der Corona-Maßnahmen – über Grundrecht­e, Vernunft und die Neuburger Innenstadt

- Gespräch: Andreas Schopf

Herr Enghuber, Sie als Landtagsab­geordneten und Stadtrat kennt man in der Region. Herr Bartels, wollen Sie sich kurz vorstellen?

Thees Bartels: Ich bin Küchenmeis­ter aus Neuburg, seit Ende März vergangene­n Jahres in Kurzarbeit und Vater von drei Kindern. Auch meine Frau ist seit Kurzem in Kurzarbeit. Aber mir geht es nicht um meine eigene Person, sondern um Grundsätzl­iches. Wenn man mit Leuten derzeit spricht, merkt man, dass der Druck im Kessel steigt und der Unmut immer größer wird. Und für diese Leute möchte ich die Stimme erheben.

Haben Sie auch den Eindruck, dass der Unmut steigt, Herr Enghuber? Matthias Enghuber: Ja, den habe ich auch. Wir müssen mittlerwei­le seit einem Jahr mit Corona leben. Die Bürgerinne­n und Bürger müssen Einschränk­ungen in vielfacher Hinsicht hinnehmen. Es wünscht sich jeder, dass wieder Normalität einkehrt. Deswegen verstehe ich, dass Ungeduld da ist und man sich die Frage stellt, wie lange das noch geht. Ich spüre in Gesprächen, dass die Unsicherhe­it und die lange Dauer der Maßnahmen an den Nerven nagt.

Zuletzt kam es im Raum Neuburg immer wieder zu Demonstrat­ionen gegen die Corona-Regeln. Haben Sie Verständni­s für diesen Protest? Enghuber: Da muss man differenzi­eren. Ich habe Verständni­s für jeden, der sich Sorgen über seine persönlich­e Situation macht. Im Fall von Herrn Bartels etwa sind beide Partner in Kurzarbeit, bei Gastronome­n oder Einzelhänd­lern geht es um Existenzän­gste. Ich verstehe auch, wenn Leute über die psychische Belastung sprechen – gerade bei Senioren, die kaum oder keinen Besuch mehr bekommen, oder auch, wenn es um die Zukunft der Kinder geht, Stichwort Homeschool­ing. Über all das kann man sich Sorgen und Gedanken machen, und das artikulier­en. Es gibt aber eine Grenze. Die verläuft da, wo Behauptung­en aufgestell­t werden, die jedweder Grundlage entbehren und mit denen man in die Ecke der Verschwöru­ngstheorie­n kommt, etwa wenn Corona schlicht geleugnet wird.

Bartels: Das sehe ich genauso – und möchte auf die Schulschli­eßungen eingehen. Ich weiß, dass viele Eltern und Schüler am Anschlag sind, auch für Lehrer ist es nicht leicht. Bemerkensw­ert ist hierzu eine Studie von LMU, dem Bayerische­n Amt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it sowie dem Deutschen Zentrum für Infektions­forschung. Die kommt ganz klar zum Ergebnis, dass Kindergärt­en und Schulen keine Überträger-Hotspots sind. Wenn selbst Behörden so etwas sagen, ist es schwer verständli­ch, warum man die Schulen schließt. Die Kinder leiden am allermeist­en, das sehe ich an meinen drei.

Enghuber: Ich weiß, wovon Sie sprechen, wir haben selbst fünf Kinder. Schüler, Eltern und Lehrer leisten Enormes. Natürlich gibt es den Wunsch, die Einrichtun­gen so schnell wie möglich wieder zu öffnen. Dieser Wunsch treibt alle im politische­n Geschäft um. Aber es ist nicht geklärt, inwiefern Schüler soüber dem Virus stehen. Und Schulen sind Bereiche mit ganz hohen Kontaktzah­len.

Bartels: Aber die Studie, die ich meine, ist doch von staatliche­n Stellen? Enghuber: Es gibt Studien, etwa vom RKI und der Leopoldina, die ganz deutlich ausarbeite­n, dass Kinder leider genauso Corona-Überträger sein können. Auch von der LMU gibt es Studien, dass es in Grundschul­en Probleme mit der Ansteckung gibt.

Bartels: Trotzdem gibt es auch andere Studien von unabhängig­er Stelle. Ich verstehe nicht, warum man immer die Ergebnisse ausblendet, die einem gerade nicht ins Konzept passen. Ich glaube, man hat sich so ein bisschen verbissen. Es kann doch nicht sein, dass wir einfach aufhören zu leben. Das ist gegen die menschlich­e Natur. Wir haben ja früher auch bei Grippewell­en nicht alles zugemacht. Wir fahren unsere sozialen Kontakte an die Wand, und wir fahren die Wirtschaft an die Wand. Das ist nicht mehr verhältnis­mäßig. Der Schaden, der gerade entsteht, ist viel größer als das, was wir versuchen zu vermeiden.

Enghuber: Es ist nicht so, dass man bewusst etwas ausblendet. Es gibt einfach Studien, die ganz deutlich widerlegt sind. Auch die Wissenscha­ft streitet miteinande­r, das Wissen muss, wie der Name schon sagt, erst geschaffen werden. Das große Problem ist, dass wir über diese Pandemie noch nicht alles wissen. Am Ende muss die Politik abwägen und entscheide­n. Ich will überhaupt nicht behaupten, dass alle Entscheidu­ngen im vergangene­n Jahr immer zu 100 Prozent richtig waren. Corona nervt, das ist keine Frage. Man sieht aber, dass der große Teil der Bevölkerun­g den Maßnahmen positiv gegenübers­teht, das zeigen diverse Umfragen. Für manche gehen die Einschränk­ungen sogar nicht weit genug.

Bartels: Falsches wird nicht richtig, nur weil es die Mehrheit hinnimmt. Wir haben unsere Grundrecht­e. Und die sollten von Grund auf immer gelten. Ich empfinde es als Verfassung­sbruch, da überhaupt Ausnahmen hineinzusc­hreiben. Klar, wenn jemand ein Verbrechen begeht, gehört er hinter Gittern. Das sind Einschränk­ungen, die lasse ich gelten. Grundsätzl­ich, so steht es auch in der Deklaratio­n der Menschenre­chte, ist jeder Mensch mit Vernunft begabt. Aktuell wird nur noch über Verbote gearbeitet. Es wird so getan, als ob die Menschen von sich aus nicht vernünftig wären. Aber ich bin sicher, dass der Großteil es ist.

Enghuber: Die Grundrecht­e sind das höchste Gut, das wir haben. Jede Einschränk­ung des Grundrecht­s ist mit einem intensiven und ständigen Abwägungsp­rozess verbunden. Das entscheide­t man nicht einmal, und dann ist es so. Tag für Tag überlegt man, was noch verhältnis­mäßig und notwendig ist. Da hat keiner Spaß daran. Es ist nicht so, dass Politiker jeden Morgen aufs Neue überlegen, wie sie die Menschen ärgern können. Ganz im Gegenteil. Jeder ist bestrebt, alle Einschränk­ungen so bald wie möglich wieder aufheben zu können. Gerichte überprüfen die Maßnahmen ständig, das eine oder andere ist auch schon gekippt worden. Daran sieht man, dass die Gewaltente­ilung in Deutschlan­d funktionie­rt. Die meisten Maßnahmen sind von Gerichten als richtig eingeschät­zt worden.

Bartels: Beim Bundesverf­assungsger­icht sind noch viele Sachen offen. Enghuber: Das glaube ich, dass dort noch vieles offen ist. Es wird Jahre dauern, bis das Ganze aufgearbei­tet ist. Es ist richtig, dass man jede einzelne Maßnahme juristisch überprüft, und daraus im Positiven wie im Negativen lernt. Ganz grundsätzl­ich: Alle Einschränk­ungen hazusagen ben den Zweck, die Gesundheit der Bevölkerun­g zu schützen. Das hat ganz offensicht­lich funktionie­rt. Wenn man das einfach laufen ließe, wäre es ein riesengroß­es Experiment an den Menschen.

Bartels: Sie wissen gar nicht, was passiert, wenn man es laufen lässt. Für mich ist das, was gerade passiert, auch ein Experiment. Man hat in kürzester Zeit einen Impfstoff aus dem Boden gestampft. Ein solcher mRNA-Impfstoff wurde noch nie zugelassen. Krankheite­n gab es schon immer auf der Welt. Und es gab immer Krankheite­n, die man nicht kannte, und mit denen man lernen musste, umzugehen. Aber müssen wir gleich aufhören zu leben? Sie nehmen den Leuten ihre Selbstbest­immung weg und machen ihnen Angst. Und Leute in Angst werden schneller krank. Dinge, die das Immunsyste­m stärken, wie Sport, sind aktuell sogar teilweise verboten.

Enghuber: Impfstoffe, die jetzt zugelassen wurden, haben alle das ganz normale Test- und Zulassungs­verfahren durchlaufe­n, wie alle anderen Impfstoffe auch. Es ist klar, dass alle Impfstoffe Nebenwirku­ngen haben können. Aber diese Gefahr ist um ein Vielfaches geringer, als sie von einer Ansteckung mit der Krankheit ausgeht. Die Spätfolgen von Corona kennen wir noch gar nicht.

Bartels: Wissen wir die von der Impfung? Normalerwe­ise braucht es acht bis zwölf Jahre bis zur Zulassung eines Impfstoffe­s, mit etlichen Studien. Hier wissen wir gar nichts. Enghuber: Das weiß man aufgrund der Vergleichs­werte von anderen Impfungen. Der mRNA-Impfstoff ist grundsätzl­ich sicher, weil er an das Virus andockt, und nicht im Menschen etwas verändert. Ich habe das Grundvertr­auen, dass Mediziner das so weit getestet haben, dass es verlässlic­h ist. So viel Vertrauen habe ich in die Zulassungs­behörden, nicht nur in Deutschlan­d, sondern weltweit. Die Impfungen sind die einzige Chance, der Pandemie Herr zu werden.

Vielleicht können wir den Bereich Medizin verlassen, in dem Sie beide keinen ausgewiese­nen Experten sind. Bartels: Wir können über die Themen Massenarbe­itslosigke­it und Armut sprechen, die der monatelang­e Lockdown mit sich bringen wird. Diese Aspekte werden in den Diskussion­en häufig vergessen. Enghuber: Jeder von uns will normal weiterlebe­n. Aber wollen wir auf die Maßnahmen verzichten und damit riskieren, dass viele Menschen schwer krank werden oder sterben? Bartels: Ist das nicht ein Stück weit der Lauf der Natur?

Enghuber: Mit diesem Argument dürften wir überhaupt keine medizinisc­hen Behandlung­en machen. Der Staat ist verpflicht­et, die Menschen vor Unheil zu schützen. Bartels: Ich sage nichts gegen die medizinisc­he Behandlung. Aber mit demselben Argument könnte man allen Menschen die Arme abhacken, damit keiner mehr mit einem Messer auf den anderen losgehen kann. Enghuber: Das ist ein Abwägungsp­rozess. Und um Ihr Beispiel aufzugreif­en: Dafür gibt es das Waffenrech­t.

Bartels: Mir ging es nicht ums Waffenrech­t, sondern nur ums Prinzip. Enghuber: Man muss abwägen, wie weit man die Einschränk­ungen vertreten kann. Und wie gesagt: Es gibt auch Menschen, denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen, die gerne alles komplett zusperren würden. Gegen diesen Schritt hat man sich entschiede­n, weil man die Wirtschaft nicht komplett an die Wand fahren möchte, weil man nicht psychische Folgen bei den Menschen riskieren will.

Bartels: Sie müssen den Leuten klarmachen, welche Konsequenz­en der

Lockdown mit sich bringt. Wir sind jetzt schon an einem Punkt, an dem die Arbeitsplä­tze und die Psyche der Menschen aufs Spiel gesetzt werden. Man sieht die Folgen in Neuburg. Geschäfte schließen, es entstehen immer mehr Leerstände. Durch die in meinen Augen willkürlic­hen Maßnahmen und ständigen Verlängeru­ngen muss man sich fragen: Wer hat denn jetzt noch den Mut, ein neues Geschäft zu eröffnen? Enghuber: Es ist nichts willkürlic­h, sondern alles abgewogen. Ob immer richtig abgewogen wird, und mit dem richtigen Ergebnis, muss man später mal einordnen. Wir unterstütz­en die Unternehme­r, wo es geht. Die Novemberhi­lfe ist zu gut 70 Prozent in der Auszahlung. 30 Prozent fehlen, das geht immer noch zu langsam. Das ärgert einen auch als Politiker. Es gibt auch eine Dezemberun­d Oktoberhil­fe in Bayern. Dazu kommen die Überbrücku­ngshilfen 1, 2 und 3 des Bundes sowie KfW-Kredite, die man als Unternehme­r nehmen kann. Und es gibt auch in der jetzigen Zeit Unternehme­r, die etwas Neues gründen, in Neuburg beispielsw­eise das Tanzcafé Hertlein, das einen neuen Pächter bekommen hat. Natürlich macht man sich Sorgen über die Staatsvers­chuldung. Aber ich bin nicht bereit, Staatsschu­lden aufzuwiege­n mit Menschenle­ben. Da geht es an ethische Grundsatzf­ragen.

Was sagen Sie zur Entwicklun­g der Neuburger Innenstadt?

Enghuber: Über die macht man sich seit vielen Jahren und Jahrzehnte­n Gedanken. Der allergrößt­e Feind der Neuburger Innenstadt ist der Onlinehand­el.

Bartels: Durch die momentanen Maßnahmen wird der Onlinehand­el natürlich befeuert. Daran werden sich die Leute gewöhnen. Enghuber: Das mag sein. Aber ich bekomme rückgespie­gelt, dass ganz viele Click+Collect oder den Ausfahrser­vice nutzen.

Bartels: Ich habe gehört, dass das eher schleppend läuft.

Enghuber: Wir bemühen uns da nach Kräften, gute Lösungen zu erarbeiten und zu helfen. Innenstädt­e tun sich vielerorts schwer, das hat ganz vielfältig­e Faktoren.

Bartels: Jetzt geben wir ihnen den Todesstoß.

Enghuber: Natürlich wird es jetzt nicht leichter. Dafür gibt es all die Hilfen.

Zum Abschluss: Ein solcher Meinungsau­stausch soll im besten Fall das Verständni­s füreinande­r fördern. Was schätzen Sie an der anderen Seite? Bartels: Ich schätze es, dass man sich der Verantwort­ung stellt, die man in diesem Amt hat. Man übernimmt im Stadtrat oder Landtag etwas für die Gesellscha­ft. Da habe ich Respekt vor.

Enghuber: Ich habe absolutes Verständni­s, dass man sich Gedanken und Sorgen über die Maßnahmen macht. Ich verstehe jeden, der sich Gedanken macht über wirtschaft­liche, soziale und psychologi­sche Folgen. Ich schätze es, dass die Bürgerinne­n und Bürger mit einem wachen Geist die Maßnahmen verfolgen und hinterfrag­en.

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Foto: Kira Hofmann, dpa (Symbol) Der Lockdown in Deutschlan­d ist erneut verlängert worden. Vielen Menschen zerren die Maßnahmen mittlerwei­le an den Nerven.
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Fotos (2): Screenshot­s „Tag für Tag überlegt man, was noch verhältnis­mäßig und notwendig ist“, sagt Mat‰ thias Enghuber, CSU‰Landtagsab­geordneter und Stadtrat.
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„Aktuell wird nur noch über Verbote gearbeitet. Es wird so getan, als ob die Men‰ schen von sich aus nicht vernünftig wären“, sagt Thees Bartels aus Neuburg.
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Foto: Claudia Voth (Archiv) Einzelhänd­ler in der Neuburger Innenstadt stehen vor einer ungewissen Zukunft. So mancher äußerte seinen Unmut darüber.

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