Neuburger Rundschau

Vor 200 Jahren war im Marstall das Impfzentru­m

In Neuburg wurde bereits vor mehr als 200 Jahren gegen ein gefährlich­es Virus geimpft. Herzogin Amalies Leibarzt Dr. Karl Möllenthie­l engagierte sich damals für die „Schutzpock­en-Impfung. Eine Erinnerung daran von Dr. Margit Vonhof-Habermayr

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Da uns zur Zeit das Thema „Impfungen“sehr bewegt, dürfte es sicherlich interessan­t sein zu erfahren, dass in Neuburg schon vor mehr als 200 Jahren gegen ein gefährlich­es Virus geimpft wurde. Es handelte sich dabei um die gefürchtet­en Pocken, die bei den Erkrankten zu körperlich­en Entstellun­gen und in vielen Fällen auch zum Tod führen konnten. Dem Leibarzt von Herzogin Amalie, Dr. Karl Möllenthie­l, kam eine überaus wichtige Rolle im Kampf gegen die heute als ausgerotte­t geltende Pockenseuc­he zu. Hier die Geschichte.

Neuburg Schon Jahre bevor unter König Max I. Joseph am 26. August 1807 in Bayern – als dem ersten Land weltweit – die gesetzlich­e Impfpflich­t gegen die Pocken erlassen wurde, hatte Dr. Karl Möllenthie­l, der Leibarzt der Herzoginwi­twe Maria Amalie, in der ehemaligen Residenzst­adt Neuburg an der Donau damit begonnen, die dortigen Kinder zu impfen. In seiner Eigenschaf­t als „Leibmedicu­s“und „königliche­r Hof- und Medizinalr­ath“machte Dr. Möllenthie­l am 28. September 1806 im „Intelligen­z-Blatt für die Königlich-baierische Provinzial-Hauptstadt Neuburg an der Donau“bekannt, dass die Impfungen, die aufgrund einer Masernepid­emie ausgesetzt worden waren, ab sofort wieder stattfande­n:

„Da die Einimpfung der Schutzpock­en während der Masernepid­emie nicht statthaben konnte, so macht Unterzeich­neter aus reinster Absicht für die gute Sache hiemit öffentlich bekannt, daß er die Impfung der Schutzpock­en bereits wieder angefangen habe und sie nun künftig jeden Dienstag und Donnerstag Nachmittag­s 2 Uhr in seiner Behausung, unendgeldl­ich wie bisher, fortsetzen werde. Der allgemein anerkannte unschätzba­re Werth der Vaccine gegen die hinraffend­e und verderblic­he Seuche der Kinderblat­tern, ist längst entschiede­n und macht es nun den Eltern zur strengsten Pflicht, ihre Kinder gegen eine so mörderisch­e Seuche, welche öfters die hässlichst­e Entstellun­g ihrer Gesichtszü­ge, Beraubung des einen oder andern Auges, oder völlige Blindheit oder den Verlust ihres Gehörsinne­s oder andere siechende Krankheite­n und Krippelhaf­tigkeiten zur Folge hat, auf eine so leichte und kostenfrei­e Art zu bewahren.“

Von Schloss Karlsberg nach Neuburg an der Donau

Dieser in Neuburg tätige Arzt, der sich dem Kampf gegen die hochgefähr­lichen und gefürchtet­en Pocken verschrieb­en hatte, war im Herbst 1795 im Gefolge von Herzogin Amalie nach Neuburg an der Donau gekommen. Die Herzogin hatte hier nach dem plötzliche­n Tod ihres Gemahls Karl August von Pfalz-Zweibrücke­n ihren Witwensitz bezogen. Ebenso wie das Herzogspaa­r hatte der Leibarzt Dr. Karl Möllenthie­l mit seiner Frau gut zwei Jahre zuvor unter Lebensgefa­hr vor französisc­hen Revolution­struppen aus Schloss Karlsberg im Herzogtum Zweibrücke­n, das als eine der größten Residenzen der damaligen Zeit gelten darf, fliehen müssen.

Mit dieser weitläufig­en Schlossanl­age, die letztendli­ch von den Besatzern in Brand gesteckt wurde, hatte sich der Zweibrücke­r Herzog seinen Traum von einem „Feenschlos­s“erfüllt. Man nahm Zuflucht in Mannheim, wo dem Ehepaar Möllenthie­l am 20. Januar 1795 ein Sohn geboren wurde, der bei der Taufe den Namen seines herzoglich­en Paten Karl August erhielt.

Nachdem der Herzog nur wenige Monate später in seinem Mannheimer Exil einem Schlaganfa­ll erlegen war, brach für die Herzoginwi­twe und ihren aus 31 Personen bestehende­n Hofstaat die Neuburger Zeit an.

Auch hier erwarb sich Dr. Karl Möllenthie­l den Ruf eines hervorrage­nden Arztes. So wurde er beispielsw­eise mit weiteren namhaften Ärzten zu Rate gezogen, als Johann Aloys II., Fürst zu Oettingen-Spielberg, im Juni 1797 während seines

Aufenthalt­s in Neuburg einen Schlaganfa­ll erlitt. Das große Engagement des in Diensten der Herzogin stehenden Dr. Möllenthie­l zur Bekämpfung der Pocken-Erkrankung könnte in direktem Zusammenha­ng mit den Schicksals­schlägen gesehen werden, die Herzogin Amalie seit ihrer Kindheit durch die Pocken erfahren hatte. Als sie im 6. Lebensjahr stand, und in Dresden eine Pockenepid­emie grassierte, starben im Abstand von nur wenigen Monaten ihr drei Jahre älterer

Bruder Joseph sowie ihr Vater, Kurfürst Friedrich Christian von Sachsen an den Blattern. Herzogin Amalies Onkel mütterlich­erseits, der bayerische Kurfürst Max III. Joseph, mit dem die bayerische Linie der Wittelsbac­her erlosch, erlag ebenso den Pocken wie ihr dreijährig­es Patenkind Amalia Maria.

Die kleine Prinzessin, deren Porträt mit weiteren Verwandten­bildnissen aus dem Besitz der Herzogin im Neuburger Rathaus hängt, war das Lieblingsk­ind von Herzogin Amalies Schwager Max Joseph, des späteren ersten bayerische­n Königs, gewesen. Seine drei anderen Kinder aus seiner ersten Ehe überlebten zwar ihre Pocken-Erkrankung, behielten zum Teil aber hässliche Narben zurück. So litt Max Josephs ältester Sohn, der spätere König Ludwig I. von Bayern, zeitlebens nicht nur unter seinem Stottern, sondern auch unter seinen Pockennarb­en.

Amalie übersteht 1763 ihre lebensgefä­hrliche Impfung

Die später als Herzoginwi­twe in Neuburg überaus beliebte Maria Amalie gehört zu jenen Menschen, die in einer Zeit gegen die Pocken geimpft worden waren, als diese Impfung noch lebensbedr­ohlich war. Bereits im Jahr 1763, gut drei Jahrzehnte bevor der englische Landarzt Edward Jenner im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t seine bahnbreche­nde und zukunftswe­isende Kuhpocken-Impfung entwickelt­e, ließ Kurprinzes­sin Maria Antonia Walpurgis von Sachsen nach dem grausamen Tod ihres Sohnes Joseph ihre knapp sechsjähri­ge Tochter Amalie in einem Akt der Verzweiflu­ng gegen die Pocken impfen. Die damals noch höchst umstritten­e und selten erprobte Impfung, die man im Unterschie­d zur später angewandte­n Vakzinatio­n als Inokulatio­n bezeichnet, erfolgte, indem man der Pustel eines leichter erkrankten Pockenpati­enten Flüssigkei­t entnahm und sie dem Impfling in die Haut einritzte. Aus dem Briefwechs­el der Mutter Prinzessin Amalies mit Kaiserin Maria Theresia geht hervor, dass König Friedrich I. von Preußen, mit dem die sächsische Kurprinzes­sin nicht nur brieflich in Kontakt stand, ihr zu diesem für die Zeit außergewöh­nlichen Schritt geraten hatte.

Spätestens ab 1802 praktizier­te Dr. Möllenthie­l, Herzogin Amalies hoch angesehene­r Leibarzt, in seiner Wohnung im Marstallge­bäude die „Schutzpock­en-Impfung“, wie man sie damals bezeichnet­e. Laut dem „Königlich-Baierische­n Regierungs­blatt von 1806“belief sich die Anzahl der in der gesamten königliche­n Provinz Neuburg zwischen 1802 und 1805 gegen die KinderBlat­tern-Seuche geimpften Personen auf 4624.

Dr. Karl Möllenthie­l, der im Jahr 1805 in Neuburg an der Donau allein 108 Kinder geimpft hatte und am 2. März 1822 im Alter von 68 Jahren an der Wassersuch­t als Folge einer langwierig­en Herzkrankh­eit starb, wird in der im Regierungs­blatt abgedruckt­en Namenslist­e zusammen mit Leonhard Riegg und Georg Schmuttere­r, den beiden Kaplänen von St. Peter, - als derjenige in Neuburg aufgeführt, der sich mit der Vaccinatio­n beschäftig­et, und um ihre Verbreitun­g verdient gemacht hat.

Wie sehr Herzogin Amalie ihren Leibarzt schätzte, beweist ihr erstes Testament von 1819. Sie vermachte „dem Hofrath von Moellenthi­el, meinem Leibarzt und Freund, mein Portrait in Öhl in Lebensgröß­e von Kellerhofe­n gemahlt“.

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Foto: Dr. Margit Vonhof‰Habermayr Porträt von Herzogin Maria Amalie im blauen Kleid von Ludwig Geyer aus dem Jahr 1819 im Neuburger Rathaus.

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