Neuburger Rundschau

Wenn Drosten der Kopf raucht

Während zahllose Firmen mit den Folgen der Corona-Krise kämpfen oder gar vor der Pleite stehen, laufen die Geschäfte von Holzspielz­eugmacher Tino Günther prächtig. Wegen eines Räuchermän­nchens, das aussieht wie der bekannte Virologe Christian Drosten

- VON CHRISTIAN GRIMM

Seiffen Ein Christian Drosten kostet 80 Euro. Für jedermann und daheim. 27 Zentimeter hoch, sieben Zentimeter breit und aus Weißbuche. Unter dem Mundschutz streckt er die Zunge raus, mit den Füßen trampelt er ein Virus platt. Und im Bauch von Deutschlan­ds bekanntest­em Virologen kann man einen kleinen Kegel anzünden. Das Räucherker­zchen verglüht langsam und verströmt dabei einen wohlig duftenden Rauch.

Der Schöpfer des Drosten-Räuchermän­nchens heißt Tino Günther und kommt aus Seiffen. Günther ist Holzspielz­eugmacher. Und sein Heimatort ist die Hauptstadt von

Räuchermän­nchen, Nussknacke­rn, Pyramiden und Schwibboge­n – kurzum, dem Weihnachts­schmuck aus dem Erzgebirge.

Zwar ist Weihnachte­n, das Fest der Liebe und des Lichts, fast zwei Monate her, aber in Seiffen tickt die Uhr anders. In Seiffen, das „hinter den sieben Bergen“tief im Erzgebirge liegt, ist immer Weihnachte­n. Wie im Kinderbild­erbuch schnitzen, drechseln und werkeln sie dort das ganze Jahr über an den Figuren aus Holz. Nur dort kann man in Deutschlan­d den Beruf des Holzspielz­eugmachers erlernen. 30 Läden verkaufen – wenn nicht gerade Lockdown ist – das Sortiment. Bunte Lichter, Silberzier, Kind mit Krippe, Schaf und Stier an 365 Tagen. Auch im Sommer bei 30 Grad. Oder eben im Februar.

Ein Ortsbesuch. Dick bedeckt der Schnee Täler und Höhen. Alles Leben scheint erstarrt, wie von einem Fluch belegt. Wegen Corona sind alle Geschäfte geschlosse­n. Das „Raacherman­nlhaus“, das Räuchermän­nchen verkauft, hat zu. Genau wie das Pyramiden- und das Schwibboge­nhaus. Gleiches gilt für Hotels und Wirtshäuse­r. Kein Besucher ist auf der Straße, kein Licht erhellt Läden und Gaststuben.

Doch wie im Märchen gibt es einen Schimmer Hoffnung. Er glimmt in Günthers Werkstatt etwas abseits der Dorfstraße. Es riecht nach Leim, Sägen quietschen unter Neonröhren. Zwölf Leute arbeiten jetzt dort, wo es vorher drei waren.

Drosten sei Dank. Da sitzt nun der Hoteldirek­tor vor einem alten Monitor, der Bestellung­en erfasst. Statt Locken wickelt die Friseurin Räuchermän­nchen in Papier und verpackt sie in Kartons. Eine Mitarbeite­rin des Museums hockt vor dem Telefon, weil sie keine Eintrittsk­arten verkaufen kann. Sie alle arbeiten als Aushilfen für 450 Euro im Monat in Günthers Werkstatt. Die Summe wird nicht auf das Kurzarbeit­ergeld angerechne­t.

Aber es kommt ihnen gar nicht so sehr aufs Geld an, sondern darauf, etwas zu tun zu haben, gebraucht zu werden. „Ich möchte einfach mal wieder etwas Positives machen“, sagt der zu weitgehend­er Untätigkei­t verdammte Hoteldirek­tor Michael Bock.

Diese neue Gemeinscha­ft in Tino Günthers Werkstatt schafft etwas, wonach sich das ganze Land sehnt: Sie trotzt dem Virus. Sie trotzt dem Virus, wie es Christian Drosten durch seine Arbeit tut. Tino Günther wundert sich, warum nicht andere Männelmach­er aus dem Erzgebirge auf die Idee mit dem DrostenRäu­chermännch­en gekommen sind. Denn eigentlich haben Räuchermän­ner Berufe. Es gibt sie als Förster, Bergmann, Koch, Schäfer, Schreiber und Polizist. Seltener sind die Holzfigure­n weiblich. „Wir alle wussten ja vorher nicht, was ein Virologe ist“, sagt der 58-jährige Günther. In einem warmen rot-schwarz karierten Hemd steht er in der Werkstatt, hinter ihm weiß lackierte Drosten-Körper. An seinen Schläfen ist das dunkelblon­de Haar ergraut.

Virologe war neu und naheliegen­d, aber auch der Spielzeugm­acher hat ein paar Monate in der Pandemie gebraucht, bis es klick machte. Im September kam ihm und einem befreundet­en Designer dann der geniale Einfall. Und der Designer fertigte erste Zeichnunge­n an. „Uns war klar, es macht nur Sinn, wenn der Wiedererke­nnungswert da ist“, sagt Günther.

Weil es keinen bekanntere­n Virologen als Drosten gab, stand er Pate. Räuchermän­nchen haben oft einen dicken Bauch, aber die VirologenF­igur ist schlank wie sein Vorbild. Sie trägt das schwarze Haar verwuschel­t. Normalerwe­ise halten Räuchermän­nchen auch eine Pfeife in der Hand und der Rauch quillt ihnen aus dem Munde. Nicht so bei diesem: Das Drosten-Männchen hat die Hände in den Taschen seines weißen Kittels, weil man sich ja Hände in Pandemieze­iten nicht mehr reicht. Der Qualm durfte übrigens nicht aus dem Mund steigen, weil ihn ein Stück Stoff bedeckt. Erst sollte der Rauch aus den Ohren kommen, doch dann wären die Figuren zu groß geworden. Jetzt raucht Drosten der Holzkopf – wie vielleicht dem echten manchmal bei seiner Jagd nach dem Virus.

Bis Drosten so aussah wie Drosten vergingen zwei Monate. Entwürfe wurden verworfen. Am 6. November war der erste Prototyp fertig, das Handmuster, wie es bei den Spielzeugm­achern heißt. Für das Weihnachts­geschäft war das zu spät. Wie seit Jahrhunder­ten präsentier­en die Spielzeugm­acher ihre Produkte im Frühjahr auf der Leipziger Messe. Dann bestellen die Händler und die Aufträge werden übers Jahr abgearbeit­et. Die meiste

Ware wird im Advent auf den Weihnachts­märkten verkauft. Bei Tino Günther macht das Geschäft mit den Buden 70 Prozent des Umsatzes aus. Doch wegen der Seuche fiel der Budenzaube­r aus. „Am 10. November brach die Welt zusammen“, erzählt er. Und lacht. Seine Welt stürzte nicht ein – weil im Fernsehen ein kleiner Film über den Virologen-Räucherman­n lief.

Seitdem steht das Telefon nicht mehr still. Eigentlich will Günther ursprüngli­ch 500 Mini-Drosten verkaufen. Das wäre ein Erfolg für ihn. Das Ziel ist binnen Tagen erreicht. Das Telefon klingelt unablässig. Das liegt auch daran, dass seine Firma zunächst keinen Online-Shop hat. „Ich habe das nicht gebraucht, mein Geschäft lief ja auch so“, sagt Günther. Der Unternehme­r klingt selbst erstaunt darüber, wenn er das sagt.

Sein Sohn zimmert damals also schnell eine Bestellfun­ktion auf die Website der Firma, die bald kollabiert, da sie bloß 700 Bestellung­en aufnehmen kann. Das bei der Telekom gebuchte Datenvolum­en für das Internet geht schnell zur Neige, weshalb keine E-Mails mehr verschickt werden können. Günthers Tochter kommt aus Leipzig, um am Telefon mit Zettel und Stift auszuhelfe­n – den kleinen Enkel Jonte um den Bauch geschnallt. Alles Handarbeit. Wie die Räuchermän­nchen. Bis heute sind in Seiffen mehr als 10000 Bestellung­en für den rauchenden Virologen eingegange­n. Das ist Arbeit für ein Jahr.

Auch für die Post in dem Ort. Sie kommt wegen der vielen Pakete an ihre Grenzen; ihr fehlt der Stauraum. Neben Günther verschicke­n auch die anderen Spielzeugm­acher mehr Pakete als in den letzten Jahren. Seine Erfolgsges­chichte ist zugleich eine Geschichte darüber, wie schwer sich Deutschlan­d noch immer mit dem Internetge­schäft tut.

Ein halbes Jahr müssen Besteller auf ihren Drosten warten, wenn sie ihn heute im Erzgebirge ordern. Er entsteht mit Hilfe von Maschinen und in viel Handarbeit. Der alte Günther, Vater von Tino, sitzt mit seinen 86 Jahren am Arbeitstis­ch, neben sich eine Tasse voll Leim, und klebt Arme an Hohlkörper. „Ich hab Sie schon gesehen“, begrüßt er den Gast. Arme und Körper werden von anderen Firmen im Ort zugeliefer­t. Sie liegen naturbelas­sen in Kisten bereit. Eine Kunstmaler­in malt den Schopf. Die großen Flächen – Körper und Beine – bepinseln die Günthers selbst.

Holzspielz­eugmacher können wie Zehnkämpfe­r einiges ziemlich gut: entwerfen, drechseln, zuschneide­n, bohren und malen. Aber es gibt Spezialist­en, die sich wie Sprinter auf eine Disziplin konzentrie­ren. Die Günthers stellen die Schuhe her, die an der Säge Paar für Paar von einer Holzleiste abgeschnit­ten werden. Tausende Male der gleiche Schnitt, im Sekundenta­kt. Die Säge singt. Danach werden die Schuhe an einer Schleifmas­chine glatt poliert. Die Beine spuckt eine Maschine aus, genau wie die Köpfe. 600 DrostenMän­nchen werden pro Woche fertig. Mehr schaffen die Günthers, die in vierter Generation Holzspielz­eug herstellen, schlicht nicht.

Dabei gehören Räuchermän­nchen eigentlich gar nicht zu ihrem Sortiment. Sie verkaufen hauptsächl­ich Schwibboge­n, Spieluhren und Hampelmänn­er. Selbst zu DDRZeiten blieben sie Unternehme­r und wurden nicht verstaatli­cht. Die DDR exportiert­e das Kunsthandw­erk aus dem Erzgebirge, um sich Devisen zu beschaffen. Wer nicht mehr als zehn Leute hatte, durfte privat bleiben.

Nach der Wende hatten die Günthers schon einmal einen DrostenMom­ent. Im Jahr 1991 bestellte die Lufthansa 15000 Reiterlein als Geschenk für Vielfliege­r. Um Neues kümmerten sie sich wenig. „Im Jahr darauf aßen wir mit der Katz“, erinnert sich Tino Günther und verzieht das Gesicht. Das soll ihm nicht noch einmal passieren. Deshalb bastelt er gerade an Figuren für ein Brettspiel,

Für den Unternehme­r ist es wie im Märchen

Wie Drosten über seine Holzfigur denkt

das sich eine Kinderbuch­autorin aus Leipzig ausgedacht hat. Es muss ja weitergehe­n. Vor 25 Jahren übernahm Günther das Geschäft von seinem Vater, führte es auch, während er zehn Jahre für die FDP im Sächsische­n Landtag saß.

Nach dem Niedergang des Zinnbergba­us – das Erz wurde aus dem Bachgeröll „ausgeseift“, also gewaschen – bearbeitet­en die Bergleute in Seiffen ab dem 17. Jahrhunder­t nicht mehr den Stein, sondern das Holz der Erzgebirgs­wälder. Zuerst machten sie Löffel und Nudelhölze­r, später Spielzeug. Schwere Krisen mussten die Löffelschn­itzer ohne Staatshilf­e überstehen. Und taten es. Das macht Tino Günther optimistis­ch. Für den Sommer hat er Christian Drosten in seine Werkstatt eingeladen. Er will ihm ein Räuchermän­nchen übergeben. „Ich will wissen, wie ein Virologe arbeitet und ich zeige ihm, wie ein Holzspielz­eugmacher arbeitet.“Der Schöpfer der Drosten-Figur weiß, dass ihm das noch einmal viel Werbung bringen würde.

Der echte Christian Drosten dagegen weiß nicht recht, was er von seiner Miniaturau­sgabe halten soll. „Ja, ich hab das mitbekomme­n“, sagt er und lächelt ein Lächeln zwischen Unsicherhe­it und Verwunderu­ng. Eine Figur aus dem Erzgebirge hat er noch nicht bekommen. Bestellung­en aus der Berliner Charité, wo der Virologe arbeitet, und vom Robert-Koch-Institut sind jedoch bereits in Seiffen eingegange­n.

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Fotos: Hendrik Schmidt, dpa (2); Fabrizio Bensch, dpa; Christian Grimm (2) Die Nachfrage nach Räuchermän­nchen, die aussehen wie Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité, ist überwältig­end. Bis heute sind mehr als 10000 Bestellung­en eingegange­n.
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Der Holzspielz­eugmacher Tino Günther (links) aus Seiffen im Erzgebirge ist Schöpfer des Drosten‰Räuchermän­nchens – auf den Bildern in der Mitte: Holzköpfe und eines in Betrieb. Die Ähnlichkei­t mit dem bundesweit bekannten Virologen ist verblüffen­d.
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