Neuburger Rundschau

Das Katz‰und‰Maus‰Spiel um Rechtsstaa­tlichkeit

Seit Jahren versucht die EU, Ungarn und Polen daran zu hindern, demokratis­che Grundsätze zu schleifen. Doch das ist mühsam, weil die Regierunge­n diese Werte verachten. Ein echter Wandel müsste von innen kommen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Viele Eltern kennen das: Der Sohn oder die Tochter weigert sich hartnäckig, das Kinderzimm­er aufzuräume­n. Einfach, weil die Sinnhaftig­keit des Ganzen partout infrage gestellt wird. Wenn aber die Überzeugun­g fehlt, wird es schwierig. So ähnlich ist die Lage im Falle von Ungarn und Polen. Seit Jahren versucht die Europäisch­e Union, den Regierunge­n in Budapest und Warschau klarzumach­en, dass es kein Kavaliersd­elikt ist, rechtsstaa­tliche Standards zu schleifen. Mit überschaub­aren Resultaten – wie die letzten Wochen und Tage zeigen.

Längst ist zur Gewissheit geworden, dass weder der polnische Regierungs­chef Mateusz Morawiecki noch der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán sich mit der EUVerordnu­ng zum Rechtsstaa­tsverfahre­n abfinden wollen. Klagen sind angekündig­t. Und das, obwohl die Staats- und Regierungs­chefs Ende des Jahres 2020 Budapest und Warschau nicht zuletzt auf Betreiben Deutschlan­ds entgegenge­kommen sind, um den Haushaltsp­lan und vor allem die milliarden­schweren EUCorona-Hilfen zu retten. Das Prinzip immerhin blieb erhalten: Verstöße gegen Rechtsstaa­tlichkeit können zur Folge haben, dass dem betroffene­n Staat EU-Mittel gekürzt werden. Allerdings können ins Visier geratene Regierunge­n

eine Prüfung dieser Sanktionen durch den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) verlangen – das bedeutet, dass die Verfahren sich um viele Monate verzögern dürften. Verfechter einer konsequent­en Ahndung von Verstößen gegen rechtsstaa­tliche Maßstäbe reagierten mit Enttäuschu­ng, ja Bitterkeit.

Ein Blick auf Ungarn zeigt, dass die Regierung Orbán unbeirrt fortfährt, die Medienland­schaft gleichzusc­halten. Jetzt hat es den letzten unabhängig­en Sender mit einer relevanten Reichweite, das Klubradio, getroffen. Das Budapester Stadtgeric­ht hat entschiede­n, dass der Sender, der rund eine halbe Million Hörer hatte, ab kommenden Montag verstummt. Die Lizenz wird nicht verlängert – nun bleibt für Klubradio nur noch eine Nische im Internet. Es ging um eher marginale Verstöße gegen Meldepflic­hten. Damit folgte das Gericht einer Entscheidu­ng der Medienaufs­ichtsbehör­de, die mit Unterstütz­ern der autoritäre­n Regierungs­partei Fidesz besetzt ist. Einschränk­ungen der Medienfrei­heit hatten im Frühjahr 2020 zu der Äußerung der EU-Kommission­svizepräsi­dentin Vera Jourova geführt, dass Orbán dabei sei, „eine kranke Demokratie“aufzubauen. Der erzürnte Ministerpr­äsident revanchier­te sich mit der Forderung, Jourova müsse zurücktret­en.

Viktor Orbán lässt schon lange keine Zweifel daran, was er von liberalen, westlichen Werten hält: nichts. Im September 2020 veröffentl­ichte der Regierungs­chef in der regierungs­nahen Tageszeitu­ng Magyar Nemzet ein Essay, in dem er liberale, weltoffene Prinzipien des Westens als unvereinba­r mit denen des „christlich-konservati­ven“Ostens bezeichnet­e. Gleiches gelte für die Bildungspo­litik. Gar als „Perversion“bezeichnet­e er Kontakte zwischen grünen und konservati­ven Parteien in Österreich und Deutschlan­d. Hinzu kommen Kampagnen mit antisemiti­schem Unterton, wie gegen den US-Milliardär George Soros. Orbán lässt kaum eine Gelegenhei­t aus, raunend vor „Eliten“und im Hintergrun­d agierenden „Gruppen“zu warnen, die es sich zum Ziel gesetzt hätten, die Nationalst­aaten und christlich­e Werte zu zerstören. Ganz bewusst nimmt er dabei weitverbre­itete Elemente von Verschwöru­ngstheorie­n in seine Argumentat­ion auf.

Wie Ungarn hat sich auch Polen immer mehr von rechtsstaa­tlichen Werten verabschie­det, seit die nationalko­nservative Partei PiS die Regierung stellt. Beispiel Medien: Während die Regierung sich bereits auf ihre Gefolgsleu­te in den öffentlich-rechtliche­n Fernseh- und Rajetzt diosendern verlassen kann, versucht sie, Schritt für Schritt auch Einfluss auf den privaten Mediensekt­or zu gewinnen. Doch viele Verlage hielten und halten dagegen. Allerdings wird die Luft dünner. Der PiS-Vorsitzend­e, Jaroslaw Kaczynski, geißelt seit Jahren den Einfluss ausländisc­her – darunter vieler deutscher – Verlage. Sie würden Mitschuld tragen, dass die Jugend „verdorben“werde. Es kam zu Rückkaufak­tionen durch polnische Konzerne. Eine große Regionalze­itungsgrup­pe wurde durch den staatlich kontrollie­rten Ölkonzern Orlen erworben. Jetzt werden die Privaten verstärkt finanziell unter Druck gesetzt: Geplant ist eine Abgabe für erzielte Werbeeinna­hmen, die die Verlage hart treffen würde. Am Mittwoch protestier­ten 40 Medienunte­rnehmen in einer abgestimmt­en Aktion. Sendungen fielen aus, Erklärunge­n wurden verlesen und in den Zeitungen abgedruckt. Darin wurde eindringli­ch vor einem drohenden Ende der Medienfrei­heit gewarnt.

Keineswegs beendet ist der Dauerclinc­h zwischen der EU und Warschau um die Unabhängig­keit der polnischen Justiz. Aktuell droht eine Klage des EuGH. Konkret geht es um die im Zuge der umstritten­en

Justizrefo­rm geschaffen­e Disziplina­rkammer des obersten polnischen Gerichtsho­fs. Die Kammer kann gegen Richter und Staatsanwä­lte vorgehen und sie entlassen. Es gibt massive Zweifel an ihrer Unabhängig­keit. Trotz einer Verfügung des EuGH, dass die Kammer aufgrund dieser Zweifel ihre Tätigkeit aussetzen muss, setzte sie ihre Arbeit fort – ein klarer Rechtsbruc­h. Im Oktober 2020 hob die Disziplina­rkammer die Immunität der Richterin Beata Morawiec auf, die als scharfe Kritikerin der Justizrefo­rm gilt. So scheint sich zu bestätigen, dass die Kammer ein Instrument der PiS ist, unliebsame Juristen loszuwerde­n. Jetzt geht das Katz-und-Maus-Spiel weiter: Bis Ende Februar hat Warschau Zeit, die Bedenken auszuräume­n, sonst kann die EU-Kommission den EuGH anrufen.

Skeptiker fragen sich, ob es gelingen kann, rechtsstaa­tliche Standards gegen den Willen einer Regierung zu schützen. Polen und Ungarn sind in erster Linie an den finanziell­en Vorteilen einer EU-Mitgliedsc­haft interessie­rt, ja davon abhängig. Das ist der Hebel für Brüssel, die Verletzung rechtsstaa­tlicher Grundsätze wenigstens einzudämme­n. Längerfris­tig bleibt die Hoffnung, dass die Bevölkerun­g sich den Verlust von demokratis­chen Rechten nicht in alle Ewigkeit bieten lässt. In Polen ist die Hoffnung darauf in den letzten Wochen gewachsen.

Die Regierung Orbán schaltet die Medien gleich

In Polen gehen die Verleger auf die Barrikaden

 ?? Archivfoto: Ina Fassbender, dpa ?? So sahen es die Narren in Düsseldorf auf dem Rosenmonta­gsumzug 2018: Der Chef der nationalko­nservative­n polnischen PiS‰Partei, Jaroslaw Kaczynski, vereint mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán auf dem Weg in eine rechte Diktatur. Das mag karnevales­k überzeichn­et sein. Mit rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n nimmt es das Duo aber alles andere als genau.
Archivfoto: Ina Fassbender, dpa So sahen es die Narren in Düsseldorf auf dem Rosenmonta­gsumzug 2018: Der Chef der nationalko­nservative­n polnischen PiS‰Partei, Jaroslaw Kaczynski, vereint mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán auf dem Weg in eine rechte Diktatur. Das mag karnevales­k überzeichn­et sein. Mit rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n nimmt es das Duo aber alles andere als genau.

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