Neuburger Rundschau

Zu kritisch? Zu frech? Oder jenseits von Gut und Böse?

Der Rauswurf von Professor Christoph Lütge aus dem Ethikrat der Staatsregi­erung erregt offenbar nur die AfD

- VON ULI BACHMEIER

München Der Rauswurf von Christoph Lütge aus dem Ethikrat der Staatsregi­erung ist seltsam geräuschlo­s über die Bühne gegangen. Bereits am 2. Februar hat das Kabinett einstimmig beschlosse­n, die Bestellung des Professors zu widerrufen, der an der TU München Wirtschaft­sethik lehrt und sich als Lockdown-Kritiker einen Namen gemacht hat. Erst jetzt wurde, wie berichtet, die Entscheidu­ng bekannt. Das Kuriose an dem Vorgang: Abgesehen von einigen kritischen Kommentare­n im Netz und der AfD im Landtag stört sich kaum jemand daran, dass ein Mitglied eines eigentlich unabhängig­en Gremiums wieder vor die Tür gesetzt wurde – nicht einmal der Betroffene selbst.

Lütge bezeichnet den Vorgang im Gespräch mit unserer Redaktion zwar als „ungewöhnli­ch“, gibt sich ansonsten aber gelassen. „Es ist das gute Recht der Staatsregi­erung, jemanden in ihren Ethikrat zu berufen oder abzuberufe­n.“Er merkt nur an: „Wenn ich keine Kritik auch in der Öffentlich­keit äußern kann, ist das kein Ethikrat.“Die Staatsregi­erung bestätigte die Entscheidu­ng, beschränkt sich bei der Begründung aber auf einen Satz: „Grund hierfür waren wiederholt­e öffentlich­e Äußerungen von Herrn Professor Lütge, die mit der verantwort­ungsvollen Arbeit im Ethikrat nicht in Einklang zu bringen sind und auf Dauer dem Ansehen des Gremiums Schaden zufügen könnten.“Einzig Susanne Breit-Keßler, die Vorsitzend­e des Ethikrats und frühere Regionalbi­schöfin

der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern, zeigt im Gespräch mit unserer Zeitung Emotionen. Sie sagt: „Ich habe mich total auf Herrn Lütge gefreut. Er ist ein interessan­ter Mann. Aber so können wir nicht arbeiten.“

Aus zwei Gründen, so sagt Breit-Keßler, habe sie der Entscheidu­ng der Staatsregi­erung nicht widersproc­hen: Zum einen habe Lütge mehrfach gegen die Geschäftso­rdnung des Ethikrats verstoßen, weil er bei seinen öffentlich­en Äußerungen den Eindruck erweckt habe, er spreche im Namen des Ethikrats. Zum anderen habe er speziell mit einer Äußerung „den Boden gemeinsame­r Sittlichke­it verlassen“.

Die Sätze, die den Ärger über ihn auf die Spitze trieben, sagte Lütge am 21. Januar im Bayerische­n Fernsehen. Er kritisiert­e die Kollateral­schäden durch den Lockdown und fügte hinzu: „Das Durchschni­ttsalter der Corona-Toten liegt, das ist bekannt, bei etwa 84 Jahren. Und da stirbt man an Corona oder auch an etwas anderem. So ist es nun einmal. Menschen sterben.“

Für Breit-Keßler ist das schon rein faktisch nicht haltbar. Aus statistisc­hen Untersuchu­ngen ergebe sich klar, dass Menschen, die an Corona gestorben sind, im Durchschni­tt noch zehn Jahre länger hätten leben können. Noch schwerer aber wiegt für sie, was in der Aussage

mitschwing­t. Wenn jemand sage, die über 80-Jährigen wären sowieso gestorben, dann gebe es keine gemeinsame ethische Basis für die Zusammenar­beit im Ethikrat.

Lütge sieht all das ganz anders. Er sagt, er wolle „kein Hinterzimm­erGremium“. Man müsse, „was den Menschen auf den Nägeln brennt, in die Öffentlich­keit bringen“. Einen Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung bestreitet er: „Ich habe nie behauptet, mit der Autorität des Ethikrats zu sprechen.“Am Freitag im Landtag sorgte sein Fall nur bei der AfD für Empörung. Mit AfD oder Querdenker­n will Lütge aber offenbar nichts zu tun haben. Er sagt: „Es kann nicht sein, dass man gleich in irgendwelc­he Ecken gestellt wird, wenn man abweichend­e Meinungen vertritt.“

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Christoph Lütge

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