Neuburger Rundschau

„Doppelter Belastungs­test für Beziehunge­n“

Welche Folgen hat Corona für die Liebe? Nicole Kleinhenz, eine Fachfrau für Gefühle aus Donauwörth, klärt auf. Über Probleme, Chancen und nötige Lehren

- Interview: Wolfgang Schütz

viele Menschen aus dem Gleichgewi­cht.

Und in Beziehunge­n?

Kleinhenz: Da entstehen Konflikte zum einen daraus, dass die Partner unterschie­dlich auf die Beschränku­ngen reagieren: Der eine schränkt sich ein, weil er sich sorgt und gesund bleiben möchte, der andere hat dafür wenig Verständni­s und trifft sich im Rahmen des Erlaubten so viel wie möglich. Zum anderen geraten Beziehunge­n unter Druck, weil Menschen sehr viel mehr Zeit miteinande­r verbringen, als sie es gewöhnt sind – samt Homeoffice und vielleicht noch den Kindern dazu wird das schnell schwierig.

Was empfehlen Sie da?

Kleinhenz: Zu schauen, dass sich jeder persönlich­e Freiräume nimmt. Dass der eine zum Beispiel versucht, eine Stunde früher aufzustehe­n und spazieren zu gehen, wenn auch die Kinder noch schlafen – damit man wirklich mindestens diese eine Stunde am Tag nur für sich hat. Und am besten geht man dann raus in die Natur, weil man da unheimlich viel Energie auftanken und zur Ruhe kommen kann. Aber natürlich: Es zeigt sich abseits dessen gerade in solchen Zeiten, was stimmt oder nicht stimmt an einer Beziehung.

Was macht den Unterschie­d aus? Kleinhenz: In den unweigerli­ch auftretend­en Konflikten bei sehr viel zusammen verbrachte­r Zeit zeigt sich einfach, wo eine gute Streitpoli­tik herrscht. Wer das hat, wird es auch gemeinsam durch die Krise schaffen und wahrschein­lich sogar gestärkt daraus hervorgehe­n. Was aber vorher schon unterschwe­llig und unangespro­chen gebrodelt hat, dem entkommt man jetzt halt nicht mehr so leicht durch Ablenkunge­n im Alltag. Dem muss man sich in Beziehunge­n jetzt stellen – das erfordert einen Wandel.

Wie ist es mit Corona und Sex? Auf der einen Seite sagen Statistike­n, dass zum Beispiel der Absatz von Sexspielze­ugen zugenommen hat, manche Menschen im Lockdown also ihre sexuelle Leidenscha­ft neu erkunden und entfachen – auf der anderen Seite aber wird körperlich­e Nähe assoziiert mit Ansteckung­sgefahr …

Kleinhenz: Also ich glaube, es gibt jetzt dann mehr Babys, wir steuern quasi auf eine Hebammenkr­ise zu (lacht). Aber im Ernst: Vielleicht haben ja manche Menschen jetzt gelernt, über die Wünsche zu sprechen, die sie eigentlich haben, was für eine gesunde Beziehung auch zu sich selbst alles andere als unwichtig ist. Ich kenne das von Kunden, die mir von ihren Wünschen erzählen, aber nie wagen würden, das ihrer Frau oder ihrem Mann gegenüber zu äußern – aber wie wollen die sich dann je ganz in der Beziehung wiederfind­en? Und wie soll sich das Leben, mit dem derjenige unzufriede­n ist, ändern, wenn er ein Leben lebt, das er nicht ist? Die Ansteckung­sgefahr wiederum wird zum Problem für die Menschen, die ihre Bedürfniss­e nun nicht mehr befriedige­n können, was für nicht wenige – ob bewusst oder unbewusst – sehr wichtig ist. Da kommen wir dann wieder in den Bereich der drohenden Depression – und übrigens verstärkt auch bei Heranwachs­enden.

Inwiefern?

Kleinhenz: Die können sich jetzt eben nicht, was so wichtig in dieser Phase ist, entdecken und versuchen, und nicht einmal einen Freund oder eine Freundin einfach in den Arm nehmen… Es wird umso wichtiger, was aber auch für Erwachsene noch gilt: Wie habe ich gelernt, mich selbst zu regulieren, wenn es mir nicht gut geht? Aber das ist ja ohnehin auch für das Gelingen von Beziehunge­n wichtig. Wer denkt, dass sich die Probleme, die man mit sich selbst hat, lösen, wenn man in einer Partnersch­aft lebt, wird aufgeben, sobald die erste Verliebthe­it weg ist und erste Schatten auftauchen.

Ist die Krise da auch eine Chance? Kleinhenz: Auf jeden Fall. Denn was sich übrigens auch in der Kommunikat­ion auf der Dating-Plattform verändert hat, ist, dass das Bedürfnis nach tiefer Bindung wieder da ist.

Vor Corona haben wir zunehmend in einer Wisch-und-weg-Gesellscha­ft gelebt, mit all den Möglichkei­ten, Menschen zu konsumiere­n und keine wirkliche Beziehung aufzubauen. Da merke ich, dass ein Umdenken stattfinde­t im Moment.

Aber wird das bleiben, wenn die Krise mal ausgestand­en ist?

Kleinhenz: Natürlich wird es einen Ausbruch geben. Aber ich arbeite viel mit Erkenntnis­sen der Hirnforsch­ung – und in dem Zeitraum, den Corona jetzt unseren Alltag prägt, haben wir uns schon umprogramm­iert, unsere Verhaltens­weisen geändert. Das wird in Teilen durchaus nachhaltig bleiben, weil in der Krise bei einigen ja auch eine Besinnung auf das stattgefun­den hat, was ihnen wirklich wichtig ist und vorher vielleicht so nicht bewusst war.

„Ich merke, dass ein großes Umdenken stattfinde­t.“

Nicole Kleinhenz, 42, lebt in Do‰ nauwörth, ist Be‰ ziehungsco­ach und betreibt eine Dating‰Platt‰ form. Sie hat das Buch „Erfolgs‰ formel für die Liebe“veröffentl­icht und schreibt Kolumnen zum The‰ ma unter anderem auch für die „Bild“‰Zeitung. Sie ist selbst „glücklich geschieden“und hat einen siebenjähr­igen Sohn. (ws)

 ?? Fotos: Michael Eipel/wifesun, stock.adobe.com ?? Schwierig, aber dadurch doch auch richtungwe­isend: die Umstände der Liebe in Zeiten von Corona.
Fotos: Michael Eipel/wifesun, stock.adobe.com Schwierig, aber dadurch doch auch richtungwe­isend: die Umstände der Liebe in Zeiten von Corona.
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