Die Spitze trainiert, der Rest ist frustriert
Die meisten Vereinssportler müssen bereits sehr lange pausieren. Das ist gefährlich für viele Verbände. Doch es gibt schon einige Ideen für die Zeit nach dem Lockdown
Augsburg Seit Monaten liegt der Vereinssport brach. Trainieren dürfen während des Lockdowns nur Kaderathleten. Der große Rest ist zur Untätigkeit verdammt, versammelt sich zu Hause vor den Bildschirmen und turnt im Wohnzimmer die Übungen nach, die der Trainer zeigt.
Von einem zweischneidigen Schwert spricht Reinhard Köchl, der als Vizepräsident beim bayerischen Leichtathletikverband für den Bereich Sport zuständig ist. Es sei natürlich wichtig, dass sich die besten Athleten auf anstehende Wettbewerbe vorbereiten dürfen. In etwas mehr als einer Woche stehen zum Beispiel die deutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften in Dortmund an. Kader-Testwettkämpfe fanden schon statt – daran dürfen nur Sportler teilnehmen, die momentan auch trainieren dürfen. „Das läuft alles nach ganz strikten Hygieneregeln ab und wir hatten bis jetzt auch noch keinen Corona-Fall in der bayerischen Leichtathletik“, sagt Köchl.
Dadurch klaffe allerdings die Schere zwischen der Leistungsspitze und der Basis immer weiter auseinander. „97 Prozent der Sportler sind frustriert und irgendwann verlieren wir sie. Das Problem ist einfach, dass wir nicht wissen, wie lange das alles noch geht“, sagt Köchl. Um Frust und Neid nicht noch weiter anzustacheln, wurden die privilegierten Sportler angewiesen, auf ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken keine Bilder aus den Trainingshallen zu veröffentlichen.
Hinter den Kulissen entstehen inzwischen schon Ideen und Pläne für die Zeit nach Corona. „Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, dass unsere prominenten Top-Leute in die Vereine gehen und dort Trainingsstunden abhalten. Um eben die Lust an der Leichtathletik wieder zu wecken“, sagt Köchl. Denkbar sei für ihn auch, die Qualifikationsnormen für bayerische Meisterschaften etwas niedriger anzusetzen. Am wichtigsten dürfte aber sein, sehr viel flexibler auf die unterschiedlichen Inzidenzwerte in den verschiedenen Landkreisen und Städten zu reagieren. „Ich könnte mir ein Modell vorstellen, mit dem man stufenweise wieder den Sport in Kleingruppen erlaubt – von Landkreis zu Landkreis, je nachdem wie die Zahlen eben sind.“
Sicher sei bisher aber nur, dass sich die Leichtathletik verändern werde. Köchl: „Vielleicht fallen wir komplett hinten runter, aber wir können auch gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Denn ich habe schon den Eindruck, dass die Menschen
der Sportarten überdrüssig sind, die einfach weitermachen. Vielleicht haben wir bessere Voraussetzungen in der öffentlichen
Wahrnehmung, wenn wir im Frühjahr wieder an den Start gehen.“Wichtig werde das vor allem mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung,
„denn die fehlt uns im Moment komplett“, so Köchl. Gerade bei den Kindern gehe es um das Gemeinschaftserlebnis, „und da spreche ich nicht nur für die Leichtathletik“. Köchl hofft, nach Corona die Leichtathletik in einem neuen Gewand zu sehen. „Dass wir die Talentförderung auf neue Beine stellen, dass wir die Trainerausbildung erneuern. Dass wir einfach eine neue Begeisterung fördern. Wir dürfen auf keinen Fall einfach so weitermachen wie bisher.“
Köchls Funktionärskollegen beim Deutschen Schwimmverband (DSV) treibt noch eine zusätzliche Sorge um. In einem offenen Brief wies DSV-Präsident Marco Troll mit eindringlichen Worten auf ein drohendes Bädersterben hin. „Wir steuern auf eine Situation zu, in der wir nicht nur einen Jahrgang verlieren, der im letzten Jahr aufgrund des Lockdowns nicht schwimmen lernen konnte, sondern auf die Tatsache, dass Generationen von Kindern in Deutschland überhaupt keine Chance mehr haben, Schwimmen zu lernen“, schreibt Troll. „Durch die pandemiebedingten Sparmaßnahmen der Kommunen werden Schwimmbäder nun oftmals langfristig geschlossen, denn Schwimmbäder kosten Geld. Diese Entwicklung muss unter allen Umständen gestoppt werden.“