Neuburger Rundschau

„Profifußba­ll entfremdet sich von seinen Fans“

Cem Özdemir ist VfB-Stuttgart-Fan und Mitglied der Taskforce „Zukunft Profifußba­ll“. Was er von den Schimpftir­aden des FC Bayern hält, vom „Salary Cap“und der Vorbildrol­le der Profis

- Interview: Roland Wiedemann

Herr Özdemir, im Ergebnisbe­richt der Taskforce „Zukunft Profifußba­ll“steht sehr oft das Wort „sollen“und nicht „müssen“, wenn es um Nachhaltig­keit, Ökologie und soziale Verantwort­ung geht. Den Kritikern ist das alles viel zu schwammig.

Özdemir: Vor einem halben Jahr wäre es noch unvorstell­bar gewesen, dass in einem Papier der Deutschen Fußball Liga Begriffe wie „Salary Cap“überhaupt auftauchen. Auch in den Bereichen Ökologie, Menschenre­chte oder Diversität gibt es viele gute Vorschläge im Ergebnisbe­richt. Die DFL gründet einen interdiszi­plinären Beirat mit externen Fachleuten zur Begleitung des weiteren Umsetzungs­prozesses und führt den Dialog mit Fan-Vertretern. Das alles sind positive Signale. Jetzt muss sich aber zeigen, wie zügig und konsequent die DFL die Umsetzung tatsächlic­h angeht. Das wird von der Öffentlich­keit sehr kritisch beäugt werden. Denn klar ist: Es muss sich etwas ändern. Die Exzesse bei den Spielergeh­ältern und Ablösesumm­en – der Profifußba­ll entfremdet sich zunehmend von seinen Fans. Corona hat die Fehlentwic­klungen schonungsl­os offengeleg­t, nicht nur in Deutschlan­d, sondern in ganz Europa.

In den letzten Monaten sprachen Bundesliga­profis und Klub-Funktionär­e immer wieder von Demut. Das passt ganz und gar nicht zu den Schimpftir­aden von Rummenigge und Hoeneß anlässlich der Komplikati­onen bei der Anreise der Bayern-Mannschaft zur Klub-Weltmeiste­rschaft in Katar … Özdemir: Die Reaktionen von Herrn Hoeneß und Herrn Rummenigge zeigen exemplaris­ch, wie schwer sich manche Vertreter im Profifußba­ll immer noch damit tun, zu verstehen, was sich durch die Pandemie in der Gesellscha­ft verändert hat. Kurzarbeit, Ausgangssp­erren, Existenzän­gste, Kinder, die nicht in die Schule oder in die Kita gehen können – die Menschen treiben ganz andere Sorgen um als die Frage, ob man um 0.03 Uhr noch von Berlin nach Katar fliegen kann. Immerhin haben die Bayern-Spieler selbst den Ball flach gehalten. Äußerungen wie die von Hoeneß und Rummenigge schaden jedenfalls nicht nur dem Ansehen des FC Bayern München, sondern dem Fußball insgesamt: Die Leute unterschei­den da nicht.

Weil Sie generell den Eindruck haben, dass alle Beteiligte­n am Profifußba­ll in einer Blase leben, völlig losgelöst von den gesellscha­ftlichen Realitäten?

Özdemir: Das muss man differenzi­erter betrachten. Es gibt auch viel soziales Engagement, das beeindruck­end ist. Bei meinem Herzensver­ein, dem VfB Stuttgart, helfen die Spieler bei der Vesperkirc­he mit und kümmern sich dort um obdachlose Menschen. Das zeigt, dass man der Gesellscha­ft nicht den Rücken gekehrt hat. Oder nehmen wir Neven Subotic. Der ehemalige BVB-Held hat eine eigene Stiftung gegründet, deren Ziel es ist, Menschen in Gemeinden und Schulen in Äthiopien den Zugang zu sauberem Wasser zu ermögliche­n. Es gibt noch viele andere positive Beispiele.

Aber es gibt eben auch die vorher angesproch­enen Exzesse im Profifußba­ll, die immer wieder beklagte Kommerzial­isierung. Trotzdem kommen auch Sie als eingefleis­chter VfB-Fan wie viele andere nicht von der Droge Fußball weg …

Özdemir: Die Liebe zum Fußball ist einfach tief in mir verwurzelt. Das

damit angefangen, dass ich als kleiner Junge selbst auf dem Bolzplatz gekickt habe. Dann der erste Besuch im Stadion beim VfB unter dem damaligen Trainer Jürgen Sundermann, den man auch Wundermann nannte. 1978 die Klassenfah­rt nach München ins Olympiasta­dion mit dem Derby Bayern gegen 1860. Später durfte ich ein Ligaspiel des SSC Neapel in Neapel verfolgen. Allein das Warmmachen mit Diego Maradona werde ich nie vergessen. Das sind alles prägende Erlebnisse. Und dann ist da diese unwahrsche­inliche integrativ­e Kraft des Fußballs, die ich fasziniere­nd finde. Unabhängig von Herkunft, Einkommen oder Bildung feuern die Fans gemeinsam im Stadion ihre Mannschaft an. Ansonsten kommen doch die Menschen aus den verschiede­nen Schichten kaum mehr miteinande­r in Kontakt. Überall wird sortiert – das fängt ja mitunter schon mit der Wahl der Schulen an.

Würden Sie sich wünschen, dass sich die Spieler öfter zu politische­n und gesellscha­ftlichen Themen äußern? Özdemir: Fußballer sind ohne Zweifel Vorbilder und dieser Wirkung sollten sie sich auch bewusst sein. Aber sie sind keine Politiker. Sie können nicht das Klimaschut­zproblem lösen oder das Gespenst des Populismus vertreiben. Wenn sie sich vor allem auf das Training, die Spiele und ihre Karriere konzentrie­ren, ist das vollkommen in Ordnung. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn ein Ehrenspiel­führer der Nationalma­nnschaft wie Lothar Matthäus sich mit Putin oder ein Mesut Özil sich mit Erdogan fotografie­ren lässt und damit hilft, einen Diktator reinzuwasc­hen.

Die Vereine und Spieler zeigen unbestritt­en Einsatz beim Kampf gegen Rassismus und Homophobie. Aber mit großem Engagement für Ökologie und Klimaschut­z tun sie sich noch nicht hervor.

Özdemir: Ich habe den Eindruck, dass auch diese Themen mehr und mehr im Fußball ankommen, und zwar vollkommen zu Recht – die Fridays-for-Future-Bewegung hat sicherlich auch hier zu mehr Behat wusstsein beigetrage­n. Wo kommt die Energie her? Muss man immer mit dem Flugzeug anreisen? Was kann man zur Abfallverm­eidung im Stadion und in puncto Recycling tun? Um solche Fragen geht es. Wünschensw­ert wäre auch hier eine Art Ranking, damit die Fans sehen, wie ihr Klub auf diesem Gebiet abschneide­t. Aktuell ist zum Beispiel das Kunststoff-Granulat auf den Kunstrasen­plätzen und das damit verbundene Mikroplast­ik-Problem ein Thema. Beim VfB Stuttgart schaut man jetzt, welches andere Material verwendet werden kann.

Thema Mobilität: Während seiner Zeit bei Union Berlin nutzte Neven Subotic die S-Bahn, um zu den Spielen und zum Training zu kommen. Das war den Medien eine Nachricht wert, worüber sich wiederum Subotic gewundert hat, dass das überhaupt ein Thema ist.

Özdemir: Neven Subotic ist ein tolles Beispiel für einen Fußballer zum Anfassen. Ich kann es allerdings verstehen, wenn Spieler angesichts ihrer Prominenz auch mal ihre Ruhe haben wollen. Aber man kann ja im Elektroaut­o zum Training fahren, seinen Wagen mit Strom aus erneuerbar­en Energien laden – am besten mithilfe einer Solarstrom­anlage auf dem eigenen Dach.

Sie hatten anfangs vom „Salary Cap“, der Deckelung von Spielergeh­ältern, gesprochen, die im DFLTaskfor­ce-Konzept als fernes Ziel auftaucht. Ist das nicht etwas realitätsf­erne Träumerei?

Özdemir: National wird das eher nicht klappen. Das muss vor allem auch auf europäisch­er Ebene thematisie­rt werden. Aber es muss sich was ändern, wie das Beispiel FC Barcelona und Lionel Messi zeigt. Da wird ein Verein durch das astronomis­che Gehalt eines einzigen Spielers fast in den Ruin getrieben. So kann und darf das nicht weitergehe­n. Was die Klubs auch nachdenkli­ch stimmen sollte: Viele Kinder und Jugendlich­e haben eine engere Bindung zu ihrem Lieblingss­pieler als zu einem Verein. Sie folgen dem Spieler von Klub zu Klub. Nach jedem Wechsel gibt es ein neues Vereinstri­kot. Ich sehe das bei den Freunden von meinem Sohn. Da hat sich bei dem einen oder anderen im Schrank schon einiges angesammel­t.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Im Auftrag der Deutschen Fußball‰Liga (DFL) beschäftig­te sich der Politiker und VfB‰Fan Cem Özdemir zuletzt mit der möglichen Zukunft des Profisport­s. Wie sich die Branche derzeit präsentier­t, sieht er kritisch.
Foto: Alexander Kaya Im Auftrag der Deutschen Fußball‰Liga (DFL) beschäftig­te sich der Politiker und VfB‰Fan Cem Özdemir zuletzt mit der möglichen Zukunft des Profisport­s. Wie sich die Branche derzeit präsentier­t, sieht er kritisch.

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