Neuburger Rundschau

„Ich lernte, wie ich das Publikum berühre“

Golda Schultz aus Augsburg spricht darüber, wo und bei wem sie sich was aneignete, um jetzt unter großen Dirigenten, mit besten Orchestern und an ersten Häusern der Welt gefeiert zu werden

- Interview: Rüdiger Heinze

Was war Ihre erste prägende musikalisc­he Erinnerung?

Golda Schultz: Das war die Musik auf einer langen Autofahrt von Südafrika nach Namibia, wo meine Eltern Freunde besuchten und wir auf Safari gingen. Als etwa Siebenjähr­ige wollte ich auf dieser Autofahrt ständig Paul Simons „Graceland“-Album hören – meine armen Eltern damals! Es hat dann lange gedauert, bis ich meinen eigenen Geschmack entwickelt­e. Meine erste selbst gekaufte Platte – über die ich sehr stolz war – enthielt die größten Hits von Bryan Adams. Meine Mutter liebte die Musik von George Benson und Earth, Wind and Fire; mein Vater hörte viel Wiener Klassik von Haydn und Beethoven, aber auch Led Zeppelin.

Bleiben wir noch eine Weile bei Ihren Eltern. Was haben Sie an Wichtigem von ihnen gelernt?

Schultz: Eine wichtige Lektion war: Egal, was du machst, höre für Entscheidu­ngen nicht nur auf dein Gefühl, sondern sei pragmatisc­h und hole dir zuvor viele gesicherte Informatio­nen ein. Meine Eltern gehören zu den klügsten Menschen, die ich kenne. Ich rufe sie immer an, wenn ich nicht recht weiß, wie es weitergehe­n sollte. Manchmal sagen sie dann auch: Golda, du hast doch deine Entscheidu­ng längst getroffen, du möchtest dir doch nur eine Bestätigun­g einholen.

Ihr Name Schultz klingt ja gar nicht afrikanisc­h. Wie ist er zu erklären? Schultz: Der kommt wohl aus der Zeit der Kolonisati­on, aber ich habe das nicht recherchie­rt. Mein Vater stammt aus Port Elizabeth, dort gab es viele deutsche Dörfer und Städte und wir haben sogar ein Hamburg! Möglicherw­eise half dies übrigens meinem Vater, schnell Deutsch zu lernen, als er in Deutschlan­d ohne Sprachvork­enntnisse Mathematik studierte.

Sie selbst studierten erst in Kapstadt, dann an der renommiert­en Juilliard School von New York. Was lernten Sie in Kapstadt und was in New York?

Schultz: In Kapstadt lernte ich, dass ich auch als Sängerin zuerst Musikerin bin. Das heißt: Alle Musik ist wichtig, auch die Musik ohne Gesang, auch die Instrument­alstimmen bei Vokalmusik. Alles was auf einem Notenblatt steht, sollte verstanden werden. Erst wenn alles verstanden ist, kommen Interpreta­tion, Herz, Emotion. Und später in New York lernte ich, wie ich nicht nur mich selbst, sondern vor allem auch das Publikum berühre und wie ich es mit meiner Art zu spielen mitnehme.

Ist Charisma auch erlernbar? Schultz: Das kommt darauf an, was man unter Charisma versteht. Aber ich denke, Teile davon kann man sich aneignen, andere nicht. Eine gemeine Frage.

Davon gäbe es etliche. Doch erzählen Sie uns lieber darüber, dass mindestens drei namhafte ältere Kollegen Ihnen indirekt oder direkt weiterhalf­en: die Callas, die Sie verehren, die Sopranisti­n Kiri Te Kanawa und der Tenor Johan Botha, der auch aus Südafrika stammte. Was wiederum konnten Sie von denen mitnehmen?

Schultz: Durch die Callas wurde mir klar: Du musst Mut haben, du musst tapfer sein als Sängerin, du musst dein Leben und vielleicht auch deine schwierige­n Lebenserfa­hrungen – wie Verzweiflu­ng – einbringen, um eine Rolle zu verkörpern. Von Kiri Te Kanawa lernte ich zu entscheide­n, wie viel und wie viel Schönheit beim Singen herauskomm­en soll; dazu bedarf es einer Balance zwischen Spontaneit­ät und Kontrolle. Schließlic­h brachte mir Johan Botha in einem Meisterkur­s bei, dass ich mich nicht gefangen nehmen lasse von den schwierige­n hohen Passagen einer Partie, sondern mich jeweils auf die fünf Noten zuvor konzentrie­re. Dann kommt das Take-off. Dann wird geflogen.

2011 wurden Sie Mitglied des Opernstudi­os der Bayerische­n Staatsoper, um 2014 dann ins feste Ensemble zu wechseln. Worauf, meinen Sie, gründete dieser Aufstieg?

Schultz: In Deutschlan­d, im Opernstudi­o, lernte ich, dass die Kunst heilig ist und aus einer anderen Welt kommt, dass aber auch viel Arbeit dazugehört: Egal, wie klein eine Rolle auch sein mag, du musst immer alles geben. Alles. Nun ist die

Bayerische Staatsoper mit ihrem Weltklasse-Niveau meine musikalisc­he Heimat.

Gleichwohl sind Sie seit 2018 freischaff­ende Sängerin und treten an den ersten Häusern auf unter den renommiert­esten Dirigenten wie Petrenko, Welser-Möst, Rattle, demnächst in Salzburg unter Thielemann – und mit den besten Orchestern. Wieso leben Sie eigentlich in Augsburg?

Schultz: Warum nicht? Ich fühle mich sehr wohl in Augsburg. Die Stadt ist nicht zu groß, sie hat eine schöne Mitte, es gibt Wald, Lebensqual­ität und der nächste Flughafen ist nicht so weit. Augsburg ist ganz chillig. Und ich bin auch der Liebe wegen hier, mein Mann hat hier als Bühnenbild­ner am Theater gearbeitet.

Was genau macht die Organisati­on „Opera for peace“, für die Sie Botschafte­rin sind?

Schultz: „Opera for peace“wurde am Weltopernt­ag 2019 gegründet.

Die Organisati­on möchte die universell­e Kraft der Musik und der Oper nutzen, um mehr Diversität im Kunstbetri­eb zu fördern. Wir wollen jungen Sängern, die zum Beispiel in Lateinamer­ika, Indien und Südafrika wenig Chancen haben, in die Musiktheat­erwelt einzusteig­en, das vermitteln, was sie zu diesem Einstieg eben brauchen. Und wir schauen danach, was sich Intendante­n wünschen, damit sie dies auch unterstütz­en können.

Nun debütieren Sie in Webers „Freischütz“als Agathe an der Bayerische­n Staatsoper – die Premiere an diesem Samstag unter der musikalisc­hen Leitung von Antonello Manacorda wird ab 18.30 Uhr über die Website der Staatsoper kostenlos gestreamt (www.staatsoper.de). Für Ihr vielseitig­es Repertoire – von Mozarts Susanna bis Wagners Freia, von Bizets Micaëla bis Puccinis Liù – haben Sie erklärterm­aßen vor allem Werke und Rollen ausgesucht, die Sie inhaltlich interessie­ren. Was fasziniert Sie am Individuum Agathe und an Webers „Freischütz“?

Schultz: Ich war immer begeistert vom „Freischütz“. Weber hat eine wirklich schöne Partitur voller Atmosphäre komponiert. Was mich berührt an Agathe – obwohl sie gar nicht so viel zu singen hat –, das ist ihr etwas angstvolle­r Gang durch einen dunklen Wald hin zum Licht, zur Freude. Zusammenge­nommen ist das ein Kosmos. Auch hier habe ich geschaut, hinter die Noten zu kommen. Aber mehr verrate ich nicht, man muss auch ein paar Geheimniss­e haben. Im Übrigen ist dieses Debüt nicht das Ende meiner Arbeit an Agathe.

Golda Schultz wurde 1983 in Süd‰ afrika geboren. Sie studierte in Kapstadt und New York Gesang. 2011 trat sie in das Opernstudi­o der Bayerische­n Staatsoper München ein; zwischen 2014 und 2018 war sie dann Ensemble‰Mitglied der Staatsoper. Engagement­s führten sie in den letzten Jahren wiederholt zu den Salzburger Festspiele­n, an die Scala Mailand, Metropolit­an Opera von New York, Staatsoper Wien, nach Zürich und Tokyo. Bei den anstehende­n Osterfests­pielen in Salzburg tritt Golda Schultz bei einem Gala‰Konzert unter dem Dirigen‰ ten Christian Thielemann mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov auf.

 ?? Foto: Richard Termine, Met ?? In Südafrika geboren, heute in Augsburg lebend: die internatio­nal erfolgreic­he Golda Schultz, hier zu sehen als Pamina in Mozarts „Zauberflöt­e“an der Metropolit­an Opera von New York.
Foto: Richard Termine, Met In Südafrika geboren, heute in Augsburg lebend: die internatio­nal erfolgreic­he Golda Schultz, hier zu sehen als Pamina in Mozarts „Zauberflöt­e“an der Metropolit­an Opera von New York.

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