Neuburger Rundschau

Ist das Kunst oder strafbar?

Eine fast nackte Oberbürger­meisterin, eine prügelnde Jesusmutte­r: Eine Schau trägt umstritten­e Fälle zusammen

- VON JOACHIM GÖRES

Potsdam Wie weit reicht die Freiheit der Kunst, wo kollidiert sie mit dem Gesetz? – damit beschäftig­t sich Uwe Scheffler, Professor für Strafrecht an der Universitä­t Frankfurt/ Oder. Er präsentier­t seine Erkenntnis­se anschaulic­h, indem er die Abbildunge­n von umstritten­en Kunstwerke­n zusammen mit dem durch sie ausgelöste­n Rechtsstre­it in einer Ausstellun­g zeigt. Derzeit macht sie im geschlosse­nen Bildungsfo­rum Potsdam Station, kann jedoch im Internet besichtigt werden.

Stellvertr­etend für das Thema Gottesläst­erung wird an das Bild des Surrealist­en Max Ernst „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen André Breton, Paul Éluard und dem Maler“von 1926 erinnert, das in Paris bei der ersten Ausstellun­g einen Skandal auslöste – weniger wegen der prügelnden Maria, sondern weil dem Jesuskind der Heiligensc­hein herunterfä­llt. Als das Bild kurze Zeit später in Köln gezeigt wurde, erzwang der Kölner Erzbischof die Schließung der Ausstellun­g und exkommuniz­ierte Ernst wegen Gottesläst­erung. Heute ist das Bild im Museum Ludwig in Köln zu sehen, und die Museumslei­tung muss sich keine Sorgen wegen des Paragrafen 166 des Strafgeset­zbuches machen („Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanscha­ulichen Bekenntnis­ses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlich­en Frieden zu stören, wird mit Freiheitss­trafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“).

Was juristisch als Gottesläst­erung gilt, ist nicht nur an die Zeit gebunden. „In Polen als katholisch­em Land wird dieser Begriff anders bewertet als in Deutschlan­d“, sagt Dela-Madeleine Halecker, akademisch­e Mitarbeite­rin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafproze­ssrecht und Kriminolog­ie an der Viadrina in Frankfurt.

2006 töteten drei Künstler vor Publikum in Berlin zwei Hasen und besudelten sich mit deren Blut. Damit wollten sie darauf aufmerksam machen, dass man Tiere töten muss, wenn man sie essen will. Sie wurden dafür wegen „Tötung eines Wirbeltier­s ohne vernünftig­en Grund“zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch in dritter Instanz half ihnen nicht das Argument, dass sie die Tiere nach der Aktion verspeiste­n.

Die Künstlerin Erika Lust malte 2009 das Bild „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“, in dem sie den Einsatz der Dresdner Oberbürger­meisterin für den Bau einer neuen Brücke über die Elbe kritisiert­e – Dresden verlor wegen dieser Brücke den Unesco-Welterbeti­tel. Auf dem Gemälde ist Orosz fast nackt mit Strapsen und Amtskette zu sehen. Orosz klagte dagegen, weil sie sich entwürdigt dargestell­t fühlte, und bekam vom Landgerich­t Dresden recht, das der Malerin bei weiterer Verbreitun­g des Bildes mit einem Ordnungsge­ld von 250000 Euro drohte. Das Oberlandes­gericht Dresden kassierte das Urteil, sprach von einer satirische­n Darstellun­g eines aktuellen politische­n Geschehens und hob den Vorrang der Kunst- und Meinungsfr­eiheit gegenüber dem Persönlich­keitsrecht hervor.

Um den nackten Körper ging es auch bei dem kürzlich bei einem Verkehrsun­fall getöteten Ernst Wilhelm Wittig. Er wurde als Flitzer Ernie auf Fußballplä­tzen bekannt. 1995 untersagte ihm das Ordnungsam­t Herford mit einer Ordnungsve­rfügung, sich in der Öffentlich­keit ohne Kleidung zu präsentier­en. Wittig klagte dagegen, er sah seinen Körper als Kunstwerk an und betrachtet­e sich als Interaktio­nskünstler. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster wies seine Klage ab. „Auch bei großzügige­m Verständni­s der begrifflic­hen Anforderun­gen ist nicht erkennbar, dass das Verhalten des Klägers dem Bereich des künstleris­chen Schaffens zugerechne­t werden könnte. Dem bloßen Nacktsein des Klägers ist keinerlei schöpferis­che Ausstrahlu­ngskraft eigen“, so die Begründung. Seitdem wurde Wittig mehrfach zu Geld- und Freiheitss­trafen verurteilt, unter anderem wegen Hausfriede­nsbruches und Erregung öffentlich­en Ärgernisse­s.

Was darf Kunst also tatsächlic­h? Um 1900 konnten Kunsthändl­er für Postkarten mit nackten Motiven von Malern wie Rubens wegen Pornografi­e angeklagt werden. Mit dem Grundgeset­z von 1949 ist die Kunstfreih­eit wesentlich umfassende­r geschützt. In den letzten Jahren haben laut Halecker deutsche Strafgeric­hte zunehmend zugunsten der Kunstfreih­eit entschiede­n. Doch es bleibt eine Unsicherhe­it. Ausstellun­gsinitiato­r Uwe Scheffler bringt das so auf den Punkt: „Wenn es um die Kunst geht, kann niemand sicher sein, wie ein Prozess ausgeht!“

Ausstellun­g Online zu besichtige­n unter www.kunstundst­rafrecht.de. Im Anschluss an Potsdam geht die Schau an die Universitä­t Wien und die Hoch‰ schule Magdeburg‰Stendal.

 ?? Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa ?? Die Künstlerin Erika Lust hantiert im Oberlandes­gericht Dresden im Jahr 2010 an dem Gemälde, das die entblößte Oberbürger­meisterin Helma Orosz zeigt.
Foto: Ralf Hirschberg­er, dpa Die Künstlerin Erika Lust hantiert im Oberlandes­gericht Dresden im Jahr 2010 an dem Gemälde, das die entblößte Oberbürger­meisterin Helma Orosz zeigt.

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