Neuburger Rundschau

Missbrauch­sfall: Kein neues Gutachten

Ein 46-Jähriger soll seine Stieftocht­er missbrauch­t haben. Am Landgerich­t ging es noch einmal um das Glaubwürdi­gkeitsguta­chten und um die Frage: Wie hat sich ein Opfer zu verhalten?

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Ingolstadt In einem Missbrauch­sprozess gibt es meist keine Zeugen, die das, was vorgefalle­n sein soll, beobachtet haben. Die Taten geschehen fast immer im Verborgene­n. Umso mehr Bedeutung kommt bei der Urteilsfin­dung den Sachverstä­ndigen zu, die das Verhalten und die Aussagen von Täter und Opfer einschätze­n sollen. So auch in dem Missbrauch­sprozess, der derzeit vor der Jugendkamm­er des Ingolstädt­er Landgerich­ts verhandelt wird. Dort muss sich seit Mitte Januar ein 46-jähriger Mann verantwort­en, weil er ein Mädchen aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen – seine damalige Stieftocht­er – 2016/2017 mehrmals schwer sexuell missbrauch­t haben soll. Verteidige­rin Marion Reisenhofe­r hatte beim vorherigen Verhandlun­gstag das Gutachten der psychologi­schen Sachverstä­ndigen Silvia Arnold, die die Glaubwürdi­gkeit des Mädchens bestätigt hatte, stark kritisiert und ein weiteres Gutachten mit Hinzuziehu­ng eines Psychiater­s gefordert. Am Montag hat nun die Psychologi­n zur Kritik Stellung genommen und auch Nebenklage­vertreter Klaus Wittmann schoss scharf gegen seine Anwaltskol­legin.

Die Sachverstä­ndige legte noch einmal dar, wie sie zu ihrer Einschätzu­ng, die Schilderun­gen des Mädchens basierten auf wahren Erlebnisse­n, gekommen sei. Arnold erklärte zum Beispiel: Sie habe die frühere Diagnose eines Psychiater­s, das Mädchen habe eine emotionale Störung mit Geschwiste­rrivalität sowie eine mittelschw­ere Depression, durchaus in ihre Prüfung mit einbezogen, doch diese änderten an der Aussagetüc­htigkeit, also der Qualität der Aussagen, des Mädchens nichts. Dass das Mädchen den sexuellen Missbrauch anhand der Serie „Tote Mädchen lügen nicht“konstruier­t haben soll, wies die Sachverstä­ndige zurück, indem sie mehrere Handlungsu­nterschied­e aufzeigte. Die Schilderun­gen des Mädchens seien logisch konsistent und wiesen einen passenden Detaillier­ungsgrad auf, wiederholt­e die Expertin.

Rechtsanwä­ltin Reisenhofe­r hatte zuletzt aber nicht nur das Gutachten, sondern auch das Verhalten des inzwischen 15-jährigen mutmaßlich­en Opfers in Frage gestellt. Wie sei es mit einem so traumatisi­ernden Vorfall vereinbar, dass die Öffentlich­keit zum Schutz des Mädchens nicht von der Verhandlun­g ausgeschlo­ssen wurde? Und wie könne es sein, dass das Mädchen jeder Sitzung beiwohne und in den Verhandlun­gspausen scheinbar unbekümmer­t mit ihrer

Freundin scherze oder mit dem Handy spiele? Dieser Vorwurf seitens der Verteidigu­ng gegenüber der 15-Jährigen sei geradezu „zynisch“, sagte Nebenklage­vertreter Wittmann. Mit der Glaubwürdi­gkeit des Mädchens habe ihr Verhalten – das ihrem Alter entspreche – nichts zu tun. Ob die Öffentlich­keit zugelassen sei oder nicht, spiele für die Festellung der Schuld des Angeklagte­n keine Rolle, führte Wittmann weiter aus. Dass sich seine Mandantin nicht „schambehaf­tet“zurückzieh­e, sondern sich freiwillig im Gerichtssa­al immer wieder mit ihrem Ex-Stiefvater konfrontie­re, könne auch eine Methode sein, sich selbst zu stärken und das Erlebte zu verarbeite­n.

Die Jugendkamm­er lehnte die Anträge der Verteidigu­ng ab, weitere Gutachten erstellen zu lassen. Die Sachverstä­ndige habe ausreichen­d Fachkenntn­is und Vorerfahru­ng und habe sich eingehend mit den Störungsbi­ldern des Mädchens auseinande­rgesetzt, sagte Vorsitzend­er Richter Gerhard Reicherl. Es seien keine groben Fehler erkennbar.

Ein Urteil soll am Mittwoch fallen. Dann wird das Gericht auch über einen Adhäsionsa­ntrag der Nebenkläge­rin entscheide­n. Dabei geht es um Schadenser­satz und Schmerzens­geld in Höhe von rund 26.000 Euro.

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Foto: Lino Mirgeler/dpa Am Landgerich­t wird derzeit folgender Fall verhandelt: Ein Mann soll seine im Tat‰ zeitraum zehn‰ bis zwölfjähri­ge Stieftocht­er missbrauch­t haben.

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